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08.07.2005 10:47

Afrika: Gegenwart, Mythos und Zukunft neu im Blick

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Stiftung bewilligt rund 1,87 Millionen Euro für vier gesellschaftswissenschaftliche Vorhaben in ihrer Förderinitiative zum sub-saharischen Afrika

    Gegenwärtige politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungsprozesse im sub-saharischen Afrika sind - gemessen an ihrer Brisanz - wenig erforscht. Im Zuge ihrer Förderinitiative "Wissen für morgen - Kooperative Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika" bringt die VolkswagenStiftung jetzt die ersten kooperativen Forschungsvorhaben zu diesem Themenkomplex auf den Weg. Sie alle zeichnet aus, dass sie eines der wichtigsten Anliegen der Stiftung mit Blick auf ein erfolgreiches "capacity building" in Afrika einlösen: dass im Zuge der Projekte der dortige wissenschaftliche Nachwuchs Möglichkeiten zur Höherqualifizierung erhält. Zudem werden innerafrikanische wissenschaftliche Netzwerke aufgebaut, gestärkt und erweitert. Die vier neuen Vorhaben werden mit insgesamt rund 1,87 Millionen Euro gefördert; im Einzelnen wurden bewilligt:

    1. 500.000 Euro für das Vorhaben "Shari'a Debates and Their Perception by Christians and Muslims in Selected African Countries. Tendencies, Dyna mics and Perspectives - a Comparative and Multidisciplinary Approach " von Dr. Franz Kogelmann und Professor Dr. Ulrich Berner vom Lehrstuhl für Religionswissenschaft I der Universität Bayreuth - in Kooperation mit Wissenschaftlern des St. Paul's United Theological College in Limuru, Kenia, der University of Jos in Nigeria, der University of Cape Town in Südafrika, der University of Khartoum im Sudan und der University of Zanzibar in Tansania;

    2. 350.000 Euro für das Vorhaben "Belief in the Paranormal and the Occult: Its Influence on the Socio-Political, Economic, and Religious Life in West Africa in the Era of Globalization" von Dr. Tobias Wendl vom Afrikazentrum - Iwalewa-Haus der Universität Bayreuth - in Kooperation mit Wissenschaftlern vom Bigard Memorial Seminary in Nigeria, der University of Nigeria, der Nnamdi Azikiwe University in Nigeria und der Catholic University of West Africa in Abidjan, Elfenbeinküste;

    3. 500.000 Euro für das Vorhaben "Governance and Social Action in Sudan after the Peace Agreement of January 2005: local, national, and regional dimensions" von Professor Dr. Karl Wohlmuth vom Institut für Weltwirtschaft und internationales Management und Dr. Elke Grawert vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen - in Kooperation mit Forschern von der University of Khartoum im Sudan, der University of Juba, Khartoum, Sudan, der Ahfad University of Women im Sudan, der University of Nairobi in Kenia und der Addis Ababa University in Äthiopien;

    4. 515.800 Euro für das Vorhaben "States at Work. Public Services and Civil Servants in West Africa: Education and Justice in Benin, Ghana, Mali and Niger" von Professor Dr. Thomas Bierschenk und Professorin Dr. Carola Lentz vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz - in Kooperation mit Wissenschaftlern des Laboratoire d'étude et de recherche sur les dynamiques sociales et le développement local (LASDEL) in Parakou, Benin, vom LASDEL in Niamey, Niger, von der Université du Mali und der University of Ghana, Legon-Accra, Ghana.

    Im Folgenden stellen wir Ihnen diese vier Vorhaben kurz vor.

    Zu 1: Überall auf der Welt hat sich in den vergangenen Jahren ein Wiederaufleben religiöser Werte im öffentlichen Leben gezeigt. In vielen Ländern des sub-saharischen Afrikas äußert sich dies in den Wünschen der muslimischen Bevölkerung nach einer verstärkten Anerkennung islamischer Werte innerhalb des politischen und zivilrechtlichen Raumes, der bislang von westlichen Systemen dominiert wird. Hierbei geht es insbesondere um die Einführung des traditionellen islamischen Gesetzes, der shari'a. Die mit dessen Verankerung einher gehenden Veränderungen berühren fundamental das soziale und wirtschaftliche Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Vor diesem Hintergrund entzünden sich heftige Debatten sowohl zwischen Muslimen und Christen als auch zwischen progressiven und konservativen Muslimen. Hier setzt das Grundinteresse des deutsch-afrikanischen Forscherteams an: Mit Blick auf das Konfliktpotenzial zwischen den diversen Meinungsvertretern um die Einführung der Shari'a wollen sie sich einer Forschungslücke widmen, die nicht nur das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen betrifft, sondern auch das zwischen einzelnen muslimischen Gruppen selbst.

    Das Forschernetzwerk mit seinen afrikanischen Partnern aus Nigeria, Kenia, dem Sudan, Tansania und Südafrika will in den fünf afrikanischen Ländern die Dynamiken von Konflikten und die Perspektiven von Kooperationen in Bezug auf gegenwärtige Scharia-Debatten untersuchen. Das Rückgrat des Projekts bildet eine Gruppe von zehn afrikanischen Nachwuchswissenschaftlern - Muslime und Nicht-Muslime aus fünf afrikanischen Ländern -, die unterstützt durch intensives methodisches Training und theoretische Unterweisung neue interdisziplinäre und vergleichende Forschungsansätze entwickeln sollen. Mit Hilfe dieser Nachwuchswissenschaftler und zugleich vorangetrieben durch bereits etablierte Forscher sollen bestehende wissenschaftliche Netzwerke (Süd-Süd sowie Nord-Süd) nachhaltig gefestigt und neue aufgebaut werden. Geplant sind hierzu eine in Theorie und Forschungsmethodik einführende Sommerschule an der Universität Bayreuth sowie Arbeitstreffen und Tagungen bei den afrikanischen Partnern.
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    Kontakt
    Universität Bayreuth
    Lehrstuhl für Religionswissenschaft I
    Dr. Franz Kogelmann
    Telefon: 0921 55 5437
    E-Mail: franz.kogelmann@uni-bayreuth.de

    Prof. Dr. Ulrich Berner
    Telefon: 0921 55 5164
    E-Mail: ulrich.berner@uni-bayreuth.de
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    Zu 2: Seit den 1990er Jahren lässt sich in Afrika ein spürbarer und stetiger Anstieg von Glaubensvorstellungen konstatieren, die paranormale und okkulte Phänomene zum Thema haben. Die Ausbreitung dieser Vorstellungen manifestiert sich in den verschiedensten Medien, in Geschichten und Gerüchten über Fälle von Hexerei, Zauberei, Verfluchungen, Wunderheilungen, Besessenheit, Exorzismus, Vampirismus, Geldmagie und ähnlichem mehr. Ihre Glaubwürdigkeit und ihr - vermeintlicher - Wirklichkeitscharakter sind zu einem wesentlichen Faktor geworden, der soziale Beziehungen prägt, ökonomisches und politisches Handeln beeinflusst und sich auch auf medizinische Behandlungsoptionen und religiöse Beziehungsgeflechte auswirkt. Wissenschaftlich untersucht sind diese Abhängigkeiten jedoch noch nicht. Hier setzt das deutsch-afrikanische Forscherteam an. Die Partner aus Bayreuth, der Elfenbeinküste und Nigeria wollen sich - unter anderem über Befragungen - einen Überblick verschaffen über paranormale und okkulte Phänomene in Westafrika, insbesondere in Nigeria, Ghana, der Elfenbeinküste, in Benin, Togo und Burkina Faso. Sie wollen sich mit dem Wahrheitsanspruch dieser Vorstellungen beschäftigen und versuchen, am Beispiel von Fallstudien aufzuzeigen, wie dysfunktional die untersuchten Glaubensvorstellungen für die Entwicklung in verschiedenen Bereichen sind. Dabei sollen auch Gründe und Faktoren ermittelt werden, die die Verbreitung der untersuchten Vorstellungen im Zuge der gegenwärtigen Globalisierung begünstigen.

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    Kontakt
    Universität Bayreuth
    Afrikazentrum - Iwalewa-Haus
    Dr. Tobias Wendl
    Telefon: 0921 553680
    E-Mail: tobias.wendl@uni-bayreuth.de
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    Zu 3: Der Aufbau von Strukturen politischer Steuerung wird zunehmend auch als Instrument und Chance geschätzt, Staatszerfall zu verhindern und konstruktiv auf innergesellschaftliche Konflikte einzuwirken. Der Sudan ist dafür ein aktuelles Beispiel: Dort wurde im Januar 2005 ein historischer Friedensvertrag geschlossen zwischen der sudanischen Befreiungsbewegung und -armee und der Regierung des Landes. Beide hatten sich auf die Teilung des nationalen Vermögens und der Macht geeinigt. Dies bedeutet zugleich das Ende des 21 Jahre dauernden Bürgerkriegs, der mindestens 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Mindestens vier Millionen Menschen waren geflohen. Für den gesamten Kontinent gilt das Abkommen als Lichtstrahl mit Blick auf ein in der Zukunft möglicherweise stabileres und beruhigtes Afrika. Und das sieht der Friedensvertrag in seinem Kern vor: Stabilisiert werden soll die neue Situation über die Installierung einer Interimsregierung für den Südsudan und mit Hilfe von Übergangsregierungen in den Bundesstaaten. Angestrebt werden Infrastrukturaufbau und Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Leistungen bei öffentlich kontrollierten Staatshaushalten.

    Eben jene dabei ablaufenden Prozesse sind es, für die sich die Wissenschaftler aus Bremen, dem Sudan, Kenia und Äthiopien interessieren. Aus einer Akteursperspektive heraus wollen sie die Dynamiken im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und die Herstellung von Herrschaftslegitimität analysieren - und zwar zunächst in den vier Bundesstaaten des südlichen Sudans, die komplexe Konfliktmuster aufweisen. Die regionalen Dimensionen fließen darüber hinaus ein in das Projekt über Analysen, die sich den Auswirkungen im äthiopischen Grenzgebiet widmen, sowie über die Untersuchung der Einflüsse der sudanesischen Diaspora in Kenia auf die Strukturen politischer Steuerung. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus afrikanischen Universitäten erhalten dabei die Gelegenheit, sich bei internationaler Betreuung akademisch weiter zu qualifizieren.
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    Kontakt
    Universität Bremen
    Prof. Dr. Karl Wohlmuth
    Institut für Weltwirtschaft und internationales Management
    Telefon: 0421 218 3074
    E-Mail: wohlmuth@uni-bremen.de
    Institut für Politikwissenschaft
    Dr. Elke Grawert
    Telefon: 0421 218 4779
    E-Mail: grawert@uni-bremen.de
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    Zu 4: Begreift man die Institutionalisierung von Gewalt, die lokale Verankerung zentraler Macht und die Selbstbindung der Herrschenden qua Kodifikation des Rechts als Grundprinzipien des modernen "abendländischen" Staats, dann dauern Staatsbildungsprozesse in Afrika gegenwärtig an. Inzwischen hat sich auch bei Entwicklungsagenturen, die jahrelang "weniger Staat" propagierten, die Erkenntnis durchgesetzt, dass nachhaltige Entwicklung ohne einen besser funktionierenden Staat nicht möglich ist. Für die Staaten Afrikas gab es jedoch bislang so gut wie keine empirischen Untersuchungen der öffentlichen Verwaltung, ihrer Angestellten und Beamten und von deren Außenbeziehungen.

    In diese Forschungslücke stoßen die Wissenschaftler aus Mainz, Benin, Mali, Niger und Ghana. Sie unternehmen den Versuch, erstmals den afrikanischen Staat in "seinem Alltag" zu erfassen, und fokussieren in äußerst origineller Herangehensweise Institutionen, Akteure und Geschichte. Sowohl auf zentraler wie lokaler Ebene wollen sie das tatsächliche Funktionieren von Staat und öffentlichem Dienst analysieren und dabei die alltäglichen Praktiken ihrer Akteure aus einer Binnenperspektive betrachten. Dies geschieht am Beispiel der Justiz und des Bildungswesens in den vier am Projekt beteiligten westafrikanischen Ländern. Dabei kombinieren sie - mit einem Schwerpunkt auf qualitativen Methoden - institutionelle, akteurszentrierte und historische Ansätze. Darüber hinaus streben die Wissenschaftler an, dass im Zuge ihrer gemeinsamen Aktivitäten bestehende Forschungsnetzwerke ausgebaut und miteinander verbunden werden: insbesondere zwischen frankophonen und anglophonen afrikanischen Ländern. So kann das Vorhaben auf mehreren Ebenen eine wichtige Rolle einnehmen mit Blick auf die nachhaltige Entwicklung und Etablierung von Steuerungsstrukturen in afrikanischen Staaten.
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    Kontakt
    Universität Mainz
    Institut für Ethnologie und Afrikastudien
    Prof. Dr. Thomas Bierschenk
    Telefon: 06131 39 23978
    E-Mail: biersche@uni-mainz.de
    Prof. Dr. Carola Lentz
    Telefon: 06131 39 22798
    E-Mail: lentz@uni-mainz.de
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    Die Stiftung hat in ihrer Afrika-Initiative auch zwei Vorhaben im Themenfeld der "vernachlässigten übertragbaren Krankheiten" bewilligt; wir informieren darüber in einer Pressemitteilung am 13. Juli 2005.

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    Kontakt
    VolkswagenStiftung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 0511 8381 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Förderinitiative der
    VolkswagenStiftung
    Dr. Antje Gunsenheimer
    Telefon: 0511 8381 276
    E-Mail: gunsenheimer@volkswagenstiftung.de
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    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter
    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse05/08072005.pdf


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht, Religion, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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