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09.01.2006 10:35

Ärzte unter Anklage: RUB-Veröffentlichung über den Nürnberger Ärzteprozess

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Unvorstellbar ist die Grausamkeit der Experimente, welche SS-Ärzte im dritten Reich an KZ-Häftlingen durchführten. Viele Opfer kamen bei Unterkühlungsversuchen, Meerwasser-Experimenten und anderen Versuchen zu Tode. Nach dem Krieg wurden 23 Nazis im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt. Der Mediziner Alexander Mitscherlich beobachtete im Auftrag der Ärztekammer den Prozess. Unter dem Titel "Vom Diktat der Menschenverachtung" veröffentlichte er 1946 seine Eindrücke, zwei leicht veränderte Veröffentlichungen erschienen 1949 und 1960 unter den Titeln "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" und "Medizin ohne Menschlichkeit". Mitscherlich forderte die gesamte Ärzteschaft auf, Reue zu zeigen, was nicht im Sinne der Ärztekammer war. In seiner Publikation "Vom Diktat der Menschenverachtung 1946 zur Medizin ohne Menschlichkeit 1960: Zur frühen Wirkungsgeschichte des Nürnberger Ärzteprozesses" (Hg.: Prof. Dr. Burkard May, Prof. Dr. Hans-Martin Sass, Zentrum für medizinische Ethik der RUB), beschreibt der Mediziner Professor Dr. Fritz Hartmann das Verhältnis Mitscherlichs zur deutschen Ärzteschaft und informiert detailliert über den Nürnberger Ärzteprozess.

    Bochum, 09.01.2006
    Nr. 9

    Ärzte unter Anklage
    RUB-Veröffentlichung über den Nürnberger Ärzteprozess
    Prozessbeobachter klagt gesamte Ärzteschaft an

    Unvorstellbar ist die Grausamkeit der Experimente, welche SS-Ärzte im dritten Reich an KZ-Häftlingen durchführten. Viele Opfer kamen bei Unterkühlungsversuchen, Meerwasser-Experimenten und anderen Versuchen zu Tode. Nach dem Krieg wurden 23 Nazis im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt. Der Mediziner Alexander Mitscherlich beobachtete im Auftrag der Ärztekammer den Prozess. Unter dem Titel "Vom Diktat der Menschenverachtung" veröffentlichte er 1946 seine Eindrücke, zwei leicht veränderte Veröffentlichungen erschienen 1949 und 1960 unter den Titeln "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" und "Medizin ohne Menschlichkeit". Mitscherlich forderte die gesamte Ärzteschaft auf, Reue zu zeigen, was nicht im Sinne der Ärztekammer war. In seiner Publikation "Vom Diktat der Menschenverachtung 1946 zur Medizin ohne Menschlichkeit 1960: Zur frühen Wirkungsgeschichte des Nürnberger Ärzteprozesses" (Hg.: Prof. Dr. Burkard May, Prof. Dr. Hans-Martin Sass, Zentrum für medizinische Ethik der RUB), beschreibt der Mediziner Professor Dr. Fritz Hartmann das Verhältnis Mitscherlichs zur deutschen Ärzteschaft und informiert detailliert über den Nürnberger Ärzteprozess.

    Kollektivschuld sollte abgewendet werden

    Nachdem bekannt worden war, dass deutsche Ärzte im Nazi-Regime unmenschliche Versuche an Juden, Geisteskranken und Häftlingen durchgeführt hatten, beschloss die Ärztekammer, den Nürnberger Ärzteprozess von einem aus ihren Reihen beobachten und dokumentieren zu lassen. Ziel war es, "alles zu tun, um den Begriff der Kollektivschuld von der Ärzteschaft in Presse und Öffentlichkeit abzuwenden", wie der Geschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Karl Haedenkamp, sagte. Für diese Aufgabe wurde der Neurologe Alexander Mitscherlich ausgewählt.

    Vorwurf an die Ärztekammer

    Als Widerstandskämpfer hatte Mitscherlich einige Monate in Gestapohaft verbracht. Seine Aufgabe als Prozessbeobachter nahm er sehr ernst. In seinen Dokumentationen ist akribisch belegt, wie NS-Mediziner Unterdruck- und Unterkühlungsversuche anstellten, künstlich Fleckfieberinfektionen auslösten, Transplantationen vornahmen und Sulfonamide an künstlich Infizierte verabreichten. "Mitscherlich forderte von der gesamten Ärzteschaft, öffentlich Reue für die Verbrechen der Nazis zu bekennen", erklärt Fritz Hartmann. In seiner Publikation beschreibt er, wie sich das Verhältnis zwischen Mitscherlich und der Ärztekammer verschlechterte. Der Prozessbeobachter warf den Verantwortlichen vor, die Verbreitung seiner Dokumentationen behindert zu haben. Seinen Unmut bringt er in den Vor- und Nachworten sowie den Kommentaren zur Geltung, wobei diese in den drei verschiedenen Ausgaben variieren.

    Zeitzeuge des Nürnberger Ärzteprozesses

    Fritz Hartmann wurde 1920 geboren und studierte in Berlin, Göttingen, Rostock, Breslau und Hamburg Medizin. Er gehört zu den Zeitzeugen des Nürnberger Ärzteprozesses und lernte Alexander Mitscherlich persönlich kennen. In seiner Publikation beschreibt er die Vorgänge aus der Sicht des Prozessbeobachters. Die Reaktionen Mitscherlichs auf die kontroverse Diskussion in der deutschen Ärzteschaft über eine Mitschuld im Dritten Reich stehen dabei im Mittelpunkt.

    Titelaufnahme

    Hartmann, Fritz: Vom "Diktat der Menschenverachtung" 1946 zur "Medizin ohne Menschlichkeit" 1960 (= Medizinethische Materialien, Bd. 161), Bochum 2005, ISBN 3-931993-42-6, 6 Euro

    Weitere Informationen

    Zentrum für medizinische Ethik Bochum, Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32-22749, Fax: 0234/32-14598, E-Mail: Med.Ethics@ruhr-uni-bochum.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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