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05.09.2005 17:19

Die machtvolle Wiederkehr des Religiösen und seine Ambivalenz

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Was steckt hinter religiös begründeter Gewalt und hinter religiös begründeten Konflikten? - Einsichten eines internationalen Augsburger Symposiums
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    Eine machtvolle Wiederkehr des Religiösen, vor der man sich jedoch nicht fürchten müsse, haben 30 Wissenschaftler aus der ganzen Welt bei einem viertägigen Symposium konstatiert, das am 3. September in Augsburg zu Ende gegangen ist. Initiatoren dieser Tagung "Die Ambivalenz des Religiösen. Religionen als Friedensstifter und Gewalterzeuger" waren die beiden Augsburger Professoren Bernd Oberdorfer (Evangelische Theologie) und Peter Waldmann (Soziologie), die eine rundum positive Bilanz ziehen: "Mit tagsüber jeweils acht Stunden konzentrierter interner Arbeit und einer öffentlichen Veranstaltung an jedem der vier Abende war unser Programm recht dicht. Die in dieser Intensität seltene Zusammenarbeit zwischen Theologen, Soziologen, Politologen und Historikern hat zu sehr befruchtenden Diskussionen geführt." Bernd Kirchschlager fasst im Folgenden einige der Ergebnisse zusammen:

    TERRORISMUS UND ISOLATION

    "Isolation, Demütigung und kompromisslose Religiosität: Das ist die Mischung, aus der islamistischer Terrorismus entsteht." Mit dieser aus vielen Gesprächen mit arabischen Studenten in Deutschland gewonnenen Erkenntnis gab der Erfurter Islamforscher Hamed Abdel-Samad eine klare Antwort auf die Frage, mit der eine öffentliche Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums überschrieben war: "Lässt sich der islamistische Terrorismus mit dem Koran erklären?" In seinem Referat beim Symposium nannte Abdel-Samad den Kulturschock als Ursache für Isolation: "Im Westen vermissen die Araber etwas Absolutes, das sie anerkennen können. Der deutsche Konjunktiv ist für sie verwirrend." Eine gute Maßnahme gegen die Radikalisierung sei eine Einbindung in muslimische Gemeinden: "Wer den Koran gut kennt, ist immuner gegen solche Leute wie Mohammed Atta."

    MACHTFRAGE UND ARMUTSPROBLEM

    Eine andere Motivation von Gewalt durch muslimische Attentäter nannte der Hamburger Stern-Journalist Christoph Reuter: "Es geht letztlich immer um Macht, und sei es um die Macht über die Schlagzeilen." Bildung als Mittel gegen Terrorismus propagierte der im Libanon forschende Politologe Theodor Hanf: "Fundamentalismus ist oft ein Armutsproblem."

    DAS VERHALTEN DER MEHRHEITSGESELLSCHAFT ENTSCHEIDET

    Nach Ansicht des Ethnologen Werner Schiffauer (Frankfurt/Oder) gibt es im Islam besorgniserregende und hoffnungsvolle Tendenzen. "Welche sich durchsetzt, kommt auf das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft an." Falsch seien rigide Verbote, eine Politik der Ausgrenzung verschärfe das Problem. Ähnlich argumentierte auch die Bremer Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer, die sich mit der Gender-Problematik beschäftigte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch-Streit schädige errungene Fortschritte. In ihrer Arbeit mit muslimischen Studentinnen habe sie festgestellt, dass das Kopftuch nur für wenige ein politisches Symbol sei. Für viele sichere das Kopftuch den "Respekt halbgläubiger muslimischer Männer".

    RELIGIÖS BEGRÜNDETE GEWALT STETS IM VERBUND MIT KONFLIKTEN ANDERER ART

    An die Unausweichlichkeit von Religionskriegen glaubt der Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard nicht. Er warf Samuel Huntington, dem Schöpfer des Begriffs "Kampf der Kulturen", eine heute empirisch nicht zu haltende "holistisch-deterministische Kulturkreislehre" vor. Gewalt trete selbst da, wo sie religiös begründet werde, so gut wie immer im Verbund mit anderen Konflikten ethnischer, territorialer, sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Art auf.

    TENDENZ ZUR UMDEUTUNG NICHTRELIGIÖS BEGRÜNDETER KONFLIKTE

    Einige Thesen für die Gewaltbereitschaft stark religiöser Menschen äußerte der Soziologe Peter Waldmann (Augsburg), einer der Initiatoren der Tagung. Eine Schlüsselrolle in der Hemmung oder Entfesselung von Gewalt käme geistigen Führern zu. Es komme aber auf die Ausdeutung der sozialen Lage an. Heute sei eine Resakralisierung zu beobachten: eine Umdeutung von nichtreligiös begründeten Konflikten. Auch der Nahostexperte Thomas Scheffler (Kopenhagen) fand, der gewaltbereite Fundamentalismus erhalte seine Dynamik "aus externen Konflikten, etwa aus demütigenden Niederlagen".

    RESAKRALISIERUNG ALS ÜBERGREIFENDES PHÄNOMEN

    Die Wiederentdeckung des Religiösen ist nach Meinung des protestantischen Theologen Bernd Oberdorfer (Augsburg) aber nicht auf den Islam begrenzt. Auch im Christentum sei eine Resakralisierung zu erkennen. Beim öffentlichen Vortrag am letzten Abend der Tagung meinte Oberdorfer, der zurzeit an der Universität Augsburg das DFG-Projekt "Christliche Friedensethik" leitet, selbst im säkularisierten Europa könne man sich wieder als gläubiger Christ zu erkennen geben, "ohne gleich mit mildem Unverständnis oder schroffer Ablehnung rechnen zu müssen". Die Sorge, religiös motivierte Bewegungen würden die Errungenschaften der wertepluralen Gesellschaft gefährden, sei unbegründet. Modernisierungsfähigkeit dürfe man auch dem Islam nicht absprechen: "Derartige Urteile könnten sich als höchst zeitbedingt erweisen."

    PAX 2005

    Das Symposium "Die Ambivalenz des Religiösen" war Bestandteil des Festprogramms PAX 2005, mit dem die Stadt Augsburg noch bis zum 31. Oktober das Jubiläum "450 Jahre Augsburger Religionsfrieden" feiert (siehe http://www.pax2005.de). Für das städtische Veranstalterteam zeigt sich auch Verena Gräfe mit dem Symposium höchst zufrieden: es habe in hervorragender Weise international für das Image Augsburgs als Friedensstadt geworben.


    Weitere Informationen:

    http://idw-online.de/pages/de/news124852


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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