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25.07.2005 00:08

DFG fördert die Erschließung der Augsburger Predigten des Johannes Geiler von Kaysersberg

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Überlieferungs- und textgeschichtliche Untersuchung verspricht aufschlussreiche Einblicke in den Bildungshorizont und in die religiösen Interessen der reformatorischen Elite
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    Für die mittelalterliche deutsche Predigtliteratur stellt sie eine wertvolle Rarität dar: die in neun Handschriften und zwei Augsburger Frühdrucken überlieferte Reihenpredigtsammlung "Berg des Schauens" des Johannes Geiler von Kayserberg. Für die überlieferungs- und textgeschichtliche Untersuchung dieser Sammlung sowie für die Erarbeitung einer darauf aufbauenden überlieferungskritischen Ausgabe der Augsburger Fassung dieses "Berg des Schauens"-Zyklus' und der an ihn angehängten weiteren Predigten hat der Augsburger Mittelaltergermanist Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Williams von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf zunächst zwei Jahre ein Projekt im Umfang einer Mitarbeiter- und einer wissenschaftlichen Hilfskraftstelle bewilligt bekommen.

    Johannes Geiler von Kayserberg war ein der prominentesten Predigerfiguren der vorreformatorischen Zeit und der wohl prominenteste deutsche Volksprediger des 15. Jahrhunderts überhaupt. Die im "Berg des Schauens" zusammengefassten anspruchsvollen Predigten hielt er während eines Besuchs bei seinem Freund Friedrich von Zollern - seit 1486 Bischof der Reichsstadt Augsburg - zwischen dem 29. September und 28. Dezember 1488 vor einem enthusiastischen Augsburger Publikum. Geiler behandelte in diesen Predigten primär die zentralen Aspekte der Lehre Jean Gersons, des damals bedeutendsten Theologen.

    Von besonderem Interesse ist der Überlieferungsbefund: Bei den Handschriften handelt es sich zum einen um eine tatsächliche Predigtnachschrift, zum anderen um eine von Geiler neu gestaltete Lesepredigtsammlung. Was Williams mit seinem DFG-Projekt anstrebt, sind zum einen eine Überlieferungs- und Textgeschichte des Zyklus sowie die Herstellung einer überlieferungskritischen Ausgabe der verschiedenen Fassungen; weiterhin will er Geilers Gerson-Rezeption, d. h. seine Adaptationsverfahren, seine Selektionsprinzipien und seine rhetorischen Strategie bei der Vermittlung komplexer theologischer Sachverhalte an die "illiterati" eingehend analysieren; drittens schließlich soll der Rezeptionsvorgang, wie er sich in den verschiedenen Fassungen manifestiert, untersucht werden.

    VERMITTLUNG DER LEHREN VON JEAN GERSON

    Wie mehrere andere seiner Werke vermittelt der Augsburger Zyklus Geilers - das erste seiner zur Veröffentlichung gekommenen Predigtwerke - im wesentlichen die Lehren Gersons, des neben Nikolaus von Kues wirkungsmächtigsten Kirchenlehrers des 15. Jahrhunderts. Geiler ist jedoch weit entfernt von einer bloßen Übersetzung von Gersons "De monte contemplationis", einer für die "simplices" nachvollziehbaren Lehre zur Gestaltung des kontemplativen Lebens auf dem Weg zur Vollkommenheit und zur mystischen Vereinigung mit Gott. Geiler benutzt Gerson eher als Haupt- und Orientierungsquelle und macht daraus Predigten, die nicht gerade leichte Kost waren. Das dem Augsburger Bischof und Geiler-Freund Friedrich von Zollern nicht wohl gesonnene Domkapitel warnte dementsprechend vor "subtilitates" und "spitzikaiten" des "houchgelerten" Straßburgers. Geiler seinerseits beteuerte freilich, seine Lehre sei nicht zu schwer und nicht zu hoch, um verstanden werden zu können. In einer Predigt versicherte er seinem Publikum, dass es nicht erschrecken und nicht glauben müsse, hochgelehrt sein zu müssen.

    NACHSCHRIFTEN DES AUGSBURGER AUFRÜHRERS JÖRG PREINING

    Mit großem Interesse hörte einer der bekanntesten Augsburger Quergeister, der Weber Jörg Preining, den Ausführungen Geilers zu. Preining selbst war einer, der "newe, unerhörte ding" predigte, in der Nähe häretischer Gruppen stand und wegen seiner aufrührerischen Aktivitäten Augsburg 1504 schließlich verlassen musste. Vieles spricht dafür, dass Preinig der Verfasser der überlieferten tatsächlichen Nachschriften der Geiler-Predigten ist, die, wie Williams bereits nachgewiesen hat, zum einen auf dem unmittelbaren Miterleben dieser Predigten fußen, zum anderen aber auch auf Predigt-Skizzen, die Geiler ihm zur Verfügung gestellt hat.

    Gleichwohl scheint Preining mit der Wiedergabe von Geilers Predigten leicht überfordert gewesen zu sein. Immer wieder auftauchende kleine Missverständnisse zeigen, dass für Preining Geilers praxisbezogene Lehre und dessen reiche Bilderwelt im Vordergrund standen. Die drei späteren Kopien der Augsburger Fassung überliefern derart starke Überarbeitungen, dass sie in der Forschung bereits zur irrtümlichen Annahme mindestens zweier voneinander unabhängiger Mit- oder Nachschriften geführt haben.

    Neben der Augsburger gibt es die Straßburger Fassung, eine in drei Handschriften überlieferte und von Geiler selbst verfasste Version, die eindeutig für die Lektüre konzipiert war. Diese Lesepredigtsammlung, einige Jahre nach Geilers Augsburger Aufenthalt in Straßburg entstanden, wurde dann zweimal von Hans Otmar auch in Augsburg gedruckt und ist nach dem Augsburger Druck von 1508 von Gerhard Bauer 1991 ediert worden - allerdings ohne Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung.

    EINBLICKE IN BILDUNGSHORIZONT UND IN DIE RELIGIÖSEN INTERESSEN DER REFORMATORISCHEN ELITE

    Für Williams bietet die umrissene Überlieferungs- und Textgeschichte des "Berg"-Zyklus "eine für das deutsche Mittelalter geradezu einmalige Gelegenheit, neben dem theologischen Anliegen eines Predigtverfassers und seiner rhetorischen Strategie auch den aktiven Rezeptionsvorgang dokumentieren und analysieren zu können. Der Verfasser der Nachschrift", so Williams, "gehört zu den an geistlichen bzw. theologischen Fragen interessierten illitteraten städtischen Laien, die rund vierzig Jahre später dann die Hauptträger der Reformation waren." Die 'Berg des Schauens'-Überlieferung biete folglich auch einzigartige Einblicke in den Bildungshorizont und in die spezifischen religiösen Interessen dieser Elite.
    ___________________________________

    KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
    Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Williams
    Telefon 0821/598-5621 oder -5636
    werner.williams@phil.uni-augsburg.de
    ___________________________________

    MEHR ZU JOHANN GEILER VON KAYSERSBERG:
    http://lexikon.freenet.de/Johann_Geiler_von_Kaysersberg


    Bilder

    Johannes Geiler von Kaysersberg (Portrait von Lukas Cranach dem Ältern, Alte Pinakothek München) und (rechts) Werner Williams von der Universität Augsburg, der sich DFG-gefördert um die Erschließung seiner Predigten kümmert.
    Johannes Geiler von Kaysersberg (Portrait von Lukas Cranach dem Ältern, Alte Pinakothek München) und ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Johannes Geiler von Kaysersberg (Portrait von Lukas Cranach dem Ältern, Alte Pinakothek München) und (rechts) Werner Williams von der Universität Augsburg, der sich DFG-gefördert um die Erschließung seiner Predigten kümmert.


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