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22.07.2005 10:05

Neue Forschung zur Alltagsgeschichte sozialistischer Staatsbürger, zur KSZE - und vieles mehr zu Europa

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Stiftung bewilligt 1,65 Millionen Euro für fünf neue Vorhaben in ihrer Initiative zur Erforschung der Grundlagen und Voraussetzungen eines erweiterten Europas

    Die VolkswagenStiftung fördert gegenwartsbezogene und historische Forschungen zum östlichen Europa, die die Vielfalt dieses Kulturraums in den Blick nehmen und zugleich dessen Bezüge und Verbindungen zum übrigen Europa beleuchten. Vorrangiges Ziel dabei ist es, Ähnlichkeiten und Unterschiede im Hinblick auf die Entwicklung in anderen Teilen Europas herauszuarbeiten und Prozesse der gegenseitigen Beeinflussung und Durchdringung unterschiedlicher Kulturen zu untersuchen. In ihrer Förderinitiative "Einheit in der Vielfalt? Grundlagen und Voraussetzungen eines erweiterten Europas" stellt die VolkswagenStiftung jetzt für fünf neue Vorhaben insgesamt rund 1,65 Millionen Euro bereit, darunter:

    1. 323.000 Euro für das Vorhaben "'Schleichwege': Inoffizielle Begegnungen und Kontakte sozialistischer Staatsbürger 1956-1989. Zwischen transnationaler Alltagsgeschichte und Kulturtransfer" von Professor Dr. W?odzimierz Borodziej von der Universität Warschau und Dr. habil. Jerzy Kochanowski vom Deutschen Historischen Institut Warschau sowie Professor Dr. Joachim von Puttkamer vom Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Historisches Institut der Universität Jena;

    2. 450.200 Euro für das Kooperationsvorhaben "Entspannung und KSZE in Europa: Die Staaten des Warschauer Pakts und die Bundesrepublik Deutschland in wechselseitiger Wahrnehmung und Annäherung 1966-1975" einer internationalen Wissenschaftlergruppe um Professor Dr. Gottfried Niedhart vom Seminar für Neuere Geschichte, Historisches Institut der Universität Mannheim;

    3. 361.000 Euro für das Vorhaben "Soziale und räumliche Konsequenzen des demographischen Wandels für ostmitteleuropäische Großstädte. Potentiale und Grenzen eines Erfahrungstransfers aus Westeuropa und Ostdeutschland" eines Forscherteams um Professor Dr. Georg Teutsch vom UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH, Standort Leipzig - in Zusammenarbeit mit Forschern aus Polen und Tschechien.

    Ausführliche Informationen zu diesen Projekten auf den folgenden Seiten der Presseinformation; am Ende folgt eine Übersicht der beiden weiteren neu bewilligten Vorhaben.

    Zu 1: Die Begegnungen zwischen sozialistischen Staatsbürgern jenseits "der Politik" sind wissenschaftlich kaum erforscht. Wie sahen gerade die "inoffiziellen" Kontakte zwischen Bürgern jener Länder in der Zeit zwischen 1956 und 1989 aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt eine Forschergruppe aus Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn. Sie will verschiedene Ebenen von Begegnungen und Kontakten zwischen Staatsbürgern der Tschechoslowakei, Ungarns, Polens und der DDR in den Jahrzehnten zwischen Entstalinisierung und Zusammenbruch des Systems erschließen und rekonstruieren. Damit richtet sich ihr Blick auf eine "transnationale Alltagsgeschichte", der es nicht um eine Rekonstruktion von Kontakten politischer Eliten geht, sondern um "den Durchschnittsbürger" und um Formen des weniger offiziellen Nebeneinanders, das oft auch halblegale und illegale Aspekte aufwies. Die Untersuchung fokussiert drei verschiedene Ebenen: inoffizielle ökonomische Kontakte (unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft), des Weiteren Orte der Begegnung (Polen: Zakopane/Zoppot/Masuren; Ungarn: Balaton/Budapest; DDR: Ostseeküste; ?SSR: Prag/Karlsbad/u. a.) - sowie drittens den Kulturtransfer.

    Die Betrachtung von Tourismus, Handel beziehungsweise der wirtschaftlichen Interessen und des Kulturaustauschs lässt in der Zusammensetzung erwarten, dass die Vielzahl und Buntheit der Begegnungen sichtbar wird. Die Forscher nutzen als Quellen vor allem Archivbestände wie etwa Akten der politischen Polizei, der Zollämter, verschiedener Ministerien, von Exileinrichtungen wie "Radio free Europe" - aber auch private Nachlässe. Darüber hinaus beziehen sie regionale und zentrale Presseerzeugnisse und Werke der Reiseliteratur ein. Vorgesehen ist, auf ein bestehendes Netzwerk zurückzugreifen, dem weitere Wissenschaftler aus den genannten Ländern angehören. Die von der Stiftung zur Verfügung gestellten Gelder - 323.000 Euro - umfassen unter anderem Unterstützungsmittel für osteuropäische Wissenschaftler und Stipendien für fünf Doktoranden in Polen, Tschechien (je zwei) und Deutschland. Die Ergebnisse sollen am Ende in einem Sammelband auf Deutsch und in je einer Publikation der anderen beteiligten Landessprachen veröffentlicht werden.

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    Kontakt
    Universität Jena
    Historisches Institut
    Professor Dr. Joachim von Puttkamer
    Telefon: 03641 944461
    E-Mail: Joachim.Puttkamer@uni-jena.de
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    Zu 2: Neben den SALT-Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion sowie den Verhandlungen im Rahmen der neuen deutschen Ostpolitik gab es in der ersten Hälfte der 1970er Jahre noch eine dritte Verhandlungsebene, die für die Entspannungspolitik jener Zeit bedeutend war: die europäischen Verhandlungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - kurz: KSZE. Die KSZE, die einen Höhe- und zugleich Wendepunkt der Entspannung darstellte, begann am 22. November 1972 mit Vorgesprächen in Helsinki und endete - nach Verhandlungen in Genf und einer weiteren Runde in der finnischen Hauptstadt - am 1. August 1975 mit der Schlussakte von Helsinki. Das Dokument enthielt einen Prinzipienkatalog für die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa, Bestimmungen über vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich, Vorschläge für wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit sowie Vereinbarungen über die Verwirklichung größerer Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen. Der Prinzipienkatalog, in dem unter anderem die Unverletzlichkeit der Grenzen und der Verzicht auf die Anwendung oder Androhung von Gewalt bekräftigt wurden, sollte dabei einen Verhaltenskodex für Ost und West in Europa schaffen. Zugleich bildete die KSZE den Auftakt für eine Serie von Folgekonferenzen, die in unregelmäßigen Abständen stattfanden, um die Einhaltung der Vereinbarungen von Helsinki zu prüfen und die begonnene Politik fortzuschreiben.

    Die KSZE-Schlussakte schuf somit die Aussicht, die aus dem Kalten Krieg herrührende Teilung des Kontinents zu überwinden. Das Interesse an diesem Prozess entsprang allerdings unterschiedlichen Motiven und war nicht überall gleichmäßig ausgebildet. Namentlich die Staaten des Warschauer Pakts reagierten je nach Interessenlage und Selbstwahrnehmung auf einer Skala von Annäherungswunsch bis hin zu Bedrohungsszenarien recht unterschiedlich. Vor diesem Hintergrund will nun Professor Dr. Gottfried Niedhart von der Universität Mannheim gemeinsam mit sieben Wissenschaftlerkollegen aus dem östlichen Europa das in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre entstehende neuartige Beziehungsgeflecht erforschen. Sie interessieren sich dabei insbesondere für die wechselseitigen Wahrnehmungen der sich teils überlappenden, insgesamt aber nicht identischen Interessenlagen - sowie für die die Stufen der Annäherung, die an der europäischen Nahtstelle des Ost-West-Konflikts zu verzeichnen waren. Geplant sind Teilprojekte zu Deutschland und allen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts. Neben jährlichen Workshops ist eine Abschlusskonferenz zum Projekt in Prag vorgesehen. Zudem sollen am Ende des - von der VolkswagenStiftung mit 450.200 Euro geförderten - Vorhabens die Ergebnisse in einem Sammelband ebenso veröffentlicht werden, wie Monografien zu den einzelnen Teilprojekten erscheinen sollen.

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    Kontakt
    Universität Mannheim
    Historisches Institut
    Professor Dr. Gottfried Niedhart
    Telefon: 0621 181 2253
    E-Mail: Gottfried.Niedhart@phil.uni-mannheim.de
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    Zu 3: Stadtregionen in Europa sind derzeit tief greifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt. Daraus resultieren verschiedene Probleme beziehungsweise ergeben sich gesellschafts- als auch umweltpolitische Herausforderungen. Die Handhabung der Probleme wiederum hat Auswirkungen auf die Standortentwicklung, die Lebensqualität - oder kurz: das künftige Zusammenleben der Menschen in ihrer Stadt. Dies ist der Hintergrund des Projekts Leipziger Wissenschaftler und ihrer Kollegen aus Tschechien und Polen, die explizit ostmitteleuropäische Großstädte in den Blick nehmen. Ausgehend von der These, dass ostmitteleuropäische Großstädte - bei allen Besonderheiten - im Kontext der allgemeinen, zunehmend polarisierten Stadtentwicklung Europas zu sehen sind, wollen sie Folgendes untersuchen: Wie sehen die sozialen und räumlichen Konsequenzen des - alle Regionen Europas betreffenden - demographischen Wandels explizit für die Entwicklung ostmitteleuropäischer Großstädte aus, und welche Parallelen beziehungsweise Unterschiede zu gesamteuropäischen Mustern lassen sich aufzeigen? Dabei wollen die Forscher prüfen, welche Erkenntnisse über westeuropäische Entwicklungen einerseits und den spezifischen ostdeutschen Transformationspfad andererseits auf den ostmitteleuropäischen Kontext übertragbar sind.

    Das von der VolkswagenStiftung mit 361.000 Euro geförderte Vorhaben bündelt in originärer Weise sozialpolitische, ökonomische, demographische und geografische Aspekte und beinhaltet mit einem Ost-Ost- und einem Ost-West-Vergleich zwei Vergleichsebenen. Während der thematische Schwerpunkt auf der Analyse der Konsequenzen des demographischen Wandels in seinen unterschiedlichen Facetten liegt - Alterung, Verkleinerung der Haushalte, Entstehung neuer Haushaltstypen etc. -, richtet sich der räumliche Fokus auf alte innerstädtische Wohnungsgebiete aus den Jahrzehnten vor 1945, die in der westlichen Stadtforschung als prädestiniert gelten für sich wandelnde bauliche, soziale und ästhetische Ansprüche. Geplant sind Fallstudien zu je zwei Städten mittlerer Größenordnung in Tschechien und Polen, die mit Referenzuntersuchungen in Westeuropa und Ostdeutschland kontrastiert werden. Das Untersuchungsdesign sieht neben der Analyse von nationalen und städtischen Statistiken beziehungsweise kleinräumigen Zensusdaten vor allem qualitative Verfahren vor, darunter Expertengespräche, Tiefeninterviews im Hinblick auf ausgewählte Haushaltstypen sowie Methoden der "Oral History" zur Wohngebietsgeschichte. Als Partner in Tschechien und Polen beteiligt sind die Tschechische Akademie der Wissenschaften, die Universität Danzig und die Polnische Akademie der Wissenschaften.

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    Kontakt
    UFZ - Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH
    Professor Dr. Georg Teutsch
    Telefon: 0341 235 2242
    E-Mail: gf@ufz.de
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    Des Weiteren wurden in der "Europa-Förderinitiative" der VolkswagenStiftung folgende Bewilligungen ausgesprochen:

    4. 320.200 Euro für das Vorhaben "Bodenrecht, Kataster und Grundbuchwesen im östlichen Europa 1918 - 1945 - 1989. Polen und Rumänien im Vergleich" von Professor Dr. Stefan Troebst, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. an der Universität Leipzig - gemeinsam mit Professor Dr. Hannes Siegrist vom Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, Professor Dr. Bogdan Murgescu, Historische Fakultät, Universität Bukarest - und anderen Partnern im östlichen Europa;

    5. 196.500 Euro für "Sommerakademien 'Europa im Umbruch - A Changing Europe. Capacity building für eine neue Generation europäischer Sozialwissenschaftler / Capacity Building for a New Generation of European Social Scientists'" an Professor Dr. Hans-Henning Schröder von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.

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    Kontakt
    Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig
    Professor Dr. Stefan Troebst
    Telefon: 0341 9735 560
    E-Mail: troebst@uni-leipzig.de

    Universität Leipzig
    Institut für Kulturwissenschaften
    Professor Dr. Hannes Siegrist
    Telefon: 0341 9735 681
    E-Mail: siegrist@rz.uni-leipzig.de

    Kontakt
    Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen
    Professor Dr. Hans-Henning Schröder
    Telefon: 0421 218 3343
    E-Mail: henning.schroeder@uni-bremen.de

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    Kontakt
    VolkswagenStiftung
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 0511 8381 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Förderinitiative
    Dr. Wolfgang Levermann
    Telefon: 0511 8381 212
    E-Mail: levermann@volkswagenstiftung.de
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    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse05/22072005.pdf


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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