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15.12.2005 10:46

Zwiespältiges Verhältnis der Muslime zur deutschen Gesellschaft

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Religionswissenschaftlerin von der Universität Jena analysierte religiöse Werte in muslimischen Medien

    Jena (15.12.05) Das Verhältnis der Muslime zur deutschen Mehrheitsgesellschaft bleibt zwiespältig. Nach Ansicht vieler muslimischer Autoren ist die westliche Gesellschaft, die man immer noch als Kolonialmacht wahrnimmt, zu konsumorientiert, sexuell zu freizügig, egoistisch und abweisend. Sie erscheint als eine kalte Leistungsgesellschaft. Zu diesem Ergebnis kommt eine empirische Studie von Silvia Kaweh, die im Januar 2006 im Traugott-Bautz-Verlag, Nordhausen erscheinen wird. In der Arbeit hat die Religions- und Islamwissenschaftlerin erstmals deutschsprachige, von muslimischen Organisationen herausgegebene Zeitschriften und Bücher jenseits des Schulunterrichtes untersucht. Kaweh nutzte dafür moderne computerunterstützte textanalytische Methoden.

    "Die meisten der untersuchten muslimischen Autoren entwerfen ein Selbstbild, das auf der Gewissheit basiert, der besten und ausgereiftesten Religion anzugehören", meint Kaweh, die vor kurzem ihr Promotionsverfahren am Lehrstuhl für Religionswissenschaft der Universität Jena abgeschlossen hat. Die Basis für einen Dialog oder sogar Trialog mit Judentum und Christentum auf der Grundlage der gemeinsamen abrahamitischen Tradition ist zwar gegeben. Er gestaltet sich aber nicht immer einfach, da die Schriften häufig Sure 3, Vers 110 des Korans zitieren. In dieser Sure werden Muslime als "die beste Gemeinschaft unter den Gläubigen" angeredet.

    Mit dieser Position verbinden die Autoren allerdings gleichzeitig hohe moralische Anforderungen an einen "idealen Muslim". Ethische Grundwerte und ein friedvolles Miteinander werden immer wieder besonders hervorgehoben. Die Reflexion über die Verantwortung eines Muslims gegenüber seinen Mitmenschen, Gottes Schöpfung und Gott gegenüber sowie seine Selbstverpflichtung zu guten Taten scheint den Autoren wichtiger zu sein als rituelle Verpflichtungen. "Dennoch sollten diese Ergebnisse nicht dazu verleiten", betont Kaweh, "gleich einem ,Euro-Islam' das Wort zu reden." Die Schriften erlauben laut ihren Analysen nicht die Schlussfolgerung, dass der Pflichtcharakter zugunsten eines individuell verantworteten Islam in den Hintergrund getreten sei, wie dies andere Studien behaupten. Dies könnte nur eine neuerliche Vergleichsstudie nachweisen, so Kaweh. Zudem zeigen die muslimischen Autoren noch starke Vorbehalte gegen eine Privatisierung von Religion, die kennzeichnend für die westliche Gesellschaft ist. Infolge dessen stellt man den Westen oft unter den Generalverdacht, nicht wertorientiert, sondern aus rein materialistischen Beweggründen zu handeln. So fühlen sich die deutschen Muslime auch grundsätzlich von gläubigen Christen besser verstanden als von der als areligiös wahrgenommenen Gesellschaft als Ganzer.

    Wenn in den untersuchten Werken ein theoretisches Gesellschaftsmodell entworfen wird, dann meist als Gegenentwurf zum nichtislamischen Westen. "Man kann durchaus feststellen, dass eine Selbstdefinition meist nur in Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft erfolgt. Muslime fühlen sich anscheinend immer noch zu sehr in die Defensive gedrängt", schlussfolgert Kaweh, die vor kurzem auch ein Buch über Ali Schariati, den Vordenker der Iranischen Revolution, veröffentlicht hat.

    Eine Bestandssicherung bestimmter muslimischer Werte ist das Ziel vieler Autoren, ist sich Kaweh sicher. Dies behindert zur Zeit noch einen Modernisierungsprozess. Manche Grundsätze hätten die Autoren, müssten sie weniger Energie auf Rechtfertigungsstrategien verwenden, zum Teil sicher schon neu definiert oder zumindest neu überdacht. Erste Ansätze dazu, so das hoffnungsvolle Fazit der Wissenschaftlerin, lassen sich bereits in den analysierten Printmedien finden.

    Heute leben cirka 3,2 Millionen Muslime in Deutschland. Davon sind rund 2,4 Millionen türkischer Nationalität. Konfessionelle Unterschiede bestehen zwischen Sunniten, Schiiten, Aleviten, oder aus dem Islam entstandenen Sondergemeinschaften wie Ahmadiyya, Baha'i oder mystischen Gruppierungen. 950.000 Muslime besitzen insgesamt die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Zahl deutschstämmiger Muslime wird auf 14.300 geschätzt.

    Bibliographische Angaben:
    Silvia Kaweh: Integration oder Segregation. Religiöse Werte in muslimischen Printmedien, Reihe: Bausteine zur Mensching-Forschung, Bd. 12, Verlag Traugott-Bautz, Nordhausen, ISBN 3-88309-340-8


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    Cover der Publikation.
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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