Bad Nauheimer Max-Planck-Forscher decken Mechanismus auf, über den
adulte Stammzellen in Skelett- oder Herzmuskelgewebe aufgenommen
werden
Embryonale und adulte Stammzellen gelten als die Hoffnungsträger für
neue Therapieformen, mit denen die Regeneration von zerstörten
Geweben und Organen möglich werden soll. Zwar haben sich die
Hinweise verdichtet, dass diese Zellen tatsächlich das Potential zur
Reparatur zerstörter Gewebeteile haben, doch die dem zugrunde
liegenden Mechanismen werden kontrovers diskutiert. Wissenschaftler
des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad
Nauheim haben jetzt in Zusammenarbeit mit Kollegen der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gezeigt, dass adulte
Stammzellen mittels eines Mechanismus, der auf der Ausschüttung von
Botenstoffen basiert, die auch Immunzellen aktivieren, mit Fasern der
Skelettmuskulatur verschmelzen. Obgleich den Stammzellen selbst die
Fähigkeit zu fehlen scheint, sich zu voll funktionsfähigen Muskelzellen zu
transdifferenzieren, werden sie durch Verschmelzung in den
Gewebeverband integriert. Im Herzmuskelgewebe funktioniert dieser
Mechanismus jedoch so nicht. Mögliche positive Effekte von Stammzellen
im Herzen scheinen eher auf anderen Phänomenen zu beruhen. Die
Beobachtungen der Bad Nauheimer Forscher stellen die Anwendung von
adulten Stammzellen als simple Bausteine für eine Gewebereparatur in
Frage und weisen den Weg zur Nutzung von Stammzellen als Produzenten
von Botenstoffen (Genes & Development, August 2005).
Stammzellen sind noch völlig unspezialisierte Zellen, aus denen dann ganz verschiedene Zelltypen
hervorgehen können. In der Embryonalentwicklung sind die so genannten embryonalen Stammzellen der
Ursprung für die sich entwickelnden Organe. So bilden sich unter dem Einfluss bestimmter
Wachstumsfaktoren während der Embryogenese beispielsweise Stammzellen des embryonalen
Bindegewebes (mesenchymale Zellen) zu Muskelzellen um.
Andere Stammzellen, die so genannten adulten Stammzellen, spielen hingegen während des gesamten
Lebens eine wichtige Rolle. Beispielsweise sorgen Stammzellen des Knochenmarks für den Nachschub
kurzlebiger Blutzellen. Von solchen lokal in verschiedenen Geweben und Organen vorkommenden
Stammzellen vermutete man bisher, dass sie an der Reparatur bzw. der Aufrechterhaltung von
Organfunktionen beteiligt sind.
Umstritten ist die Meinung, dass adulte Stammzellen das Potential zur Transdifferenzierung besitzen, also
in der Lage sind über Organgrenzen hinwegzuspringen. Danach könnten sich Knochenmarkstammzellen
zu ganz verschiedenen Gewebezellen umwandeln, wie zum Beispiel zu Skelettmuskelzellen.
Wissenschaftler um Thomas Braun, Direktor am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung,
haben jedoch mittels verschiedener Nachweisverfahren heraus gefunden, dass bei mesenchymalen
Stammzellen ein solches Potential zur Transdifferenzierung nur ansatzweise ausgebildet ist: In allen
Fällen, in denen aus mesenchymalen Stammzellen tatsächlich voll funktionsfähige Skelettmuskelzellen
hervorgegangen sind, erfolgte das durch Fusion der Stammzellen mit vorhandenen, bereits fertigen
Muskelzellen.
In ihren Experimenten an kultivierten mesenchymalen Stammzellen konnte die Bad Nauheimer Forscher
zwar zeigen, dass diese Zellen eine Reihe Herz- und Skelettmuskulatur-spezifischer Gene exprimieren,
wenn sie zusammen mit bestimmten Wachstumsfaktor-produzierenden Zellen kultiviert wurden. Doch
obwohl bei den Zellen auch morphologische Änderungen zu beobachten waren, fanden sich letztlich
keine voll funktionsfähigen Muskelzellen.
Diese entstanden erst dann, wenn die mesenchymalen Stammzellen zusammen mit Skelett- oder
Herzmuskelzellen kultiviert wurden. Darauf wiesen grün leuchtende Muskelzellen hin, deren Färbung
nach Fusion aus zuvor mit einem grün fluoreszierenden Farbstoff markierten Stammzellen stammte. Im
Gegensatz dazu fanden sich keine derart markierten Zellen, wenn die Stamm- und Muskelzellen zwar
zusammen in einem Gefäß kultiviert wurden, aber durch eine Membran räumlich getrennt waren, was die
Fusion unterband. Das werten die Wissenschaftler als eindeutigen Beweis dafür, dass ausschließlich eine
Fusion mesenchymaler Stammzellen und Muskelzellen stattfindet und keine Umwandlung von Stamm- in
Muskelzellen. Mittels Versuchen, in denen so genannte chimäre Mausembryonen aus Stammzellen mit
verschiedenen Mausmutanten hergestellt wurden, konnte zudem der molekulare Mechanismus
entschlüsselt werden, welcher der Fusion zu Grunde liegt. Die Stammzellen bedienen sich dabei
augenscheinlich eines Signalweges ("IL4/NFAT"), der auch bei der Aktivierung von T-Lymphozyten
eine Rolle spielt.
Die von Thomas Braun und seinen Mitarbeitern erhobenen Befunde könnten wichtige Konsequenzen für
mögliche therapeutische Ansätze mit adulten Stammzellen haben: So widerlegen ihre Daten die
vorherrschende Meinung, dass Knochenmarks-stämmige oder lokale Stammzellen - nach einer
Transdifferenzierung zu Muskelzellen - an einer Regeneration der Herz- und Skelettmuskulatur beteiligt
sind. Vielmehr scheinen diese Zellen einen solchen Mechanismus nur "vorzutäuschen", indem sie mit
Zellen des sich regenerierenden Gewebes fusionieren. Das verändert die Sicht einer Stammzelltherapie
zur Regeneration der Skelett- oder Herzmuskulatur erheblich.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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