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08.05.1999 15:51

Ehrung für einen Solisten in der Bachforschung

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Die Universität Dortmund verleiht dem amerikanischen Bachinterpreten und Forscher Joshua Rifkin am 11. Mai 1999 die Ehrendoktorwürde. Die Presse ist zur Feier eingeladen.

    Der weltbekannte Leiter von The Bach Ensemble, der auch durch seine Ragtime- und Tango-Einspielungen bekannt geworden ist, tritt für eine solistische Aufführung der Bachschen Vokalwerke ein. Seinen Forschungen zufolge hat schon Bach die Chöre in seinen Kantaten und Passionen oftmals solistisch besetzt. Diese Auffassung ist in Deutschland noch sehr umstritten, in den angesächsischen Ländern inzwischen vielfach respektiert. Künstlerisch gesehen, sprechen Rifkins Aufführungen und CD-Einspielungen für sich.

    Die Laudatio wird Robert Leicht halten, langjähriger Chefredakteur der ZEIT und großer Bachfreund. Es wird auch schöne Musik erklingen: Thomas Synofzik spielt eine unveröffentlichte Version der Cembalo-Toccata BWV 916 aus der Sammlung des Bach-Schülers und Dortmunder Marienkantors J. G. Preller; es singt ein Solisten-Ensemble ein Vokalkonzert von Claudio Monteverdi.

    Joshua Rifkin wird eine Ansprache halten und selbst musizieren.
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    Dortmund Schwerpunkt der Bachforschung
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    Dank der von Martin Geck geleiteten Internationalen Bach-Symposien ist an der Universität Dortmund ein Schwerpunkt der Bachforschung entstanden. Das nächste Dortmunder Symposion findet im kommenden Januar zum Thema "Bachs 1. Leipziger Kantatenjahrgang" statt. Eine große Bach-Biographie Gecks erscheint im Bachjahr 2000 gleichzeitig in deutscher, englischer und japanischer Sprache. Martin Geck gibt auch die Schriftenreihe "Dortmunder-Bachforschungen" heraus.

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    Wir laden Sie ein zur:
    Ehrenpromotion Joshua Rifkin
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    am 11. Mai 1999
    um 14:00 Uhr im Campus-Treff, Campus Nord der Universität Dortmund

    Begrüßung der Gäste
    Prof. Dr. Werner Abegg, Dekan des Fachbereichs 16

    Johann Sebastian Bach: Toccata BWV 916
    Thomas Synofzik (Köln)
    Cembalo von Mark Stevenson nach H. Hemsch 1735

    Ansprache
    Prof. Dr. Martin Geck

    Claudio Monteverdi: "Beatus vir"
    Ensemble Concerto Vivo

    Laudatio
    Robert Leicht, DIE ZEIT

    Ehrenpromotion
    durch Rektor Prof. Dr. Dr. h. c. Albert Klein

    Rede und Musik
    Professor Dr. h. c. Joshua Rifkin

    Anschließend Empfang
    mit Gesang des Ensembles Six appeal
    mit freundlicher Unterstützung der Stadtsparkasse Dortmund
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    Ansprache von Prof. Dr. Martin Geck
    (Sperrfrist 11. Mai 1999 - 14 Uhr)
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    Magnifizenz, lieber Joshua Rifkin, liebe Helen Rifkin, sehr verehrte Damen und Herren,
    Bachs G-Dur-Toccata, die gerade erklang, wurde von Thomas Synofzik in einer verzierten Fassung gespielt, die Sie sicher noch nie gehört haben: Sie stammt von dem Dortmunder Marienkantor und Landmesser Johann Gottlieb Preller, der ein Enkelschüler Bachs war und sich mit Bachhandschriften versorgte, ehe er um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus der Universitätsstadt Jena nach Dortmund zog, um Bachs Musik auch hier eine erste Heimstätte zu geben. Seine Noten-Sammlung ist bis heute eine unverzichtbare Bach-Quelle.
    Knapp 250 Jahre später kam aus einer Universitätsstadt, die von Dortmund etwas weiter entfernt ist als Jena, nämlich aus Cambridge in den USA, ein anderer Bachschüler nach Dortmund, nämlich Joshua Rifkin. Er hat bei uns inzwischen als Professor der Gabrinus-Stiftung workshops gehalten, Konzerte gegeben und mehrfach bei den Internationalen Bach-Symposien der Universität Dortmund mitgewirkt. Nun wird er Ehrendoktor.
    Den Doktor selbst zu machen, hatte der US-Professor keine Zeit: Er mußte zu viel in der Welt herumreisen, mit seinem Bach Ensemble Konzerte geben, über Aufführungspraxis alter Musik lehren und Platten einspielen. Wissenschaftlich veröffentlicht hast Du, lieber Joshua, wahrlich so viel, das es zweimal zum Doktor gereicht hätte. Allerdings nicht unbedingt zu zwei Doktorvätern.
    Da gibt es zwar ein Moment in Deinen Arbeiten, das jedes Doktorvaters Anerkennung finden muß: enorme Denkschärfe, verbunden mit gründlicher und unermüdlicher Quellenarbeit. Was Du zum Beispiel über die Entstehung der h-Moll-Messe mehr beiläufig in dem Schallplattenbegleitheft zu Deiner eigenen Einspielung geschrieben hast, hat vor dem Blick des Nestors der Bachforschung, Alfred Dürr, problemlos standgehalten; und der kann manchmal sehr streng sein! Da haben wir Dir manche Entdeckungen zu verdanken, die eigentlich immer nach demselben Muster verlaufen sind: "Gibt es unter der vorfindlichen Schicht eines Werks nicht eine tiefere, verborgene, die sich wieder ans Licht holen läßt?" - Vielleicht ist diese Fragestellung, in der sich Achtung vor dem Werk als solchem mit kritischen Anfragen an seine Augenblicks-Gestalt verbindet, ein Zug Deiner allgemeinen Lebensphilosophie. Jedenfalls hat sie uns interessante Neuerkenntnisse geschenkt - zum Beispiel die Vordatierung der Matthäuspassion um zwei Jahre - zwei für eine Modifizierung des Bachbildes höchst wichtige Jahre.
    Doch nun das zweite Moment Deiner wissenschaftlichen Arbeit, für das man eher einen Ehrendoktor kriegt als einen Doktorvater findet: Du hast mutig entmythologisiert. "Entmythologisierung" der Evangelien - das hat einst innerhalb der Theologie für heiße Diskussionen gesorgt. Und da Bach ja einmal der "fünfte Evangelist" genannt worden ist, nimmt es nicht Wunder, daß Entmythologisierungsversuche auch hier auf Skepsis und Ablehnung gestoßen sind.
    Es geht um Bachs Chor: Hat Bach seine Leipziger Passionen, Kantaten und Motetten mit nur soviel Sängern aufgeführt, wie es Stimmen gab: also vierstimmige Chöre mit vier Stimmen, achtstimmige mit acht; und war das verstärkende Ripieno speziellen Fällen vorbehalten, also nicht die Regel? Natürlich weiß die Bachforschung seit langem, daß Bachs Chor höchstens dreifach, also im Falle der Vierstimmigkeit mit zwölf Personen, besetzt war. Aber da ist es immerhin ein Chor. Daß es nun nur vier Solisten sein sollen, ist als ein Schlag ins Gesicht der Bachbewegung aufgefaßt worden und als ein unzulässiges Rütteln am Mythos der Chorbewegung und ihres Gemeinschaftsgedankens.
    Mit solchen Thesen hast Du zunächst auch in den angelsächsischen Ländern auf Granit gebissen. Inzwischen hat sich dort die Diskussion versachlicht. In unseren Landen, wo der deutsche Chor so wichtig ist wie der Deutsche Wald, hält man sich weiterhin bedeckt - mit einigem Mißmut, weil Gegenargumente nicht leicht zu finden sind.
    Wen soll eine Universität zum Ehrendoktor machen: Nur bemooste Häupter? Anton Bruckner war siebenundeschzig Jahre alt, als ihm diese Ehrung zuteil wurde. Vorher wäre er in dem brennenden Verlagen, mit seinem in Cambridge promovierten Antipoden Johannes Brahms gleichzuziehen, fast einem Betrüger auf den Leim gegangen, der Doktorentitel von Phantasie-Universitäten vermittelte. Oder soll man nur den ehren, der alles selbst bezahlt - wie Joseph Haydn, der sich anläßlich seiner Ehrenpromotion in Oxford recht indigniert darüber äußert, daß allein das Ausläuten durch den Pedell eine Guinee gekostet habe, vom Habit ganz zu schweigen? Oder promoviert man lieber junge Leute, die sich wie Robert Schumann den Durchbruch bei ihren künftigen Schwiegervätern erhoffen?
    In Deinem Fall, lieber Joshua, wird ein Musiker und Musikgelehrter geehrt, der im Doppelsinn des Wortes Anstoß erregt und gegeben hat und damit in der Gegenwart etwas bewegt. Du sorgst für Bewegung nicht nicht nur in der Wissenschaft, sondern viel mehr noch in der internationalen Aufführungslandschaft, die ohne Dich ärmer wäre.
    So verstehe bitte diese Ehrung als Antrieb zu weiterem Schaffen, wie auch wir sie verstehen als Antrieb, in Dortmund weiter über Bach zu forschen sowie interessante Internationale Bach-Symposien und Bachtage zu veranstalten.
    In meinen Augen gilt diese Ehrung freilich nicht nur Joshua Rifkin, sondern der Musik überhaupt. Die schönste Nebensache der Welt wird sie genannt. Nebensache? Schließen Sie, liebe Anwesende, einen Moment die Augen und stellen sich vor: eine Welt ohne Musik, Lied, Tanz. Undenkbar. Musik ist eine Hauptsache des Menschen, trägt dazu bei, sich als Mensch zu spüren. Doch wie oft werden selbst glänzende Musiker mit Hochschulabschluß, wenn sie nicht gerade den Namen von gewissen drei Tenören tragen, mäßiger entlohnt als Amtmänner oder Verlagslektoren.
    So sollten sich durch diese Ehrenpromotion nach meiner Vorstellung alle Musiker geehrt wissen, die leidenschaftlich in ihrer Sache aufgehen, die die Welt nicht nur verwalten oder interpretieren, sondern ein Stück schöner und wahrer machen wollen.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Kunst / Design, Musik / Theater
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Personalia
    Deutsch


     

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