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27.09.1999 17:48

10 Jahre erfolgreiche Behandlung des akuten Lungenversagens

Dr. med. Silvia Schattenfroh GB Unternehmenskommunikation
Charité-Universitätsmedizin Berlin

    Das Jubiläum wird mit internationalem Symposium gefeiert.
    (ARDS-Symposium, 2.Oktober 1999, 8.30-16.00 Uhr,
    Charité, Campus Virchow-Klinikum Lehrgebäude, Audimax
    Augustenburger Platz 1 13 353 Berlin)

    AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN 23-1999

    Vor 10 Jahren bedeutete ein akutes Versagen der Lunge fast immer (in bis zu 90% der Fälle) den Tod des Betroffenen. Heute überleben 70-75% der Kranken diesen Zustand. Vor 10 Jahren, im Mai 1989, wurde in die "Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin"der Charité erstmals eine junge Patienten im lebensbedrohlichem Zustand des akuten Lungenversagens (ARDS= Acute Respiratory Distress Syndrom) eingeliefert und mit der sogenannten "künstlichen Lunge" (ECMO= extrakorporaler Membran-Oxygenator) erfolgreich behandelt. Der Leiter der Klinik, Professor Konrad Falke, hatte ECMO bereits fünf Jahre zuvor, 1983, erstmals in Deutschland, damals noch an seiner Wirkungsstätte in Düsseldorf, eingesetzt.
    Ab 1998 entwickelte sich die Berliner Klinik zu einem Zentrum der Behandlung des ARDS. 20 bis 25 Patienten mit diesem Krankheitsbild werden pro Jahr gewöhnlich von außerhalb, zum Teil auch aus dem europäischen Ausland, hierher verlegt. Ihre Sterblichkeit konnte von Jahr zu Jahr verringert werden, vor allem durch verbesserte Behandlungsmaßnahmen vor der Anwendung von ECMO. Dazu gehört die computertomographische Diagnostik ebenso wie die Beatmung der Patienten in Bauchlage. Dazu gehörte ferner die weltweit erstmals bei Patienten mit ARDS hier im Jahre 1991 eingeführte Inhalationsbehandlung mit dem gasförmigen Stickstoffmonoxyd (NO), das die Lungengefäße gezielt erweitert, die bei diesem Krankheitsbild extrem verengt sind. Die Klinik hat die Behandlung systematisiert unter Berücksichtigung immer wirksamerer, gleichzeitig die Lunge schonender Verfahren, die so erfolgreich sind, daß die "künstliche Lunge" immer seltener zum Einsatz kommen muß, zur Zeit nur 2-4 Mal im Jahr.
    Die Mehrzahl der meist jungen Patienten findet heute in ein normales Leben zurück, ihre körperliche Belastbarkeit im Alltag ist gut und manche Ehemaligen sind sogar zu erstaunlichen sportlichen Leistungen fähig.
    Neben dem ARDS-Zentrum der Charité haben sich inzwischen in Aachen, Freiburg, Mannheim, Marburg und München ebenfalls ARDS-Behandlungszentren gebildet, deren Kapazität insgesamt gerade ausreicht für den Bedarf in Deutschland. Nach dem Vorbild einer entsprechenden Initiative in Amerika wollen sich die sechs deutschen Zentren jetzt auch zu einem Netz, dem "German ARDS Net" zusammentun, um das doch relativ seltene Krankheitsbild wissenschaftlich noch eingehender zu erforschen. Die Arbeitsgruppe um Professor Falke ist daran auch deshalb besonders interessiert, weil sie in den vergangenen zehn Jahren Fragen des akuten Lungenversagens und angrenzende Probleme klinisch und experimentell vielfach bearbeitet hat und zur Zeit auch in vier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Forschungsprojekten verfolgt.

    Stickstoff-Monoxyd zur Behandlung von akutem Lungenversagen - Gespräch mit Professor Dr. Konrad-J.Falke,
    (Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Charité, Campus Virchow-Klinikum)

    Gewiß hätte die Vergabe des Nobelpreises für Medizin 1998 seinen Stifter Alfred Nobel besonders gefreut. Wurden doch drei Forscher geehrt für die Aufdeckung der Bedeutung des anorganischen Moleküls Stickstoffmonoxyd (Stickoxyd) NO, das sich als ein universaler Botenstoff im Organismus herausstellt, aber ebenso im Sprengstoff Nitroglycerin wirksam ist, mit dem Nobel sein Vermögen gemacht hatte. Die Funktion von NO im Organismus besteht vor allem in der Weitstellung verengter Gefäße. Da übermäßige Verengung von Blutgefäßen bei vielen Krankheiten anzutreffen ist, vom Bluthochdruck über Nierenleiden, vom Herzinfarkt und Schlaganfall bis zu Lungenleiden, war es vorhersehbar, daß die Medizin diese Substanz therapeutisch zu nutzen suchte. Wir sprachen darüber mit Professor Konrad J. Falke, dem Direktor der "Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin" der Charité.

    Frage: Herr Professor Falke, die Zeitschrift Science erklärte NO im Jahre 1992 zum "Molekül des Jahres". Sie haben um die gleiche Zeit Patienten, deren Lunge akut zu versagen drohte, weltweit erstmals erfolgreich mit NO beatmet. Ist NO ein Medikament?
    Falke: Niemand hatte anfangs gedacht, daß das Gas NO einmal zu einem Medikament werden könnte. Jetzt sehen wir aber bereits zwei Anwendungsgebiete: Das bekanntere dürfte die gefäßbedingte Erektionsunfähigkeit sein. NO erweitert die Gefäße im Schwellkörper des Penis, wodurch vermehrt Blut einströmt. Das Präparat "Viagra" verstärkt die Wirkung von NO. Außerdem wird das Gas weltweit bei akutem Lungenversagen angewandt. Hier geht es darum, die bei diesem Zustand extrem eng gestellten Lungengefäße, die kaum noch Sauerstoff aufnehmen, zu erweitern. NO kann als Gas inhaliert werden. Das ist eine völlig neue Therapie des Lungenversagens, die es zugleich erstmals ermöglicht, den erhöhten Blutdruck in der Lungenstrombahn zu senken und die Sauerstoffaufnahme zu verbessern, ohne gleichzeitig den Druck im Körperkreislauf absinken zu lassen, was lebensgefährlich ist. Dennoch ist NO für diesen Zweck bisher in keinem Land der Welt als Medikament zugelassen.
    Frage:.... wird aber trotzdem überall verwendet?....
    Falke: Ja, man mußte NO nicht entwickeln: Es war als industriell-technisches Gas vorhanden. Man mußte nur die Beatmungsgeräte auf der Intensivstation technologisch so einrichten, daß das Gas gefahrlos dem Atemgemisch beizumengen war.
    Frage: Gefahrlos?
    Falke: Ja und nein. NO entsteht bei Verbrennungsprozessen (Autoabgase, Zigarettenrauch) und befindet sich demzufolger in der Umwelt, vor allem im Straßenverkehr oder beim Rauchen inhaliert der Mensch z.T. relativ hohe NO-Konzentrationen. Außerdem bildet der Mensch es in niedrigen Konzentrationen in der Nase, von wo es autoinhaliert wird und in der Lunge seine gefäßerweiternde Wirkung entfalten kann. In höherer Konzentration ist es jedoch giftig. In die Blutbahn eingedrungen geht es mit dem sauerstofftransportierenden Blutfarbstoff (Hämoglobin) eine Verbindung ein. Es entsteht Met-Hämoglobin, das keinen Sauerstoff mehr binden kann. Deshalb darf NO nur in sehr niedrigen Konzentrationen (0,1 - 40 ppm) inhaliert werden. Außerdem verbindet es sich mit dem Sauerstoff der Atemluft zu dem äußerst gefährlichen NO2 , aus dem bei Kontakt mit Feuchtigkeit eine stark ätzende Säure entsteht, die der Lunge schaden würde. Daher müssen die Beatmungseräte so konstruiert sein, daß eine präzise Dosierung möglich ist und das Risiko der NO2 - Bildung ausgeschlossen wird.
    Frage:Wo liegt der Nutzen?
    Falke:Dazu gibt es viele kritische Stimmen. Die erwähnten physiologischen Effekte, vor allem die Verbesserung der Sauerstoffaufnahme in der Lunge scheinen sehr interessant, aber der Nutzen ist bis heute nicht exakt nachgewiesen. Dennoch sind die meisten Ärzte, die NO einsetzen, von seinem Nutzen überzeugt. Ihn aber zu beweisen erfordert kontrollierte Studien, die an den betroffenen Patienten nur sehr schwierig durchzuführen sind.
    Frage: Warum?
    Falke: Wir haben selbst (New England Journal of Medicine, 328 , [1993] 399-405) zwar gezeigt, daß beim akuten Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS) der Einsatz von NO nützlich ist, weil der überhöhte Blutdruck in der Lunge verringert wird, die Durchblutung von normal belüfteten Arealen und demzufolger der Sauerstoffgehalt des Blutes zunimmt. Es konnte jedoch bisher nicht bewiesen werden, daß die Patienten durch NO-Inhalation schneller gesund würden oder ihre Überlebenschancen stiegen. Außerdem hat NO eine unvermeidbare Nebenwirkung. Es hemmt die Blutgerinnung, was in manchen Fällen (etwa bei Sepsis) sogar ein erwünschter Effekt sein kann. Auf der anderen Seite besteht ein zusätzliches Blutungsrisiko, wodurch das Risiko für Gehirnblutungen, das bei diesen Patienten schon durch die Grundkrankheit gegeben ist, noch weiter steigt. Bei unseren 240 Patienten mit schwerem ARDS, die wir in den vergangenen 10 Jahren von anderen Kliniken übernommen und etwa zur Hälfte mit NO-Inhalation behandelt haben, konnten wir aber in Verbindung mit NO-Gabe keine erhöhte Häufigkeit von Hirnblutungen feststellen. Insgesamt ist der Anstieg der Überlebensrate unserer Patienten von anfangs 30 auf jetzt etwa 75 Prozent schon sehr hoch, (was übrigens die Vorteile der Behandlung Schwerstkranker in einem spezialisierten Zentrum deutlich macht). Unter diesen Bedingungen ist es sehr schwierig weitere Verbesserungen durch die Inhalation von NO statistisch nachzuweisen.
    Wir befinden uns in einem Dilemma, das die Intensivmedizin ganz allgemein betrifft. Zu beweisen, daß eine einzelne Maßnahme (NO-Inhalation) aus dem Bündel jener, die auf Intensivstationen bei Schwerstkranken eingesetzt werden, entscheidend nützlich ist, bleibt sehr kompliziert. Denn das Lungenversagen ist oft nur eine von mehreren Komponenten des krankhaften Geschehens, in diesem Zusammenhang wird auch vom Multiorganversagen gesprochen. Verbessert man die Lungenfunktion, so bedeutet dies noch nicht notwendiger Weise, daß dies den Patienten rettet. Feszuhalten bleibt also einstweilen, daß es noch keine Zulassung für NO beim akuten Lungenversagen des Erwachsenen gibt. Ebensowenig für seine Verwendung nach Herzoperationen und Lungentransplantationen, wo das Gas aber trotzdem zur Verbesserung der Herz- und Kreislauffunktion unmittelbar nach der Operation eingesetzt wird.
    Frage: Mit welcher Rechtfertigung?
    Falke: Mit der des "individuellen Heilversuchs". Dabei trägt aber immer der verantwortliche Arzt das Risiko. Das kann man auf die Dauer aber nicht beibehalten.
    Frage: Woher beziehen die Intensivstationen das NO?
    Falke: Wir nehmen seit 1990 technisch-industrielles NO höchster Reinheitsstufe, wie es auch weltweit verwendet wird. Allerdings hat die schwedische Firma AGA inzwischen ein medizinisches NO entwickelt, das auch uns zur Verfügung steht und vermutlich im kommenden Jahr in Frankreich und in den USA zugelassen werden wird.
    Frage: Zur Behandlung welcher Krankheiten?
    Falke: Zunächst nur für das sogenannte Atemnotsyndrom (ARDS) von Neugeborenen. Denn für dieses Einsatzgebiet gilt der Nutzen von NO als bewiesen. Bei diesem lebensbedrohlichen Zustand sind die Lungen des Kindes nicht ausreichend durchblutet. Beatmet man die Kinder mit NO, so nimmt die Durchblutung der Lunge schlagartig zu, die Sauerstoffaufnahme steigt und die durch den Sauerstoffmangel aufgetretene blaue Gesichtsfarbe verwandelt sich in rosa. In Amerika wurden Neugeborene mit Lungenhochdruck und -mangel-durchblutung bisher routinemäßig an Geräte für ECMO (extra-corporale Membran-oxygenation) angeschlossen, die mit Herz-Lungenmaschinen vergleichbar sind. Das ist eine sehr eingreifende Maßnahme. Seit man jedoch solche Kinder zunächst mit NO beatmet, ist der Einsatz von ECMO dramatisch zurückgegangen. Das dürfte bei der anstehenden Zulassung für das NO bei Kindern in den USA berücksichtigt werden.
    Frage: Erwarten Sie die Zulassung des AGA-Gases auch für das ARDS bei Erwachsenen?
    Falke: Das ist zur Zeit völlig offen. Natürlich wäre eine Zulassung zu begrüßen, denn die Verwendung von NO ohne Zulassung für den medizinischen Gebrauch hat bereits Kritik mit dem Vorwurf unethischen Verhaltens ausgelöst. Zulassung setzt aber positive Ergebnisse kontrollierter klinischer Studien voraus, die es bisher nicht gibt. Wenn aber Kinder NO schadlos tolerieren, so ist dies auch bei Erwachsenen zu erwarten. Daher wird sich die Sache für Erwachsene entschärfen, sobald die Zulassung für Kinder erst einmal erreicht ist. Bis dahin wird es beim "individuellen Heilversuch" bleiben.
    Frage: Könnte man nicht mit einem Rückgang der Anwendungshäufigkeit von ECMO argumentieren?
    Falke: Im Prinzip ja, aber ECMO ist bei Erwachsenen eine weniger etablierte Behandlungsform als bei Neugeborenen, die nur in wenigen Zentren (in Deutschland in Marburg, München, Freiburg, Mannheim, Berlin und Aachen) zur Verfügung steht.
    Trotzdem stellen auch wir fest, daß die Notwendigkeit der Behandlung mit ECMO - bei gleichbleibend hoher Überlebensrate - stark zurückgeht. Wir werden im nächsten Jahr eine eigene kontrollierte Studie dazu vorlegen.

    (Die Fragen stellte Silvia Schattenfroh)
    _____________________________________________
    Charité
    Medizinische Fakultät der
    Humboldt Universität zu Berlin

    Dekanat
    Pressereferat-Forschung
    Dr. med. Silvia Schattenfroh
    Augustenburger Platz 1
    13353 Berlin

    FON: (030) 450-70 400
    FAX: (030) 450-70-940

    e-mail: silvia.schattenfroh@charite.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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