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31.10.2005 15:03

Die Rede des Kanzlers: Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder im Vergleich

Dipl.-Journ. Constantin Schulte Strathaus Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

    Die Redenschreiber von Angela Merkel haben jetzt viel zu tun. Nach ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin wird die CDU-Chefin demnächst vor dem Deutschen Bundestag die wohl wichtigste Rede ihrer bisherigen politischen Karriere halten. Schon seit den Tagen Konrad Adenauers gehört die so genannte Große Regierungserklärung eines neuen Bundeskanzlers zu den aufsehenerregendsten Redeereignissen der Republik. Wer erinnert sich nicht an Willy Brandts Antrittsrede von 1969, mit der der erste sozialdemokratische Bundeskanzler "mehr Demokratie wagen" wollte? Helmut Kohl versprach 1982 eine "geistig-moralische Wende", Gerhard Schröder 1998 die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Rechtzeitig zum Amtsantritt Angela Merkels stellt der Politikwissenschaftler Klaus Stüwe sein neuestes Buch "Die Rede des Kanzlers. Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder" vor. Erstmals werden darin die Großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler systematisch untersucht.

    Schwerpunkte sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen, der Entstehungsprozess, Funktionen, Ablauf und Inhalte der Reden seit 1949. Zahlreiche Analysen und Interviews bilden die Basis der Studie. Privatdozent Dr. Klaus Stüwe vertritt an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt das Fach Politische Systemlehre und befasst sich seit Jahren mit politischer Kommunikation. Stüwe fand heraus, dass alle bisherigen Regierungserklärungen feste Konstruktionsprinzipien einhielten. "Am Anfang stehen meist eine Interpretation des Wahlergebnisses und Aussagen über die Regierungsbildung. An zweiter Stelle folgt eine Analyse der politischen, ökonomischen und sozialen Situation des Landes. Im Hauptteil wird dann das Regierungsprogramm vorgestellt. Am Schluss fassen die Kanzler die Politikkonzeption ihrer Regierung noch einmal in prägnanten Sätzen zusammen", erklärt Stüwe.

    Ausführlich befasst sich das Buch mit den Funktionen von Regierungserklärungen. Die Information der Öffentlichkeit über das künftige Regierungsprogramm ist dabei nicht die einzige Aufgabe. Vielmehr analysieren die Kanzler auch die politische, wirtschaftliche und soziale Situation des Landes. Man dankt den Wählern und bittet die politischen Akteure um Kooperation. Vor allem aber dienen Regierungserklärungen der Selbstdarstellung und Imagepflege der neuen Regierung.

    Im internationalen Vergleich gehören Regierungserklärungen deutscher Bundeskanzler zu den umfangreichsten. Die Redelängen variieren zwischen etwa eineinhalb und zweieinhalb Stunden. Zudem wurden die Antrittsreden der Bundeskanzler seit 1949 tendenziell immer länger. Eine Ausnahme bildete nur die Regierungserklärung Kurt Georg Kiesingers, des Bundeskanzlers der ersten Großen Koalition von 1966, Kiesinger sprach damals weniger als eine Stunde. Die Sätze der Reden wurden hingegen immer kürzer. Bestand ein Satz der ersten Regierungserklärung Adenauers noch durchschnittlich aus 23 Wörtern, waren es 50 Jahre später in der Antrittsrede Schröders nur noch 16. Diese Entwicklung ist hauptsächlich dem Fernsehen zu verdanken. Regierungserklärungen werden heute den Bedürfnissen des Massenpublikums angepasst: Die Wortwahl wird einfacher, der Stil simpler. Dies ist nicht zuletzt auf den Einfluss professioneller Redenschreiber zurückzuführen.

    "Liest man die Bundestagsprotokolle, dann könnte man den Eindruck haben, dass die Regierungserklärungen im Parlament immer besser wurden. Seit 1949 konnte man jedenfalls eine stetige Zunahme der Beifallsbekundungen verzeichnen", sagt Stüwe. Während Adenauer 1949 nur 21-mal von Beifall unterbrochen wurde, wurde bei Schröder im Jahr 1998 insgesamt 168-mal geklatscht. Stüwes Bewertung der Reden ist freilich nüchterner: "Die symbolhafte Sprache in Regierungserklärungen scheint auch eine Art Kompensationsvorgang zu sein. Die Steuerungsfähigkeit der Regierung wird vielfach nur noch vorgetäuscht."
    Worüber wird Angela Merkel in ihrer ersten Großen Regierungserklärung sprechen? Das Buch macht deutlich, dass die wichtigsten Themen in den Regierungserklärungen immer wiederkehren: Freiheit, Wachstum, Beschäftigung, Sicherheit. Stüwes Fazit: "Die Bundeskanzler kommen und gehen. Die Probleme bleiben."

    Klaus Stüwe: Die Rede des Kanzlers. Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. Wiesbaden [Verlag für Sozialwissenschaften] 2005. 401 Seiten, 44,90 Euro.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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