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14.07.1999 17:52

Für eine "Selbstauflösung der Abfallpolitik"

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Augsburger Tagung diskutierte die Zukunft der kommunalen Abfallwirtschaft

    Geringer werdende finanzielle Spielräume, die Forderung nach einer effizienten Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und die Neuregelungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) stellen das Management öffentlicher Abfallentsorgungseinrichtungen vor neue Herausforderungen. Sowohl Privatisierung als auch Binnenmodernisierung werden als Lösungsoptionen propagiert. Mit der daraus resultierenden Frage, nach der nachhaltigen Existenzberechtigung der kommunalen Abfallwirtschaft beschäftigte sich eine Augsburger Tagung am 9. Juni 1999, zu der das Bayerische Institut für Abfallforschung (BIfA) und der Controlling-Lehrstuhl der Augsburger WiSo-Fakultät Fachleute aus der ganzen Bundesrepublik eingeladen hatten.

    Die Problemlage läßt sich dreifach charakterisieren: Zum ersten sehen die Kommunen die Abfallentsorgung als eine öffentliche Aufgabe im Sinn der Daseinsvorsorge, während diese Einordnung in der Privatwirtschaft langfristig als nicht haltbar angesehen wird. Zum zweiten ist der öffentliche Sektor häufig dem Vorwurf eines ökonomisch ineffizienten Handels ausgesetzt und zum dritten herrscht bei nahezu allen Beteiligten Enttäuschung über die Auswirkungen des KrW-/AbfG.

    Privatwirtschaftliche Handlungsmuster und politische Restriktionen

    Um dieses Problemfeld zu strukturieren, hat das BIfA in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg zwei empirische Untersuchungen durchgeführt, die den Stand der Privatisierung in der öffentlichen Siedlungsabfallwirtschaft in Bayern erfassen und Anpassungsstrategien verdeutlichen. Das zentrale Ergebnis, zu dem diese Untersuchungen kommen: Die Kommunen orientieren sich zunehmend an privatwirtschaftlichen Handlungsmustern, gleichzeitig sind sie aber weiterhin politischen Restriktionen unterworfen. Forderungen nach einem Rückzug der Kommunen aus der Abfallwirtschaft sind daher mit einer Abschaffung des Primats der Politik in diesem Sektor gleichzusetzen.

    Sowohl die Kommunen als auch die Privaten müssen sich also mit den sich abzeichnenden abfallpolitischen Rahmenveränderungen kritisch auseinandersetzen und diesen antizipativ begegnen. In diesem Sinne wollte die Augsburger Tagung unterstützend wirken, indem die Veranstalter den organisatorischen Stand in der bayerischen Entsorgungswirtschaft zusammen mit Vertretern aus der Kommunalpraxis, der Privatwirtschaft und der Wissenschaft aufzeigten, ihn kritisch beleuchteten und Anpassungsstrategien diskutierten.

    Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf stellte die erzielten Erfolge der bayerischen Abfallwirtschaft den etwa 150 Tagungsteilnehmern aus In- und Ausland vor. Der mustergültige Umgang mit Abfall komme durch das kooperative Nebeneinander von kommunaler und privater Abfallwirtschaft zustande. Dies zu erhalten und zu fördern, sei ein Ziel der bayerischen Abfallpolitik, wobei hierzu "Vertrauen" auf beiden Seiten unerläßlich sei. In Zukunft werde das Ordnungsrecht zunehmend durch die Eigenverantwortlichkeit der Abfallerzeuger ersetzt, und der Minister unterstrich, daß er diesen Trend maßgeblich unterstützen werde. Er verdeutlichte dies am Beispiel des bereits bestehenden "Umweltpakts Bayern" und ging auch auf den kürzlich geschlossenen "Entsorungspakt ein.

    Prof. Dr. Holger Bonus von der Universität Münster ging der Frage nach, warum es öffentliche und private Unternehmen gibt. Er zeigte dabei die Vorteile von marktwirtschaftlichem und umweltpolitischem Instrumenteneinsatz auf und nannte die Voraussetzungen, die öffentliche Unternehmen legitimieren können. Da sich die Politik bei der öffentlichen Güterbereitstellung nicht immer an diesen Restriktionen ausrichte, begegnet Bonus öffentlichen Unternehmen mit einer gewissen Skepsis.

    Unternehmen Stadt als gefährliche Unternehmung

    Dr. Rainer Cosson, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft e. V. (BDE), Köln, charakterisierte das "Unternehmen Stadt" als eine gefährliche Unternehmung. Er forderte eine marktlich ausgerichtete Abfallwirtschaft, was auch den Vorgaben des KrW-/AbfG entspräche. Die Privatwirtschaft wolle den Wettbewerb und stelle sich diesem, auch wenn der BDE bezüglich der konkreten Ausgestaltung nicht sämtliche Vorstellungen des Verbandes der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS) teile. Wenn man die Flexibilität des Entsorgungsangebotes steigern wolle, so seien weitere - echte - Privatisierungsmaßnahmen notwendig. Cosson geht davon aus, daß binnen zehn Jahren die Vorstellung der Abfallentsorgung als gemeindliche Daseinsvorsorge überwunden sein werde.

    Walter Hartwig, Geschäftsführer der VIVO GmbH, Miesbach, erläuterte seine strategische Unternehmensplanung als kommunaler Entsorger. Mit einem Investitionsvolumen von ca. 100 Mio. DM und gut 50, nach öffentlichem Tarif bezahlten Mitarbeitern, sei das Unternehmen heute der größte Gewerbesteuerzahler und Arbeitgeber der Gemeinde. Die Strategien für die Zukunft zielen, so Hartwig, auf die Wiedergewinnung von Flexibilität, verbessertes ökologisches und regionales Profil und starke Kundenorientierung ab, wobei es gelte, den "politischen Einfluß im Griff zu behalten".

    Zunehmend privatwirtschaftliche Ausrichtung der Kommunen

    Prof. Dr. Heinz-Georg Baum (BIfA) und Jürgen Wagner (Universität Augsburg) stellten die Ergebnisse der empirischen Studie zum Stand der Privatisierung in Bayern vor, die sie im Rahmen des Forschungsverbundes BayFORREST (Bayerischer Forschungsverbund Abfallforschung und Reststoffverwertung) durchgeführt haben: Inzwischen sind 42% der Kommunen an einem mit abfallwirtschaftlichen Aufgaben betrauten Privatunternehmen beteiligt sind, wobei diese überwiegend während der letzten Jahre entstanden sind. In drei von vier Fällen handelt es sich dabei um gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit kommunaler Mehrheitsbeteiligung. Den Kommunen ist damit eine zunehmende privatwirtschaftliche Ausrichtung zu attestieren. Der Zeitreihenvergleich zwischen dem Jahr 1995 und den Planungen für das Jahr 2000 bei der Aufgabenverrichtung auf den abfallwirtschaftlichen Wertschöpfungsstufen zeige hingegen kaum Veränderungen durch das Inkrafttreten des KrW-/AbfG. Die stärkere Einbeziehung kommunaler Beteiligungen an privaten Unternehmen dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß immer noch 59% der Kommunen die Abfallwirtschaft intern als Regiebetrieb - d. h. als unselbständiger Teil der Verwaltung - und damit sehr politiknah führen.

    Nach Ansicht der Augsburger Wissenschaftler belegen diese Ergebnisse den Spagat, den die Kommunen zu meistern haben. Für private Unternehmen finde regelmäßig das "Shareholder-Value-Konzept" Anwendung, dessen Ziel die Steigerung des Unternehmenswerts ist. Dieser Wert werde grundsätzlich über den Kapitalmarkt ermittelt. Demgegenüber stünde das "Citizen-Value-Konzept" für den öffentlichen Sektor. Dieses ziele auf eine Steigerung des Gemeinwohls, wobei die Zielerreichung grundsätzlich gleichberechtigt nach Köpfen über den Wahlprozeß ermittelt werde. Daß öffentliche Unternehmen, die aus dem "Citizen-Value-Konzept" entlassen werden, privaten Unternehmen hinsichtlich der ökonomischen Effizienz nicht nachstehen, so die Forscher vom BIfA, würden vielfältige Studien und empirische Erfahrungen zeigen.

    Beschränkung der Politik auf Vorgaben von Mindeststandards

    Hier setzte abschließend Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers als Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) an. Aus seiner Sicht gebe es keinen vernünftigen Grund, warum die Entsorgung öffentlich und somit in kommunaler Hand bleiben solle. Würde sich der Staat auf seine ureigenste Aufgabe zurückziehen und sich auf die Vorgabe von Mindeststandards und deren Kontrolle beschränken, dann gäbe es keine Überkapazitäten im Müllverbrennungssektor. Ziel müsse die "Selbstauflösung der Abfallpolitik" sein.

    Kontakt und weitere Informationen:

    Bayerisches Institut für Abfallforschung, BIfA GmbH, Dipl.-Kfm. Jürgen M. Wagner, Am Mittleren Moos 46, 86167 Augsburg, Telefon 0821/7000-0, Telefax 0821/7000-100, e-mail: oekonomie@bifa.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Meer / Klima, Politik, Recht, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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