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06.02.2006 08:00

Dr. Leopold Lucas-Preisträger des Jahres 2006: René Girard, Stanford

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Der mit 40.000 Euro dotierte Dr. Leopold-Lucas-Preis wird im Jahre 2006 dem Professor emeritus für Französisch, Literatur- und Kulturwissenschaften René Girard von der Stanford University in Kalifornien verliehen, Die diesjährige Preisverleihung wird am
    16. Mai 2006, um 17.15 Uhr, im Festsaal der Eberhard Karls Universität stattfinden.

    René Girard wurde 1923 in Avignon geboren, studierte Mediävistik in Paris und wurde 1947 mit einer Arbeit über das Privatleben in Avignon im 15. Jahrhundert promoviert. Nach einer zweiten Dissertation 1950 an der Indiana University blieb Girard in den USA, wo er 1957 bzw. 1961 Professor in Baltimore und 1968 in Buffalo wurde, bevor er 1976 nach Baltimore zurückkehrte. Von 1980 bis 1995 war er Professor in Stanford. Im März 2005 wurde er zum Mitglied der Académie Francaise gewählt.

    Ein starkes internationales Echo fand Girard durch seine grundlegende und wegweisende kulturtheoretische Studie "Das Heilige und die Gewalt", Zürich 1987. Hier wird in schonungslosem Realismus das Problem der Gewalt und ihrer Eindämmung als Zentralproblem der Kultur gesehen. Die im mimetischen Begehren gründende und sich aus dieser Quelle ständig reproduzierende Gewaltneigung des Menschen verlangt nach Wegen ihrer Bändigung. Diese sieht Girard vor allem von den Religionen gewiesen. Im Gegensatz zu einer heute überwiegenden Sicht kommt also für Girard Religion nicht als Quelle von Gewalt sondern als Mittel zu ihrer Bändigung in Betracht. So kann etwa der "Sündenbockmechanismus" als ein Versuch der Einhegung von Gewalt mit den Mitteln des Ritus verstanden werden. Gleichzeitig insistiert Girard jedoch darauf, dass eine radikale Bearbeitung des Gewaltproblems erst gelingt, wenn dessen eigentliche Quelle erreicht wird: die gewalterzeugenden Gestalten des menschlichen Begehrens. Hier sieht Girard das eigentliche Leistungspotential der jüdisch-christlichen Tradition. Seine Apologie des Christentums - "Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz", München 1999 - beschreibt die Offenbarung der Machtlosigkeit des Bösen. Diese Offenbarung verwandelt das Begehren an der Wurzel: Sie erlöst es aus seiner gewalterzeugenden und befreit es zu einer gewaltvermeidenden Gestalt. Ob freilich dieses Potential geschichtlich ausgenutzt oder verspielt wurde, bleibt eine drängende kritische Frage, die ihre Erörterung und Beantwortung im interdisziplinären Gespräch aller Human- und Kulturwissenschaften verlangt.

    Der Dr. Leopold Lucas-Preis würdigt alljährlich hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, der Geistesgeschichte, der Geschichtsforschung und der Philosophie. Er ehrt dabei insbesondere Persönlichkeiten, die zur Förderung der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern wesentlich beigetragen und sich durch Veröffentlichungen um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören namhafte Wissenschaftler wie Karl Rahner, Paul Ricoeur, Raimund Popper, Michael Walzer und Michael Theunissen, Repräsentanten des religiösen Lebens wie Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama oder der polnische Erzbischof Henryk Muszynski, sowie der Kultur und Politik wie Léopold Sédor Senghor, der frühere senegalesische Staatspräsident, und Richard von Weizsäcker. Preisträger des letzten Jahres war der Historiker Yosef Hayim Yerushalmi.

    Die Auszeichnung wurde 1972 von dem am 9. Juli 1998 verstorbenen Generalkonsul Franz D. Lucas, ehemals Ehrensenator der Eberhard Karls Universität, zum 100. Geburtstag seines in Theresienstadt umgekommen Vaters, des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas gestiftet. Die Evangelisch-theologische Fakultät vergibt den Preis alljährlich im Namen der Universität Tübingen.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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