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17.11.2005 15:06

Urkunden des Klosters Loccum werden erschlossen

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Eine der bedeutendsten Urkundensammlungen der niedersächsischen Landesgeschichte wird wissenschaftlich aufgearbeitet - VolkswagenStiftung unterstützt das Projekt mit bislang rund 133.000 Euro

    Startschuss für ein ehrgeiziges Projekt: Mit Unterstützung der VolkswagenStiftung erfasst und erschließt ein Forscherteam jetzt die schätzungsweise 2000 Urkunden des nördlich von Hannover gelegenen Klosters Loccum. Nahezu unangetastet liegen die Dokumente aus Papier und Pergament seit Jahrhunderten im Archiv des Klosters, überdauerten politische Krisen und wirtschaftliche Notstände. Lückenlos dokumentieren sie mehrere Hundert Jahre Klostergeschichte - von dessen Gründung im Jahr 1163 bis in die Zeit nach der Reformation - und geben, ganz nebenbei, einen umfassenden Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Nordwestdeutschlands im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Kurzum: ein wahrer Schatz für die niedersächsische Landesgeschichte.

    Professor Dr. Ernst Schubert vom Institut für historische Landesforschung der Universität Göttingen und Dr. Hans Otte, Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Hannover, wollen diesen Schatz nun für die Wissenschaft heben. In einem auf zweieinhalb Jahre angelegten Projekt sollen sämtliche Urkunden und deren Kopien ediert und als Urkundenbuch sowie über das Internet veröffentlicht werden. Die Wissenschaftler ermöglichen auf diese Weise nicht nur die Erforschung der Inhalte von nahezu jedem Ort der Welt aus, sie tragen auch direkt zum Schutz der Originaldokumente bei. Die VolkswagenStiftung unterstützt das Vorhaben im Rahmen des "Niedersächsischen Vorab".

    Wissenschaftlerin Dr. Ursula Dittrich hat die Urkunden in ihrer Obhut. Sie betont die große wissenschaftliche Bedeutung des Vorhabens, denn: "Loccum ist das einzige Kloster in Niedersachsen, das seinen Urkundenbestand über Jahrhunderte hinweg geschlossen bewahren konnte." Die Dokumente liefern eine Fülle an Informationen: So finden sich detaillierte Auskünfte über Personen der damaligen Zeitgeschichte, über die Reihenfolge der Loccumer Äbte oder auch sämtliche Privilegien, Schenkungen und Verbote, die an das Zisterzienserkloster von Fürsten, Bürgern oder dem Papst ergangen sind. Im Vergleich zu anderen Klöstern verfügte Loccum über ausgedehnten Grundbesitz, der sich über große Teile des südlichen und mittleren Niedersachsen erstreckte. So werden viele Ortschaften in den Räumen Hildesheim, Deister/Süntel, Schaumburg oder Bremen zum ersten Mal überhaupt in einer der Loccumer Urkunden erwähnt. Aber auch große Ereignisse oder wirtschaftliche Notlagen finden sich indirekt in den Schriften wieder. So musste das Kloster als Folge der Pest einen großen Teil der Ländereien verpachten, weil Arbeitskräfte fehlten.

    Doch nicht nur klösterliches Leben und Besitzverhältnisse des Zisterzienserklosters lassen sich rekonstruieren, auch andere "Daten" sind für die Forscher von Interesse. Beispielsweise finden sich Listen am Ende jeder Urkunde, die aufzeigen, welche Personen beim Verfassen des Dokuments zugegen waren. "Diese Zeugenlisten spiegeln das politische Profil der Zeit. Man kann genau erkennen, wer zu wem gehört", erklärt Kirchenhistoriker Otte.

    Die Urkunden füllen also Geschichte mit Leben. Um dieses Leben zu entdecken, nimmt sich Bearbeiterin Ursula Dittrich Urkunde für Urkunde vor, entziffert die mittelalterliche Amtssprache und Schriftbilder, löst Abkürzungen auf - und muss mitunter sogar Schreibfehler deuten. Geschrieben wurde auf Latein, später zunehmend auf Niederdeutsch. Größe, Schriftbild und Siegel des Dokuments dienen dabei zunächst als grobe Kriterien der Einordnung, lässt sich so doch schnell auf Rang und Namen des Verfassers schließen. Generell unterscheiden sich die Urkunden sehr voneinander - allein dadurch bedingt, dass das älteste Exemplar aus dem Jahr 1173 stammt, das jüngste aus dem 16. Jahrhundert.

    Eine große quadratische Urkunde aus dem Jahr 1183 zum Beispiel zeigt die lang gezogenen, ebenmäßigen Schriftzüge der päpstlichen Kanzlei. Das Dokument, von Papst Lucius III. und vierzehn Kardinälen unterschrieben, bestätigt zahllose Besitzungen des Klosters und stellt den Abt und seine Klosterbrüder unter päpstlichen Schutz. Ein anderes Dokument, eine Notariatsurkunde aus dem Jahr 1443 bestätigt als so genanntes Transsumpt andere Urkunden. Sie ist weitaus schwerer lesbar, weil ganze Silben der lateinischen Wörter fehlen.

    Die meisten Urkunden sind aus Pergament und wurden mit brauner Tinte aus Ruß oder Eisengallus beschrieben. Tierhäute waren im Mittelalter gängige Schriftträger. Ein äußerst haltbares Material. Ab dem 15. Jahrhundert dann werden immer mehr Urkunden auf Papier verfasst. Und auch die Schrift ändert sich. Statt der runden lateinischen Buchstaben verwenden die Autoren des 15. und 16. Jahrhunderts zunehmend eine kantige Frakturschrift, Vorläufer der "altdeutschen Schrift".

    Schon einmal wurde ein Teil der Loccumer Urkunden als Buch veröffentlicht. Die Edition von Wilhelm von Hodenberg von 1858 ist - obwohl unvollständig und fehlerhaft - eines der wichtigsten und meistzitierten Quellenwerke zur mittelalterlichen Kirchen- und Agrargeschichte Niedersachsens. "Mit der neuen Edition der Urkunden kann nun ein weiterer wichtiger Teil der niedersächsischen Landesgeschichte erschlossen werden", sagt Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Deutsche Zusammenfassungen sollen überdies den wesentlichen Inhalt auch jenen zugänglich machen, die kein Latein oder Niederdeutsch lesen können. Die Loccumer Urkunden könnten damit auch für Heimat- und Hobbyforscher interessant werden. Doch noch steht das auf zweieinhalb Jahre angelegte Vorhaben am Anfang. Erst am Ende wird sich herausstellen, wie viele Urkunden und Urkundenkopien des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit das Kloster tatsächlich besitzt.

    Zur Förderung des Vorhabens im Niedersächsischen Vorab:
    Das Vorhaben "Edition der Urkunden des Klosters Loccum" wird gefördert im Rahmen des "Niedersächsischen Vorab". Das Vorab umfasst jene Erträge der VolkswagenStiftung, die ausschließlich der Forschungsförderung in Niedersachsen zu Gute kommen. Dabei wirken das Land und die VolkswagenStiftung als größte private wissenschaftsfördernde Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland eng zusammen. Seit nunmehr 40 Jahren ist das Vorab eine feste Größe in der Forschungsförderung. Diese Gelder haben es Niedersachsen als Forschungsregion ermöglicht, Anschluss zu halten an den nationalen und internationalen Forschungsstand und Spielräume zu gewinnen für die Entwicklung neuer Forschungsrichtungen. Bis Mitte November 2005 hat die Stiftung Vorhaben in Höhe von insgesamt rund einer Milliarde Euro im Rahmen des Niedersächsischen Vorab bewilligt.

    Zur VolkswagenStiftung:
    Die VolkswagenStiftung mit Sitz in Hannover fördert Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre und verfügt derzeit über ein Kapital von rund 2,3 Milliarden Euro. Sie ist wirtschaftlich autark und in ihren Entscheidungen autonom, vergibt Mittel für alle wissenschaftlichen Bereiche: für die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ebenso wie für die Natur- und Ingenieurwissenschaften und die Medizin. In den 43 Jahren ihres Bestehens hat sie inzwischen über drei Milliarden Euro für etwa 28.000 Projekte zur Verfügung gestellt. Besondere Aufmerksamkeit widmet die VolkswagenStiftung dem wissenschaftlichen Nachwuchs und der Zusammenarbeit von Forschern über disziplinäre und staatliche Grenzen hinweg.

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    Kontakt VolkswagenStiftung
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 0511 8381 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Landeskirchliches Archiv
    Dr. Hans Otte, Direktor
    Telefon: 0511 1241 755
    E-Mail: Hans.Otte@evlka.de

    Ort der Pressekonferenz
    Landeskirchenamt Hannover
    Rote Reihe 6, Großer Sitzungssaal, (Raum 130)
    11 Uhr

    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter
    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse05/17112005.pdf

    Bilder zum Projekt finden Sie unter
    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse05/17112005.htm


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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