Berliner Max-Planck-Forscher weisen an Elektronen von
Stickstoff-Molekülen nach, dass der Welle-Teilchen-Charakter gleichzeitig
in Erscheinung tritt
In einer Art molekularem Doppelspaltexperiment haben Wissenschaftler
des Fritz-Haber-Instituts (FHI) der Max-Planck Gesellschaft in
Zusammenarbeit mit Forschern vom California Institute of Technology in
Pasadena/USA erstmals an Elektronen nachgewiesen, dass diese
gleichzeitig Eigenschaften von Welle und Teilchen besitzen und quasi per
Knopfdruck zwischen beiden Zuständen hin- und hergeschaltet. Darüber
gelang den Forschern der Nachweis, dass eine Störung der
Spiegelsymmetrie dieser Moleküle durch den Einbau zweier verschieden
schwerer Isotope, in diesem Fall N14 und N15, zu einem teilweisen Verlust
der Kohärenz führt, da sich die Elektronen teilweise an einem der beiden,
nun unterscheidbaren Atome, zu lokalisieren beginnen. Diese
Untersuchungsergebnisse könnten für den Bau und die Kontrolle von
"künstlichen Molekülen", die aus Halbleiter-Quantenpunkten bestehen
und als Bauelemente von Quantencomputern in Betracht gezogen werden,
von Bedeutung sein (nature, 29. September 2005).
Vor hundert Jahren begann man den in der Naturphilosophie postulierten
dualen Charakter der Natur auch auf der Ebene elementarer physikalischer
Vorgänge schrittweise zu erkennen. Albert Einstein war der erste, der 1905
diese Konsequenz aus Plancks Quantenhypothese zog. Er ordnete dem
eindeutig als elektromagnetische Welle bekannten Photon Teilchencharakter
zu. Dies ist die Quintessenz seiner Arbeit zum Photoeffekt. Später war es vor
allem deBroglie, der 1926 erkannte, dass alle uns als Teilchen bekannten
Bausteine der Natur - Elektronen, Protonen etc. - sich unter bestimmten
Bedingungen wie Wellen verhalten.
Die Natur in ihrer Gesamtheit ist also dual; kein einziger ihrer Bestandteile ist
nur Teilchen oder Welle. Niels Bohr führte zum Verständnis dieser Tatsache
1923 das Korrespondenz-Prinzip ein, das vereinfacht besagt: Jeder Bestandteil
der Natur hat sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter und es hängt nur vom
Beobachter ab, welchen Charakter er gerade sieht. Anders gesagt: Es hängt
vom Experiment ab, welche Eigenschaft - Teilchen oder Welle - man gerade
misst. Dieses Prinzip ist als Komplementaritätsprinzip in die Geschichte der
Physik eingegangen.
Albert Einstein war diese Abhängigkeit der Natureigenschaften vom
Beobachter Zeit seines Lebens suspekt. Er glaubte, es müsse eine vom
Beobachter unabhängige Realität geben. Doch die Quantenphysik hat die
Tatsache, dass es keine unabhängige Realität zu geben scheint, im Laufe der
Jahre einfach als gegeben akzeptiert, ohne sie weiter zu hinterfragen, da alle
Experimente sie immer wieder und mit wachsender Genauigkeit bestätigt haben.
Bestes Beispiel ist das Young'sche Doppelspaltexperiment. Bei diesem Doppelspaltexperiment lässt man
kohärentes Licht auf eine Blende mit zwei Schlitzen fallen. Auf einem Beobachtungsschirm hinter der
Blende zeigt sich dann ein Interferenzmuster aus hellen und dunklen Streifen. Das Experiment kann aber
nicht nur mit Licht, sondern auch mit Teilchen wie z. B. Elektronen durchgeführt werden. Schickt man
einzelne Elektronen nacheinander durch den offenen Young'schen Doppelspalt, erscheint auf der
dahinterstehenden Photoplatte ein streifenförmiges Interferenzmuster, das keinerlei Information über den
Weg, den das Elektron genommen hat, enthält. Schließt man jedoch einen der beiden Spalte, so erscheint
auf der Photoplatte ein verwaschenes Abbild des jeweils offenen Spaltes, aus dem man den Weg des
Elektrons direkt ablesen kann. Eine Kombination aus Streifenmuster und Lagebild ist in diesem
Doppelspaltexperiment jedoch nicht möglich, dazu bedarf es eines molekularen Doppelspaltexperiments,
das nicht auf der Orts-Impuls-Unschärfe, sondern der Spiegel-Symmetrie beruht.
Nicht umsonst wurde das Experiment in einer Umfrage der englischen physikalischen Gesellschaft in der
Zeitschrift Physics World 2002 zum schönsten Experiment aller Zeiten gewählt. Obwohl jedes Elektron
einzeln durch einen der beiden Spalte zu laufen scheint, baut sich am Ende ein wellenartiges
Interferenzmuster auf, als ob sich das Elektron beim Durchgang durch den Doppelspalt geteilt hätte, um
sich danach wieder zu vereinen. Hält man aber einen Spalt zu oder beobachtet man, durch welchen Spalt
das Elektron geht, verhält es sich wie ein ganz normales Teilchen, das sich zu einer bestimmten Zeit nur
an einem bestimmten Ort aufhält, nicht aber an beiden gleichzeitig. Je nachdem also, wie man das
Experiment ausführt, befindet sich das Elektron entweder an Ort A oder an Ort B oder an beiden
gleichzeitig.
Das diese Doppeldeutigkeit erklärende Bohrsche Komplementaritäts-Prinzip fordert aber zumindest, dass
man nur eine der beiden Erscheinungsformen zu einer gegebenen Zeit in einem gegebenen Experiment
beobachten kann - entweder Welle oder Teilchen, aber nicht beides zugleich. Bei aller Doppeldeutigkeit
der Quantenphysik bleibt dieser Rest von Eindeutigkeit in jedem Experiment erhalten. Entweder ist ein
System in einem Zustand des wellenartigen "Sowohl-als-auch" oder aber des teilchenartigen
"Entweder-oder" in Bezug auf seine Lokalisierung. Im Prinzip ist dies eine Folge der Heisenbergschen
Unschärferelation, die besagt, dass man immer nur eine Größe eines komplementären Pärchens von
Größen (z.B. Ort und Impuls) gleichzeitig beliebig genau bestimmen kann. Die Information über die
andere Größe geht dabei umgekehrt proportional verloren.
In jüngster Zeit hat eine Klasse von Experimenten ergeben, dass diese verschiedenen Erscheinungsformen
der Materie ineinander überführbar sind, das heißt, man kann von einer Form in die andere schalten und
unter bestimmten Bedingungen wieder zurück. Diese Klasse von Experimenten nennt man
Quantenmarker und Quantenradierer. Sie haben in den letzten Jahren an Atomen und Photonen und seit
jüngstem auch an Elektronen gezeigt, das es ein Nebeneinander von "Sowohl-als-auch" und
"Entweder-oder" für alle Formen der Materie gibt, also eine Grauzone der Komplementarität. Es gibt
demzufolge experimentell nachweisbare Situationen, in denen die Materie sowohl als Welle aber auch als
Teilchen gleichzeitig in Erscheinung tritt.
Derartige Situationen werden mit einer Dualitäts-Relation beschrieben, bei der es sich um ein erweitertes
Komplementaritäts-Prinzip der Quantenphysik handelt, das man auch als Koexistenzprinzip bezeichnen
könnte. Es besagt, dass sich die normalerweise einander ausschließenden Erscheinungsformen der
Materie, wie lokal und nichtlokal, kohärent und nichtkohärent, in einem bestimmten Übergangsbereich
gleichzeitig nachweisen lassen, also messtechnisch vorhanden sind. Man spricht von teilweiser
Lokalisierung und teilweiser Kohärenz bzw. von teilweiser Sichtbarkeit und teilweiser
Unterscheidbarkeit; Größen, die über die Dualitätsrelation miteinander verbunden sind.
Das Komplementaritäts-Prinzip und damit der komplementäre Dualismus der Natur wird in diesem
Übergangsbereich also um ein Koexistenzprinzip, d.h. einen parallelen Dualismus erweitert. Dieser zeigt,
das die Natur einen ambivalenteren Charakter hat, als bisher angenommen. Beispiele dafür sind die
Atom-Interferometrie, wo dieses Verhalten 1997 erstmalig bei Atomen, d.h. zusammengesetzten Teilchen, gefunden wurde.
In der aktuellen Ausgabe von Nature berichten die Berliner Max-Planck-Forscher gemeinsam mit
Forschern vom California Institute of Technology in Pasadena/USA nun von molekularen
Doppelspaltexperimenten mit Elektronen, also nicht zusammengesetzten elementaren Teilchen. Diese
beruhen darauf, dass sich Moleküle mit identischen und damit spiegelsymmetrischen Atomen wie ein von
der Natur aufgebauter mikroskopisch kleiner Doppelspalt verhalten. Dazu gehört Stickstoff, wo sich jedes
Elektron - auch die hochlokalisierten inneren Elektronen - an beiden Atomen gleichzeitig aufhält.
Ionisiert man nun ein solches Molekül etwa mit weicher Röntgenstrahlung, führt diese Eigenschaft zu
einer kohärenten, also wellenartig streng gekoppelten Emission eines Elektrons von beiden atomaren
Seiten, genauso wie im Doppelspaltexperiment mit Einzelelektronen.
Die Forscher konnten erstmals den kohärenten Charakter der Elektronenemission solcher Moleküle
analog zum Doppelspaltexperiment experimentell direkt nachweisen. Dazu haben sie die innersten und
damit am stärksten lokalisierten Elektronen von Stickstoff aus dem Molekül mittels weicher
Röntgenstrahlung gelöst und ihre Bewegung anschließend in dem Bezugssystem des Moleküls über eine
koinzidente Messung mit den ionischen Molekülfragmenten verfolgt. Darüber hinaus gelang den
Forschern der lange bezweifelte Nachweis, dass eine Störung der Spiegelsymmetrie dieser Moleküle
durch den Einbau zweier verschieden schwerer Isotope, in unserem Fall N14 und N15, zu einem
teilweisen Verlust der Kohärenz führt, da sich die Elektronen teilweise an einem der beiden, nun
unterscheidbaren Atome, zu lokalisieren beginnen. Dies entspricht einer teilweisen Markierung eines der
beiden Spalte in einem Young'schen Doppelspaltexperiment. Man spricht auch von teilweiser "Welcher
Weg"-Information, weil die Markierung Aufschluss darüber gibt, welchen Weg das Elektron genommen
hat.
Die Experimente wurden von Mitarbeitern der Arbeitsgruppe "Atomphysik" des FHI an den
Synchrotronstrahlungslaboren BESSY in Berlin und HASYLAB bei DESY in Hamburg durchgeführt.
Die Messungen mittels einer Multi-Detektoranordnung für kombinierten Elektronen- und
Ionen-Nachweis fanden hinter so genannten Undulator-Strahlrohren statt, die weiche Röntgenstrahlung
mit hoher Intensität und spektraler Auflösung liefern.
Die Arbeitsgruppe aus vier Wissenschaftlern und drei Doktoranden wird neben der
Max-Planck-Gesellschaft hauptsächlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen
der Förderung ausgewählter Schwerpunkte der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung gefördert.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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