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13.10.1999 08:25

Avantgarde-Bewegungen in Spanien und Lateinamerika nicht länger ignorieren

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jenaer Hispanist eröffnet neues Kapitel der Literaturgeschichte

    Jena (13.10.99) Es ist notwendig, die Literaturgeschichten über Spanien und Südamerika zu erweitern. Dies hat der Jenaer Hispanist Prof. Dr. Harald Wentzlaff-Eggebert ermittelt und jetzt in zwei neuen Publikationen untermauert.

    Avantgarde-Literatur entstand in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts nicht nur in Mittel- und Ost-Europa, sondern fand ihre Ausprägungen auch in den portugiesisch- und spanischsprachigen Ländern. "Die Avantgarde hat die übliche Wahrnehmung der Welt über den Haufen geworfen", sagt Harald Wentzlaff-Eggebert. Während der Futurismus in Italien und Russland, der Expressionismus in Deutschland oder der Surrealismus in Frankreich anerkannte Kunst- und Literaturformen sind, wurde bislang von der deutschen Romanistik weitgehend "ignoriert", dass es entsprechende Revolten auch im ibero-romanischen Raum gab. Wie diese Avantgarde-Bewegungen aussahen, konnte Wentzlaff-Eggebert, der dieses Thema seit den 80er Jahren erforscht, erstmals 1995 zusammenfassend darlegen - in der "Lateinamerikanischen Literaturgeschichte" des Metzler-Verlages.

    Doch außer mit der Ignoranz der Fachkollegen mußte der Jenaer Lehrstuhlinhaber für Romanische Literaturwissenschaft auch mit patriotischen Empfindlichkeiten kämpfen. Spanier wie Lateinamerikaner stuften die Beeinflussung durch Europa als sehr gering ein und "betonten um so stärker ihre Eigenständigkeit" - auch dieses politisch motivierte Urteil versucht Wentzlaff-Eggebert zurecht zu rücken, denn bei aller Umorientierung kann der Einfluss Europas kaum geleugnet werden. Eine direkte Rückwirkung fand allerdings nicht statt, "denn die Europäer waren sich selbst genug, sie schauten nicht nach Südamerika".

    Dort hätten sie eine Vielzahl von ebenso authentischen wie eigenwilligen Texten entdecken können, wie Harald Wentzlaff-Eggebert in einer mit zwei Kollegen aus den USA herausgegebenen Reihe von Bibliografien (mit Texten) dokumentiert, deren dritter Band noch vor Weihnachten im Vervuert-Verlag erscheinen soll. "Es existierten vielfältige Bewegungen der Avantgarde und in Spanien ebenso wie in Lateinamerika hatten sie ein ganz unverwechselbares Gesicht", erläutert der Jenaer Hispanist mit Blick auf Ausprägungen wie "Simplismus", "Schrillismus" oder "Kreationismus". Allen Bewegungen gemein war, dass die Zielscheiben ihrer Angriffe jeweils dem lokalen Kontext entsprachen.

    Dies unterstreicht auch Wentzlaff-Eggeberts Definition der Avantgarde, die für ihn mehr als ein weiterer Epochenstil innerhalb der Kunst ist. "Avantgarde will eine Gesamtveränderung erreichen nach dem Prinzip: Das Leben soll an der Kunst genesen", lautet seine Begriffsbestimmung. Technikenthusiasmus und Weltkriegserfahrung begründeten die Hoffnung: Der neue, humanitäre Mensch müsse geboren werden - dieser Gedanke gab Harald Wentzlaff-Eggeberts gerade in der Reihe der "Bibliotheca Iberoamericana" erschienenem Buch auch den Titel "Na-ciendo el hombre nuevo...". Um den Menschen zu ändern, veränderte man Sprache und Form von Literatur und Kunst, schuf die Avantgarde - und scheiterte. Der neue Mensch ließ sich nicht so einfach kreieren. Das verführte viele Künstler zu radikalem politischen Engagement. "Die Avantgardisten waren anfällig für totalitäre Ideologien", fasst Wentzlaff-Eggebert zusammen.

    Doch je weniger die Weltkriegserfahrung durchschlug, um so mehr rückten diese Ansprüche in den Hintergrund. Dennoch waren es in Südamerika die politischen Herrschaftsverhältnisse, die Unterdrückung durch eine kleine Oberschicht und das allgegenwärtige hohle patriotische Pathos, die die Avantgarde-Bewegungen, "deren Spuren man überall findet", auslösten. Sehr häufig war der Avantgarde - wie in Europa - nur eine kurze Dauer beschieden, bevor die Künstler auf traditionelle Formen zurückgriffen. Die Avantgarde-Bewegungen endeten meist nach den politischen Veränderungen der 30er Jahre - oder gingen darin auf. Nur wenige Künstler wie der Spanier Ramón Gómez de la Serna oder der Argentinier Oliverio Girondo, deren Werke Harald Wentzlaff-Eggebert gemeinsam mit Studierenden übersetzt und in mehreren zweisprachigen Ausgaben veröffentlicht hat, blieben der Avantgarde ihr Leben lang treu.

    "Die Erkenntnis, wie viele Avantgarde-Texte und -Bewegungen es im spanischsprachigen Raum gab", hat selbst Harald Wentzlaff-Eggebert überrascht. In seinen Büchern zum Thema zeichnet er ein beredtes Bild davon, um so unser Bild von Spanien und Lateinamerika weiter zu differenzieren.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Harald Wentzlaff-Eggebert
    Institut für Romanistik der Universität Jena
    Ernst-Abbe-Platz 8
    07743 Jena
    Tel.: 03641/944620
    Fax: 03641/944622
    E-Mail: Simone.Traber@uni-jena.de

    Bibliographische Angaben:
    Harald Wentzlaff-Eggebert (Hg.): Naciendo el hombre nuevo... Fundir literatura, artes y vida como práctica de las vanguardias en el Mundo Ibérico. Frankfurt am Main/Madrid 1999, Vervuert/Iberoamericana, ISBN 3-89354-572-7, 56 DM.

    Harald Wentzlaff-Eggebert: Las vanguardias en Espana - Bibliografía y antología crítica. Frankfurt am Main/Madrid 1999, Vervuert/Iberoamericana, ISBN 3-89354-292-2, ca. 88 DM.


    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Axel Burchardt M. A.
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931041
    Fax: 03641/931042
    e-mail: hab@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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