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13.10.1999 11:00

Wie Homo zum Menschen reifte

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena. (13.10.99) Ein neuer Blick auf die Stammesgeschichte des Menschen öffnet sich von kommendem Freitag (15.10.) an dem Besucher des Phyletischen Museums an der Universität Jena. Auf 65 Quadratmetern haben die Wissenschaftler um Prof. Dr. Martin S. Fischer die Menschwerdung des Menschen handgreiflich und anschaulich dargestellt. - "Einer der schönsten und modernsten Anthropogenese-Säle in der europäischen Museumslandschaft", freut sich Fischer, nicht ganz ohne Stolz auf die Leistung der Mitarbeiter.

    Neben Vitrinen mit Skelettabgüssen, z. B. der berühmten "Lucy" und des "Turkana-Boy", beherrscht nun Hightech die Szenerie: Eine interaktive Touch-Screen-Anlage beantwortet den Besuchern mit über 200 Bild- und Texttafeln, Animationen und Videosequenzen, wie der hominide Affe den aufrechten Gang erwarb und sich peu à peu zu dem entwickelte, was wir heute sind. Bei der Anschaffung half die Abbe-Stiftung und ergänzte mit zahlreichen anderen Sponsoren den Fundus an Landesmitteln für den neuen Saal auf über 130.000 Mark. Per Laser-Beamer, ein Geschenk der Carl Zeiss Jena GmbH, können für Schulklassen die Bilder großflächig projiziert werden.

    Wichtiger aber noch als die technische Ausstattung ist Martin Fischer die neue Konzeption der Ausstellung. "Wir haben in vierjähriger Arbeit auch ganz aktuelle Forschungsergebnisse der Paläoanthropologie umgesetzt", berichtet er. Vor allem der - inzwischen ausgeschiedenen - Volontärin Sandra Werner sei es zu danken, dass das revolutionär neue Verständnis von der Anthropogenese so anschaulich nachvollziehbar werde. Denn nicht nur eine, sondern gleich drei Menschenarten besiedelten über 500.000 Jahre lang von Afrika aus den Globus: Homo erectus, Homo neanderthalensis und natürlich unser eigener Urahn Homo sapiens.

    "Dabei wissen wir heute, dass Homo erectus und der Neandertaler keine weniger intelligenten Vorformen des Homo sapiens waren, sondern sehr eigenständige und recht hoch entwickelte Zweige in der viereinhalb Millionen Jahre alten Geschichte der Hominiden darstellen", refereriert Fischer die aktuelle Forschung. So pflegte der Neandertaler, dessen abstammungsgeschichtliche Originalität der Leipziger Paläoanthropologe Svante Pääbo per Genanalyse bestätigte, für seine Toten nachweislich rituelle Bestattungsformen. Der - im Jenaer Museum nachgebildete - Fund aus dem israelischen Kebara zeugt also von den transzendentalen Vorstellungen dieses Urmenschen, der auch bereits über erhebliche handwerkliche und jagdstrategische Fähigkeiten verfügte.

    Ähnlich der Homo erectus: "Wir sind sicher, dass diese Art nicht ohne nautische Kenntnisse bis nach Australien hätte vorstossen können", so Fischer, "und wer segelte, beherrschte auch Verständigungsformen, die schon die Bezeichnung ,Sprache' verdienen." Die weltweit einzige bekannte Homo erectus-Siedlung nahe dem nordthüringischen Ort Bilzingsleben wird durch Wissenschaftler der Universität Jena erforscht. Internationale Experten raten inzwischen dringend, diese Fundstätte von der UNESCO als Weltkulturerbe deklarieren zu lassen.

    Warum die relativ kulturfähigen Homo erectus und Homo neanderthalensis vor rund 30.000 Jahren ausstarben, ist den Anthropologen indes ein Rätsel. Stutzig macht auch der Blick in die jüngere Vergangenheit. "Wir Deutschen sind stammesgeschichtlich näher mit den Iranern verwandt als mit den Sarden", erklärt Prof. Fischer, "spätestens hier muss man einsehen, dass ein biologistischer Rassenbegriff nur auf barem Unsinn beruht." Wer als Besucher im Phyletischen Museum das Stadium des Staunens überwindet, erhält am Ende mehr Fragen als Antworten. "Aber dafür ist ein Museum doch da", erklärt Martin Fischer, "am Abenteuer Menschwerdung darf jeder teilhaben."

    Der neue Anthropogenese-Saal wird am Freitag abend um 19 Uhr mit einem Vortrag von Fischer, Kafkas "Bericht an eine Akademie", vorgetragen von David Jeker vom Theaterhaus Jena und anregenden Gesprächen vor der neuen Ausstellung eröffnet. Gäste sind herzlich willkommen.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Martin S. Fischer
    Tel.: 03641/949140
    e-mail: b5fima@rz.uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


    Weitere Informationen:

    http://www.zoo.uni-jena.de/~biltzing/all/museum/museum.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Informationstechnik, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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