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23.05.2005 11:00

Ungünstige Arbeitsmarktbedingungen treffen Rheuma-Kranke besonders hart

Ingrid Godenrath Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Bundesweite Analysen des Instituts für Rehabilitationsmedizin der Uni Halle
    mit dem Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin finden internationales Echo

    Entzündliche Rheuma-Formen zählen zu den besonders belastenden chronischen Erkrankungen. Den zum Teil noch jungen Patienten drohen nicht nur Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, sondern unter anderem auch der Verlust des Arbeitsplatzes mit weit reichenden Konsequenzen. Besonders in Regionen mit ohnehin schon hoher Arbeitslosigkeit ist der Effekt dramatisch: in den neuen Bundesländern liegt die Beschäftigungsquote aller untersuchten Rheumatiker schon innerhalb der ersten fünf Krankheitsjahren um 10 Prozent niedriger als in den alten Bundesländern, nach 10 Jahren sind es sogar 32 Prozent. Dieser Beschäftigungsunterschied von zirka einem Drittel entspricht der Differenz zwischen Patienten mit Hauptschulabschluss und höherem Abschluss im gesamten Bundesgebiet.

    Die Ergebnisse stammen aus Analysen, die Professor Dr. Wilfried Mau, Direktor des Instituts für Rehabilitationsmedizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in Kooperation mit dem Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin durchführte. Die neuen Erkenntnisse, veröffentlicht im April 2005 im Journal of Rheumatology - einer der führenden rheumatologischen Fachzeitschriften in Nord-Amerika - fanden international große Beachtung. In einer der weltweit größten fachrheumatologischen Dokumentationen wurden die anonymen Angaben von 7600 Patienten aus den neuen Bundesländern und zirka 36000 Patienten aus den alten Ländern ausgewertet, die an sechs verschiedenen rheumatischen Erkrankungen litten.
    Bei Frauen mit einer mindestens 10 Jahre bestehenden rheumatoiden Arthritis, der häufigsten chronisch entzündlichen Gelenkerkrankung, ist die Erwerbstätigkeit in den alten Bundesländern um 43 % und in den neuen Ländern um 47 % gegenüber den gesunden Mitbürgerinnen vermindert.
    Etwas günstiger sieht es bei Patienten mit einer Bechterewschen Erkrankung aus, einer entzündlichen Wirbelsäulenkrankheit, die vorwiegend Männer betrifft: nach mehr als 10 Jahren Krankheitsdauer kam es in den alten Ländern zu einer gegenüber der Bevölkerung um 11 % verminderten Erwerbstätigkeit bzw. zu einer 18-prozentigen Reduktion in den neuen Ländern.

    Mit der Untersuchung von Professor Mau wird die Ungleichheit der Beschäftigungschancen von chronisch Kranken in Abhängigkeit von der Lebensregion in Deutschland exemplarisch für Patienten mit verschiedenen rheumatischen Erkrankungen dokumentiert und quantifiziert. Die verminderte Erwerbstätigkeit ist umso gravierender als viele Rheumapatienten trotz ihrer Beschwerden weiter im Berufsleben stehen wollen. Um die gleichen Arbeitsleistungen wie ihre gesunden Kolleginnen und Kollegen erbringen zu können, können sie durch verschiedene Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt werden. Doch wissen dies anscheinend oftmals weder die Patienten noch ihre Arbeitgeber.

    Es käme zu weit weniger Arbeitsausfällen, wenn die viel zu wenig genutzte Erleichterung des Arbeitsweges sowie Anpassung des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsbedingungen realisiert würden. Beispielsweise führt die Möglichkeit, sich die Arbeit selbst einzuteilen, zu einer erheblichen Steigerung der Leistungsfähigkeit, denn wegen der häufigen morgens lang anhaltenden Steifigkeit der Gelenke und der Wirbelsäule, sind flexible Arbeitszeiten (gegebenenfalls mit späterem Arbeitsbeginn) nach Wirkungseintritt der morgendlichen Medikamente sinnvoll. Günstig sind wechselnde, wenig belastende Bewegungsabläufe und das Vermeiden von körperlichen Zwangshaltungen. Auch eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes, zum Beispiel mit Hebehilfen oder speziellen Arbeitsstühlen, ist mit Finanzierung der Rentenversicherung oder anderer Stellen oft eine wesentliche Hilfe.

    Die Anpassung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen sind für die Arbeitgeber insgesamt von Vorteil, da Fehlzeiten reduziert oder vermieden und erfahrene Arbeitnehmer im Betrieb gehalten werden können. Auch für die Betroffenen selbst stellt der fortgesetzte Kontakt zu den Arbeitskollegen vielfach eine bedeutende Einbindung in das soziale Leben dar, das im Freizeitbereich durch die Erkrankung leider häufig eingeschränkt ist bis zur weitgehenden Isolation.

    Obwohl erhebliche Besserungen durch Maßnahmen zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation erzielt werden können, scheuen sich zahlreiche Patientinnen und Patienten gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Arbeitsmarktlage, einen entsprechenden Antrag zu stellen, wie eine im letzten Jahr veröffentlichte Untersuchung der Arbeitsgruppe aus Halle zeigte.

    Wenn weder die medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen noch die Arbeitsplatzanpassungen ausreichen, ist vielfach eine Umschulung sinnvoll. Weniger als 10 % der Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis machen jedoch von so genannten Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben Gebrauch. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger haben im Jahr 2003 unter den Personen, die wegen entzündlicher Gelenkerkrankungen frühverrentet wurden, fast die Hälfte keine Rehabilitationsmaßnahmen in den 5 Jahren zuvor erhalten.

    Auch wenn dies in einigen Fällen durch eine eingeschränkte Rehabilitationsfähigkeit oder -prognose begründet werden kann, widerspricht diese Praxis zumindest bei einem Teil der Patienten dem Vorrang der Rehabilitation vor Rente nach dem Sozialgesetzbuch 9. Deshalb sollten die betroffenen Patienten rechtzeitig mit den Reha-Fachberatern ihrer Renten- oder Krankenversicherung Kontakt aufnehmen, um die Möglichkeiten zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der Erwerbstätigkeit als einem wichtigen Teil des gesellschaftlichen Lebens gerade für chronisch Kranke auszuschöpfen. Dies gilt gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, wie den neuen Bundesländern, wo ohne diese konsequente Unterstützung das Recht auf Arbeit (nach Artikel 23 der UN-Menschenrechtserklärung für Rheuma-Patienten als eine bedeutende Gruppe der chronisch Kranken) noch schwerer durchzusetzen ist als für gesunde Mitbürger.

    Kontakt:
    MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG
    KLINIKUM DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT
    06097 Halle (Saale)
    Prof. Dr. Wilfried Mau
    Tel.: 0345 55-74205
    Fax: 0345 55-74206
    E-Mail: wilfried.mau@medizin.uni-halle.de

    Verwaltungsdirektion, Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0345 55-75748 oder 55-71032
    Fax: 0345 557-5749
    E-Mail: theresia.wermelskirchen@medizin.uni-halle.de
    oder
    jens.mueller@medizin.uni-halle.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Geschichte / Archäologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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