idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
22.12.2005 14:37

300 Jahre nach der "Sendlinger Mordweihnacht": eine differenzierte Neubewertung des Bayerischen Bauernaufstandes von 1705 und seines juristischen Nachspiels

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Mit einer ausschließlich juristischen Würdigung seien die Dimensionen des Bauernaufstandes von 1705 nicht angemessen zu erfassen, aber unter juristischen Gesichtspunkten habe es sich bei diesem Aufstand gleichwohl um ein Verbrechen gehandelt, stellt der Augsburger Rechtshistoriker Dr. Christian Strasser in seiner jünngst erschienen Studie über die Strafprozesse gegen die Anführer der in der "Mordweihnacht von Sendling" gescheiterten Erhebung fest.
    ----

    Am 25. Dezember 2005 jährt sich zum 300. Mal die "Sendlinger Mordweihnacht". Über 1200 wehrlose Bauern aus dem bayerischen Oberland wurden damals von der kaiserlichen Kavallerie massakriert, nachdem ihr eher dilettantischer Versuch, die seit Mai 1705 unter Reichsverwaltung gestellte Hauptstadt München militärisch zu befreien, völlig gescheitert war. Dieser Bauernaufstand, seine Niederschlagung und sein juristisches Nachspiel, in dem allein die Aufständischen, nicht aber die für das Massaker Verantwortlichen, zur Rechenschaft gezogen wurden, lieferten von Beginn an ergiebigen Stoff für zahlreiche Mythen. Sie mündeten in eine meist undifferenzierte Verherrlichung der Aufständischen und insbesondere ihrer Rädelsführer, die geköpft und gevierteilt wurden und deren Leichenteile man an den Münchner Stadttoren zur Abschreckung öffentlich zur Schau stellte. Mit den Prozessen, die diesen Anführern des Bauernaufstands gemacht wurden und die bislang gemeinhin im Geruch willkürlicher Siegerjustiz standen, hat sich jetzt erstmals der Augsburger Rechtshistoriker Dr. Christian Strasser unter juristischen Gesichtspunkten wissenschaftlich auseinandergesetzt.

    HELDENTAT ODER MAJESTÄTSVERBRECHEN?

    Strasser hat seine kürzlich im LIT-Verlag erschienene Dissertation unter die Leitfrage gestellt, ob es sich bei diesem Aufstand im bayerischen Oberland vor genau 300 Jahren um eine Heldentat handelte oder um ein crimen laesae maiestatis, ein Majestätsverbrechen also, wie es den Anführern in ihren Prozessen zur Last gelegt und mit fünf Todesurteilen sowie mit mehreren langjährigen Haftstrafen, Landesverweisungen und Geldstrafen geahndet wurde. Die Grundlage, auf der Strasser dieser Frage nachgegangen ist, sind die fast vollständig erhaltenen Akten einer Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Geheimen Referendars Franz Joseph von Unertl, die unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstandes von der kaiserlichen Administration in München eingesetzt wurde.

    AUF DER BASIS DER RÖMISCHEN LEHRE VOM STAATSSCHUTZRECHT

    Weder das damalige Reichsrecht der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 noch die Bayerischen Malefitzprozeßordnung von 1616 habe seinerzeit einen griffigen Tatbestand des Majestätsverbrechens geliefert, stellt Strasser fest. Er erkennt demgegenüber in der von Wissenschaft und Praxis über die Jahrhunderte hinweg weiterentwickelten Form der in Rom begründeten Lehre vom Staatsschutzrecht die Grundlage der damaligen Prozesse: "Das politische Strafrecht des Hochverrats entzog sich demnach einer engen Fassung und suchte mittels generalklauselartiger Umschreibung eine Vielzahl von Fällen zu erfassen. So gilt der Täter als Feind des Staates und muss mit harter Strafe bis hin zur Vierteilung rechnen. Ebenso ist dem Inhaber der Majestät aber auch die Möglichkeit zu landesväterlicher Milde gegeben, um so weitere Spannungen zu vermeiden." Im Falle der Ahndung der Rädelsführer des Aufstands von 1705, so Strasser, habe man von dieser ganzen Bandbreite Gebrauch gemacht, aber "die Aburteilung der Rädelsführer bewegte sich aus juristischer Sicht durchaus innerhalb des zulässigen Systems". Die ausgesprochenen Strafen seien nach der damaligen Rechtsauffassung adäquat und teilweise sogar mild gewesen. So seien - mit Ausnahme der Rädelsführer - alle Aufständischen, soweit sie denn das Massaker überlebt hatten, pauschal begnadigt worden.

    FACHLICHE SICHT UND WAHRE DIMENSION

    Unter juristischen Gesichtspunkten sei der Bauernaufstand von 1705 sehr wohl als Verbrechen zu werten. Einem Aufbegehren gegen staatliche Ordnung sei die Rechtsordnung seit jeher mit Sanktionen begegnet, und ein Eingehen auf Gesinnung und Hintergründe vertrage sich dabei nicht mit dem Schutzzweck der Normen. "Von Willkürprozessen und Siegerjustiz zu sprechen, mag daher aus fachlicher Sicht für die Prozesse in den Jahren 1705 und 1706 verfehlt sein. Die Erhebung in ihrer wahren Dimension", hält Strasser freilich fest, "war jedoch mehr als nur Straftat. Diese Erhebung ausschließlich mit juristischer Würdigung erfassen zu wollen, wird ihr keinesfalls gerecht. Vielmehr erweckt die verzweifelte Selbsthilfe des Volkes Verständnis und ihre freiheitsliebende Zielsetzung verdient die allseitige Würdigung im Gedenkjahr 2005."

    IN DEN "AUGSBURGER SCHRIFTEN ZUR RECHTSGESCHICHTE" ERSCHIENEN

    Christian Strassers dogmengeschichtliche Untersuchung zum Majestätsdelikt, die das juristische Geschehen um die "Sendlinger Mordweihnacht" erstmals wissenschaftlich aufarbeitet und den Bayerischen Bauernaufstand von 1705 aus einer neuen Perspektive beleuchtet, wurde betreut von Prof. Dr. Christoph Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg. Zweitgutachter war der Landeshistoriker Prof. Dr. Rolf Kießling, Ordinarius für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Historisch-Philologischen Fakultät der Universität Augsburg. Die Unterstützung durch zwei Stiftungen hat die Veröffentlichung der Dissertation als Band 3 der von Christoph Becker herausgegebenen "Augsburger Schriften zur Rechtsgeschichte" ermöglicht.
    __________________________________

    Christian Strasser: Der Aufstand im bayerischen Oberland 1705 - Majestätsverbrechen oder Heldentat? Eine Untersuchung der Strafprozesse gegen die Anführer der in der "Mordweihnacht von Sendling" gescheiterten Erhebung (= Augsburger Schriften zur Rechtsgeschichte, Bd. 3), LIT-Verlag, Münster - Hamburg - Berlin - Wien - London 2005, 330 Seiten, ISBN 3-8258-8623-9, 29,90 Euro
    __________________________________

    KONTAKT:
    Dr. Christian Strasser
    Telefon 0821/598-4701
    christian.strasser@jura.uni-augsburg.de
    __________________________________

    Anhang:

    CHRISTIAN STRASSER ÜBER DEN WEG IN DIE "SENDLINGER MORDWEIHNACHT" UND IHRE MYTHISIERUNG

    Werfen wir den Blick in das Bayern vor dreihundert Jahren. Kurfürst Max Emanuel von Bayern hatte die entscheidende Schlacht des Spanischen Erbfolgekrieges verloren. Nach der Niederlage in Höchstädt im August 1704 hatte der ehrgeizige Wittelsbacher sein Land Hals über Kopf verlassen und sich unter dem Schutz des französischen Königs in die Spanischen Niederlande zurückgezogen. Seine Frau Theresie Kunigunde musste im November 1704 einen harten Friedensvertrag unterzeichnen, der zunächst drei der vier bayerischen Rentämter unter die Verwaltung des Heiligen Römischen Reichs stellte. Im Mai 1705 wurde dann auch der letzte bayerische Hoheitsbereich, das Rentamt München, unter die Reichsverwaltung gestellt. Die Wittelsbacher sollten von der politischen Landkarte verschwinden, bis der große Europäische Krieg beendet sei.

    DRÜCKENDE BESATZUNG

    Die Besatzung in Bayern war hart. War man zunächst aus dem Reichsverbund ausgeschert und hatte unter Max Emanuel Krieg gegen das Reich geführt, so wurde nun angeordnet, dass auch Bayern für den vormaligen Feind Rekruten zu stellen habe. Da sich kaum Freiwillige fanden, versuchte man die Bauernsöhne gewaltsam ins kaiserliche Heer zu zwingen. Auch die in Bayern stationierten Reichstruppen aus Württemberg, Franken und Österreich wollten verpflegt und untergebracht sein. Hauptsächlich die Bauern mussten diese Quartierslast tragen und nach dem Befehl Prinz Eugens täglich für jeden einquartierten Soldaten ein Pfund Fleisch, zwei Pfund Brot und eine Maß Bier aufbringen. Hinzu kam die fehlende Disziplin der Truppen, die vielfach zu gewaltsamen Übergriffen, Vergewaltigungen und sonstigen Misshandlungen der Landbevölkerung führten.

    KURBAIRISCHE LANDESDEFENSION

    Schon bald regte sich Widerstand und im Lauf des Jahres 1705 entbrannte im heutigen Niederbayern ein gewaltiger Aufstand des Volkes. Zunächst rotteten sich junge Burschen zusammen und überfielen kaiserliche Soldaten, später organisierte man sich sogar militärisch als "kurbairische Landesdefension". Schließlich konnten bedeutende Städte wie Braunau, Kehlheim oder Cham von den Bauerntruppen erstürmt und gehalten werden. Es formierte sich ein eigenes Bauernparlament, das angesichts der Untätigkeit der eigentlichen Ständevertretung in Bayern eine Befreiung von allzu harter Besatzung selbst in die Hand nehmen wollte.

    MIT MISTGABELN AUS DEM OBERLAND NACH MÜNCHEN

    Bis zur kaiserlichen Besetzung Mitte Mai 1705 war Oberbayern dem harten Schicksal noch entgangen. Im Frühwinter 1705 jedoch eskalierte die Situation auch dort. Angeheizt durch Gerüchte, man wolle die bayerischen Prinzen aus München endgültig nach Kärnten entführen, fanden sich geschickte Agitatoren in der Residenzstadt, die im Oberland für eine militärische Befreiung der besetzten Hauptstadt warben. Mit dem Weinwirt und Münchner Stadtrat Johann Jäger an der Spitze bereiste eine Verschwörergruppe das Alpenvorland und gewann vornehmlich im Tölzer Winkel, Starnberg, Miesbach und Rosenheim die Beamtenschaft für das Vorhaben. Man entwarf ein Patent, das die Befreiung des Rentamts München als Notwehr rechtfertigen sollte und entwarft Aufgebotsschreiben einer "Landesdefension Oberland". Unter Vorgabe der Landesverteidigung wurden die Bauernsöhne zu den Waffen gerufen und im Kloster Hohenschäftlarn gesammelt. Das Heer von über 3000, oftmals nur unzureichend mit Mistgabeln und Stangen bewaffneten, Bauern zog unter dem militärischen Oberbefehl abgedankter bayerischer Offiziere in einem Gewaltmarsch vor München und forderte die Übergabe der Stadt. Das verabredete Zusammenwirken mit den Münchner Bürgern jedoch schlug fehl. Die kaiserliche Administration war gewarnt und hatte Ausgangssperren verhängt.

    DIE "MORDWEIHNACHT" AM 25. DEZEMBER 1705

    Am Morgen des 25. Dezembers 1705 sollte es dann zur menschlichen Katastrophe kommen, die als "Mordweihnacht" Einzug in die bayerische Geschichtsschreibung gefunden hatte. Anrückende kaiserliche Armeen vertrieben die Bauern zunächst aus ihren Stellungen bis in das Dorf Sendling hinein. Dort erkannte man die Ausweglosigkeit der Situation und entschloss sich zur Kapitulation. Die militärischen Führer traten aus dem Dorf und ergaben sich dem kaiserlichen Militär. Daraufhin eilten auch die Bauern auf das verschneite Feld, warfen ihre Waffen fort, knieten nieder und beteten mit ihren Rosenkränzen in der Hand um Gnade. In ungezügelter Wut brach jedoch die kaiserliche Kavallerie über die wehrlosen Bauern ein und massakrierte über 1200 unbewaffnete. Hunderte Verwundete wurden vor den Spitälern im eisig kalten München zur Abschreckung aufgebahrt. Nur wenige der am Marsch Beteiligten sollten in ihre Heimatdörfer heimkehren.

    GEKÖPFT UND GEVIERTEILT

    Soweit man der Anführer habhaft werden konnte, wurden Prozesse unter dem Vorwurf des Majestätsverbrechens, des heutigen Hochverrats geführt. Die Verdächtigen wurden im Falkenturm in München gefangen gehalten und unter Anwendung der Folter wurden Geständnisse erwirkt. Das damalige Reichsrecht der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 sowie der Bayerischen Malefitzprozeßordnung von 1616 bediente sich zur Erlangung einer Rechtsgrundlage weitgehend des gelehrten Römischen Rechts und sanktionierte Erhebungen gegen die Obrigkeit nach einem vielschichtigen System. Die bayerische Justiz kam schließlich auch zu Aufsehen erregenden Urteilen. Während man bloßen Mitläufern auf Befehl des Kaisers die Amnestie aussprach, wurden die Rädelsführer auf öffentlicher Schaubühne zunächst geköpft und später gevierteilt. Zur Abschreckung schließlich hing man die leblosen Körperteile an die vier Münchner Stadttore und dokumentierte so, sich gegen Unruhe und Aufruhr zu wehren zu wissen.

    BIS 1714 UNTER KAISERLICHER BESETZUNG

    Der Widerstand in Oberbayern war nach der "Sendlinger Mordweihnacht" beendet. Es herrschte blankes Entsetzen über die grausame Niederschlagung der Erhebung. Die Aufständischen in Niederbayern konnten sich zwar noch einige Zeit halten, wurden dann aber im März 1706 in einer vernichtenden Schlacht bei Aidenbach geschlagen. Bayern sollte bis zum Abschluss des Friedensvertrages von Rastatt und Baden 1713/1714 unter kaiserlicher Besetzung bleiben. Dem Verhandlungsgeschick des französischen Königs schließlich verdankte es Kurfürst Max Emanuel, dass er im Jahre 1714 wieder als Regent in Bayern eingesetzt wurde.

    HISTORIKER, HEIMATVEREINE UND FREICORPS

    Um den bayerischen Bauernaufstand ranken sich zahlreiche Mythen. Seit dem 19. Jahrhundert wurden die Aufständischen als Patrioten und Freiheitskämpfer glorifiziert. Historiker, Bühnenstücke sowie Heimat- und Trachtenvereine widmeten sich vor allem der sagenhaften Figur des Schmieds von Kochel, der als Sinnbild für die Bayerntreue auf zahlreichen Denkmälern im bayerischen Oberland vom Kampf um die geliebte Heimat berichtet. Vieles wurde in den Bauernaufstand hineinprojiziert, mit der historischen Wahrheit wurde es dabei nicht immer ganz genau genommen. Vor allem die Bereitschaft der Oberländer Bauern an einer Befreiung der Hauptstadt München mitzuwirken, wurde oft bemüht und nicht zuletzt in der Niederschlagung der Räterepublik von 1919 durch Oberländer Freikorps


    Bilder

    Der Augsburger Rechtshistoriker Christian Strasser und seine 300 Jahre nach der "Sendlinger Mordweihnacht" erschienene Dissertation zu deren juristischem Nachspiel
    Der Augsburger Rechtshistoriker Christian Strasser und seine 300 Jahre nach der "Sendlinger Mordweih ...

    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Politik, Recht
    regional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Der Augsburger Rechtshistoriker Christian Strasser und seine 300 Jahre nach der "Sendlinger Mordweihnacht" erschienene Dissertation zu deren juristischem Nachspiel


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).