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17.10.2005 12:00

Versicherungsklauseln verletzen Verständlichkeitsgebot

Renate Nickel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    Studie der interdisziplinären Arbeitsgruppe Sprache des Rechts der
    Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stützt die neueste Entscheidung des BGH zur Transparenz von Lebensversicherungen

    Das "Kleingedruckte" in Verträgen ist den meisten Bürgern ein Ärgernis. Kaum jemand findet die Zeit, die vielen eng bedruckten Seiten zu lesen - und wer es versucht, gibt meist nach kurzer Zeit entnervt wieder auf. Auch die höchsten deutschen Gerichte haben sich wiederholt mit diesen Klauselwerken auseinandersetzen müssen. So hatte der Bundesgerichtshof schon vor vier Jahren entschieden, dass die in Kapital-Lebensversicherungen gängigen Klauseln über Rückkaufswert, Abschluss- und Stornokosten undurchsichtig und daher unwirksam seien. Auf dieses Urteil hin überlegten sich die Versicherer neue Bedingungen, die ihrer Meinung nach klarer und besser verständlich waren. Inhaltlich blieb aber alles beim Alten: aus den eingezahlten Beiträgen wurden erst einmal die Abschlusskosten und die Provisionen für die Vermittler bezahlt, bevor sie den Versicherten zugute kamen. Dieses Vorgehen hat der BGH nun mit seinem Urteil vom 12. Oktober 2005 gerügt und auch die neuen Klauseln für unwirksam erklärt. Der Rückkaufswert dürfe nicht länger von den Versicherungen klein gerechnet werden.

    Das neue Urteil des Bundesgerichtshofs stärkt nicht nur den Verbraucherschutz, es hat auch Auswirkungen auf die gut 15 Millionen zwischen 1994 und 2001 abgeschlossenen Verträge für Kapitallebensversicherungen, zu denen die Versicherungsbranche an die 50 Milliarden Mark an Abschlusskosten kassiert hat. Nach Schätzungen des Bundes der Versicherten sind etwa 5 Millionen dieser Verträge schon wieder gekündigt worden. An der Höhe des Stornovolumens der Versicherungen, das allein im letzten Jahr rund 12 Milliarden Euro betrug, werden schwere Defizite im Versicherungswesen erkennbar, die sich nach Auffassung der Gerichte nicht zuletzt daraus ergeben, dass die Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht klar und verständlich sind.
    Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Sprache des Rechts. Vermitteln, Verstehen, Verwechseln der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, welche es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die Entstehung, Auslegung und Anwendung von Rechtstexten zu erforschen, hat daher in den Jahren 2001 bis 2004 eine umfangreiche empirische Untersuchung zur Verständlichkeit der Allgemeinen Versicherungsbedingungen am Beispiel der Riester-Rente durchgeführt. Geklärt werden sollte, welche Verstehensprozesse ablaufen und welches Verstehensergebnis erzielt wird, wenn Personen mit unterschiedlichem Hintergrundwissen - Versicherungsvermittler, Juristen und Laien - Klauseln aus Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu deuten haben. Das bemerkenswerteste Resultat der Untersuchung ist, dass sich die Leistungen dieser drei Gruppen nicht erheblich voneinander unterscheiden: Keine erbrachte ein zufriedenstellendes Ergebnis.

    Legt man die Ergebnisse der empirischen Studie der interdisziplinären Arbeitsgruppe zugrunde, ist die Transparenz Allgemeiner Versicherungsbedingungen als unzulänglich einzustufen. Die Verstehensprobleme sind dabei vor allem darin begründet, dass es zu keiner hinreichenden Interaktion von Textinformation, Hintergrundwissen und Verarbeitungsstrategien kommt. Dementsprechend konnte nicht einmal die Hälfte der Probanden richtig einschätzen, mit welchen finanziellen Einbußen bei einer Kündigung der Versicherung nach drei Jahren zu rechnen ist. Nur 60% der Versicherungsvermittler und lediglich 50% der Juristen schätzten die Größenordnung der zu erwartenden Verluste richtig ein, während 70% der Laien annahmen, die zu gewärtigenden Abzüge würden nach drei Jahren weniger als 500 Euro betragen - tatsächlich beliefen sie sich aber auf mehr als 1.500 Euro.

    Informationen:
    RA Kent D. Lerch, (030) 499 18 494 (AB), lerch@bbaw.de

    RA Kent D. Lerch ist Herausgeber der vor kurzem im Walter de Gruyter Verlag erschienenen dreibändigen Schriftenreihe "Die Sprache des Rechts" und war Koordinator der interdisziplinären Arbeitsgruppe Sprache des Rechts. Vermitteln, Verstehen, Verwechseln der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

    Weiterführende Literatur:
    Kent D. Lerch, Verständlichkeit als Pflicht? Zur Intransparenz des Transparenzgebots, in: Kent D. Lerch (Hrsg.), Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht (Die Sprache des Rechts. Studien der interdisziplinären Arbeitsgruppe Sprache des Rechts der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Erster Band). Berlin, New York 2004, 239-283.

    Pressekontakt:
    Gisela Lerch
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
    Jägerstraße 22/23
    10117 Berlin
    Tel. 030/20370-657
    Fax: 030/20370-366
    E-Mail: glerch@bbaw.de


    Weitere Informationen:

    http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/sdr/de/blanko.2005-10-17.79...
    http://www.bbaw.de/sdr/frame.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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