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30.08.1999 15:40

Liberalisierung des Strom-Marktes und ihre ökologischen Folgen

Heiner Stix Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Eine Studie des Geographischen Instituts der Universität Mannheim untersucht die ökologischen und ökonomischen Folgen eines Atomausstiegs unter verschiedenen Vorzeichen

    Rechtzeitig zur bundespolitischen Wiederbelebung der Debatte um den Ausstieg aus der Kernenergie wurde kürzlich an der Universität Mannheim eine Studie von energiepolitischem Interesse vorgelegt. Dr. Dirk Schlesinger untersuchte die Liberalisierung des Strommarktes und ihre Folgen und trägt den aktuellen Diskussionen durch die Erörterung denkbarer Ausstiegsmodelle Rechnung. Er richtet seinen Blick dabei insbesondere auf die ökologischen Folgen sowie auf die steuerlichen Aspekte eines Atomausstiegs. Grundlage sind 64 verschiedene Szenarien, die auf jeweils neun variierenden Steuergrößen basieren.

    Schlesinger kommt zu dem Ergebnis, dass eine Stilllegung des Kernkraftwerkparks ökologisch nur Sinn macht, sofern gleichzeitig eine CO2-Abgabe eingeführt wird. In seinen Modellrechnungen zog der Atomausstieg, den er modelltheoretisch für das Jahr 2025 festlegte, eine deutliche Erhöhung des Kohlendioxidausstoßes nach sich. Durchaus verständlich, wird der "saubere" Atomstrom doch in erster Linie durch konventionell erzeugte Energie ersetzt, sei es aus Kohle- oder den etwas umweltfreundlicheren Gaskraftwerken. Eine CO2-Abgabe würde diese Nachfrage nach dem vermeintlichen Billigstrom beschränken, der nach Ansicht Schlesingers die Umwelt im Endeffekt teuer zu stehen käme.
    Auch die Rolle des Gaspreises ist in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend: Bei niedrigem Gaspreis wird der fehlende Atomstrom eher durch Gaskraftwerke denn durch Kohlekraftwerke ausgeglichen. Die gesamten CO2-Verschmutzungen liegen daher um 40 Prozent über dem Niveau von 1995. Steigt der Gaspreis jedoch, verzeichnen die umweltschädlicheren Kohlekraftwerke eine erhöhte Nachfrage. Der CO2-Ausstoß liegt in diesem Fall um 50 Prozent über den 95er-Werten. Bezieht man in dieses Szenario die Kohlendioxid-Abgabe mit ein, so zeigt sich ein völlig anderes Bild: Bei niedrigem Gaspreis stehen 15 Prozent, bei hohem Gaspreis immerhin noch 10 Prozent weniger Verunreinigungen zu Buche.

    Kern der vorliegenden Studie ist die Ende 1997 von der Bundesregierung beschlossene Umsetzung einer Richtlinie zur Deregulierung des Strommarktes. Bisher durch Gebietsmonopole gekennzeichnet, läßt die Marktstruktur seither den Wettbewerb um Endkunden zu. Dr. Dirk Schlesinger hat hier insbesondere die ökologischen Auswirkungen dieser Deregulierung im Auge. Den Schwerpunkt seiner Untersuchungen legt er dabei auf die "Modellierung einiger repräsentativer und realistischer Szenarien". Gemeint sind komplexe Simulationsrechnungen, in die alle relevanten Rahmenbedingungen der Deregulierung in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung einfließen. Modelltheoretisch kann so geklärt werden, inwieweit sich der nunmehr entstandene Wettbewerb beispielsweise in Form von Emissionsreduzierung auswirkt.

    Hinter der bildhaften Umschreibung "Modellierung einiger Szenarien" verbergen sich nüchterne Mathematik und zahlreiche Intel Pentium-Prozessoren. Letztere benötigten immerhin noch über drei Monate Rechenzeit, um die 64 ausgewählten Szenarien zu simulieren. Insgesamt 3072 verschiedene Konstellationen wären rechentechnisch möglich gewesen. Die begrenzte Rechenzeit und die erwünschte Realitätsnähe führten schließlich zu der jetzt vorliegenden Auswahl. Jedes der 64 definierten Szenarien fußt auf den vier Kategorien "Markt", "Ordnungspolitik", "Nachfrage" und "Energie". Neun Steuergrößen, allesamt aus diesen Kategorien abgeleitet, werden dabei szenariospezifisch wirksam. Welche ökologischen Auswirkungen hat eine CO2-Abgabe? Wie preisempfindlich reagieren die Verbraucher? Ist der Ausstieg aus der Atomenergie wirklich praktizierter Umweltschutz? Die Liste der Fragen, deren Antworten Schlesinger liefert, ließe sich beinahe endlos fortsetzen.

    Die Schlussbetrachtung der Untersuchung schließlich präsentiert eine interessante Zusammenfassung der Ergebnisse. Generell wird es hiernach aufgrund der Deregulierung zunächst zu höheren Emissionen bei sinkenden Preisen kommen. Grund hierfür sind wettbewerbsbedingte Schließungen von unrentablen gas- und ölbefeuerten Mittellastkraftwerken. Deren Stromlieferungen werden zunächst von Kohlekraftwerken mit höheren spezifischen Emissionen ersetzt. Langfristig sinken die Emissionen aber wieder. Der Konkurrenzdruck führt zu ökonomischen Verhaltensweisen der Anbieter, die sich unter Einbezug einer CO2-Abgabe und/oder Energiesteuer auch ökologisch auswirken.

    Thomas Schöllhorn

    Studie:
    Liberalisierung des Marktes für Elektrizität und deren ökologische Folgen
    dargestellt anhand einer raum-zeitlichen Modellrechnung unter Berücksichtigung volkswirtschaftlicher und strukturpolitischer Rahmenbedingungen

    Dissertationsschrift Dr. Dirk Schlesinger
    Universität Mannheim


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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