Theoretische Physiker und Spieltheoretiker aus Kiel errechnen friedliche
Koexistenz unterschiedlicher Strategien
Der "Geschlechterkampf", wie ihn Richard Dawkins beschreibt, wird in endlichen Populationen zum Erliegen kommen: Das weisen Wissenschaftler, die sich an der Universität Kiel mit evolutionärer Spieltheorie beschäftigen, in der aktuellen Ausgabe der Physical Review Letters (2. Dezember) nach. Die Physiker gehen von Partnern in zwei biologischen Populationen, beispielsweise Männchen und Weibchen, aus, die jeweils zwei unterschiedliche Strategien im Paarungsverhalten verfolgen und deren Fortpflanzungserfolg jeweils von der Strategie des Partners abhängig sind. Durch die Asymmetrie der Situation - die Weibchen können sich der Aufzucht weniger entziehen - kann sich hierbei eine zyklische Aufeinanderfolge der möglichen Strategien ergeben.
Während in unendlich großen Populationen ein ständiges Hin- und Herpendeln der gesamten Population zwischen den konkurrierenden Strategien durch John Maynard Smith bereits bewiesen ist, konnten Dr. Arne Traulsen (Harvard University), Dr. Jens Christian Claussen (Uni Kiel) und Dr. Christoph Hauert (Harvard University) nun für endlich große Populationen ein diesem "Schweinezyklus" entgegengesetztes Ergebnis errechnen.
Aufwändige Berechnungen ergeben in endlichen Populationen ein differenzierteres Bild, denn das unendliche Hin- und Herpendeln findet hier nicht statt: Entweder eine Strategie stirbt ganz aus, oder es pendelt sich ein Gleichgewicht ein, in dem beide Strategien jeweils gleich oft vorkommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich also eine "friedliche" Koexistenz der unterschiedlichen Strategien entwickeln.
Dies ist die überraschende Konsequenz, die die Autoren aus ihrer Grundlagenarbeit ziehen, die in endlichen Populationen einen systematischen Zusammenhang zwischen den Unregelmäßigkeiten des "Wer stirbt erst" und der Dynamik der gesamten Population herstellt, und mathematisch beschreibt, wie diese in immer größeren Populationen schließlich jede Unregelmäßigkeit verliert.
Auch wenn nach Claussen "das Modell eher theoretisch ist", ließe die Untersuchung Schlüsse auf den Einfluss kleiner Populationsgrößen für bestimmte biologische Evolutionsvorgänge zu. Darüber hinaus seien die theoretischen Ergebnisse auf sozioökonomische Systeme oder soziale Konflikte zwischen zwei Gruppierungen übertragbar.
An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beschäftigt sich Professor Heinz Georg Schuster vom Institut für Theoretische Physik und Astrophysik , bei dem alle drei Autoren promoviert haben, mit Themen aus der Spieltheorie.
Literatur:
Arne Traulsen, Jens Christian Claussen, und Christoph Hauert, "Coevolutionary dynamics: From finite to infinite populations", Physical Review Letters 95, 238701 (2005)
http://link.aps.org/abstract/PRL/v95/e238701
John Maynard Smith, "Evolution and the Theory of Games" (Cambridge Univ. Press, Cambridge, 1982).
Richard Dawkins, "The Selfish Gene", (Oxford University Press, Oxford, 1976).
Deutsche Ausgabe:
Richard Dawkins, "Das egoistische Gen", (Springer, Berlin [u.a.] 1978; 1988) (Rowohlt TB, 1990) (Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg [u.a.] 1994).
Kontakt:
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Dr. Jens Christian Claussen
Tel. 0431/880-4096
claussen@theo-physik.uni-kiel.de
http://link.aps.org/abstract/PRL/v95/e238701
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Gesellschaft, Informationstechnik, Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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