Oldenburg. Menschen, die durch Netzhauterkrankungen erblindet sind, aber ein sonst intaktes Sehsystem aufweisen, mithilfe eines künstlichen neuronalen Implantats ein bescheidenes Sehvermögen zurückzugeben - dies ist das Ziel eines neuen Forschungsprojekts, an dem Wissenschaftler der Universität Oldenburg maßgeblich beteiligt sind.
Es handelt sich dabei um Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Jürgen Parisi (Institut für Physik) und Prof. Dr. Reto Weiler (Institut für Biologie und Umweltwissenschaften). In der Neurobiologiegruppe von Weiler beschäftigt man sich schon seit längerem mit Forschungen zur Wiederherstellung von partiellem Sehvermögen (siehe auch "Einblicke - Forschungsmagazin der Universität Oldenburg, Frühjahr 2004, Nr. 39, http://www.uni-oldenburg.de/presse/einblicke/39/index.html). Das aktuelle Vorhaben ("Affinity-regulated Artificial Synapses - A new Approach to Men-Machine Interfaces") wird von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit 1.2 Millionen Euro gefördert, wovon auf die Universität Oldenburg rund ein Drittel entfällt. Die Koordination des Projekts liegt beim Hahn-Meitner-Institut Berlin.
Seit mehreren Jahrzehnten gehört der Einsatz von Prothesen als Ersatz für ausgefallene Körperfunktionen des Menschen zum medizinischen Standard; täglich werden zahlreiche Patienten mit künstlichen Hüften, Herzschrittmachern u. a. versorgt. Die Behandlung von Fehlfunktionen des Nervensystems gilt allerdings noch als eine große Herausforderung der Medizin. Forscher weltweit suchen nach Möglichkeiten, Defektstellen im Nervensystem durch sogenannte Neuroprothesen zu ersetzen. Vor einigen Jahren gelang es erstmals, Gehörlosen durch den Einsatz solcher Prothesen neue Höreindrücke zu vermitteln. In jüngster Zeit werden ähnliche Methoden bei Parkinson-Patienten angewandt. Dieser Erfolg hat die Frage aufgeworfen, ob nicht auch durch die Implantation einer technischen Struktur ins Auge verlorenes Sehvermögen wenigstens teilweise wieder hergestellt werden kann.
Im Falle des menschlichen Auges können verschiedene Erkrankungen zu teilweiser oder totaler Blindheit führen. Als besonders schwerwiegend gilt die Degeneration oder gar der Verlust von Photorezeptoren in der Netzhaut, weil bisher keine Behandlung möglich ist. Die Netzhaut (Retina) des Menschen besteht aus über 100 Millionen solcher lichtempfindlichen Zellen, die einfallende Lichtquanten in neuronale Signale umwandeln, welche wiederum im neuronalen Netzwerk der Retina verarbeitet werden und schließlich von den nachgeschalteten Ganglienzellen über den Sehnerv der Sehregion im Gehirn zugeleitet werden.
Ein neuer Forschungsansatz verfolgt das Ziel, eine technische Struktur zu entwickeln, die als Implantat in der Retina ausgefallene Funktionen der Photorezeptoren überbrücken soll. Erste Versuche, defekte Photorezeptoren durch Mikrophotodioden zu ersetzen, scheinen erfolgsversprechend. Zusammen mit dem Hahn-Meitner-Institut Berlin, der Augenklinik der Universität Tübingen und dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen in Reutlingen werden die Oldenburger Wissenschaftler während der nächsten drei Jahre an der Entwicklung molekularer Transportmechanismen sowie photovoltaisch gesteuerter Elemente arbeiten, welche die Übertragung von Botenstoffen (Neurotransmittern) zwischen Photorezeptoren und nachgeschalteten Nervenzellen imitieren sollen.
Das von den Forschern vorgeschlagene Implantat soll die elektrostatische Wechselwirkung zwischen photoaktiven Materialien und polaren Molekülen wie dem Neurotransmitter Glutamat nutzen, diese freizusetzen bzw. zu binden. Dieser Effekt ist anschaulich vergleichbar mit der Eigenschaft von bestimmten Mikrofasern, elektrostatisch aufgeladenen Staub anzuziehen. Im Prinzip wird so ein photovoltaisch angetriebener chemischer An- und Ausschalter geschaffen, der die Neurotransmitter-Konzentration als eine Funktion der Strahlungsintensität (hell/dunkel) reguliert.
Die Forscher glauben, mit einem solchen Retina-Implantat verlorenes Sehvermögen wenigstens teilweise wieder herstellen zu können. Gelänge dies, ergäben sich völlig neue Möglichkeiten, auch neurologische Erkrankungen des Gehirns durch die Kopplung elektronischer Einheiten an Neuronen zu behandeln.
Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Parisi, Institut für Physik, Abt. Energie- und Halbleiterforschung, Tel.: 798-3541/-3402, Fax: 798-3326, E-Mail: parisi@ehf.uni-oldenburg.de
Prof. Dr. Reto Weiler, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, Abt. Neurobiologie, Tel.: 0441/798-2581, E-Mail: reto.weiler@uni-oldenburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Mathematik, Medizin, Physik / Astronomie
regional
Forschungsprojekte
Deutsch
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