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21.02.2006 10:09

Was wäre, wenn die Vogelgrippe zur Pandemie würde - RUB-Ethiker zu Terror, Krieg, Katastrophe

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    "Wenn es aufgrund des Vogelgrippe-Virus zu einer Pandemie unter Bürgern kommen sollte, dann brechen die gesundheitliche Versorgung und die öffentliche Ordnung zusammen", prophezeit Prof. Dr. Hans-Martin Sass (Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr-Universität). Der Wissenschaftler hat sich mit der "Medizinischen Ethik bei Notstand, Krieg und Terror" befasst und bei seinen Recherchen festgestellt, dass staatliche Institutionen, Mediziner und Bürger in Deutschland mangelhaft auf Notstandssituationen vorbereitet sind. Seine Anfang Februar - kurz vor dem Nachweis der Vogelgrippe auf der Insel Rügen - erschienene Publikation ist ein Plädoyer für eine wesentlich weiter gehende Information und Beratung der Bürger, eine Aufnahme der Katastrophenmedizin in die Ausbildung von Ärzten und Pflegern und die bessere Vorbereitung des Gesundheitswesens und der Ordnungskräfte auf einen möglichen Katastrophenfall.

    Bochum, 21.02.2006
    Nr. 66

    Was wäre, wenn die Grippe der Vögel zur Pandemie für Menschen würde?
    Medizinische Ethik in Notstandssituationen
    RUB-Ethiker zu Terror, Krieg, Katastrophe

    "Wenn es aufgrund des Vogelgrippe-Virus zu einer Pandemie unter Bürgern kommen sollte, dann brechen die gesundheitliche Versorgung und die öffentliche Ordnung zusammen", prophezeit Prof. Dr. Hans-Martin Sass (Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr-Universität). Der Wissenschaftler hat sich mit der "Medizinischen Ethik bei Notstand, Krieg und Terror" befasst und bei seinen Recherchen festgestellt, dass staatliche Institutionen, Mediziner und Bürger in Deutschland mangelhaft auf Notstandssituationen vorbereitet sind. Seine Anfang Februar - kurz vor dem Nachweis der Vogelgrippe auf der Insel Rügen - erschienene Publikation ist ein Plädoyer für eine wesentlich weiter gehende Information und Beratung der Bürger, eine Aufnahme der Katastrophenmedizin in die Ausbildung von Ärzten und Pflegern und die bessere Vorbereitung des Gesundheitswesens und der Ordnungskräfte auf einen möglichen Katastrophenfall.

    Mehr Informationen der Bürger

    In seinem Aufsatz eröffnet Sass unterschiedliche Szenarien, allesamt bedrohlich und höchst verzwickt: Was, wenn das H5N1-Virus tatsächlich auf den Menschen übergreift, Millionen weltweit sich infizieren? Die Krankenhäuser hätten für solch einen Fall viel zu geringe Kapazitäten, das öffentliche Leben, die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie würde zusammenbrechen. Wer könnte in dieser Notstandssituation noch Entscheidungen treffen und auf welcher Basis? Wem sollen die Ärzte zuerst helfen? Der Medizinethiker bescheinigt der Bundesrepublik eine mangelhafte Vorbereitung auf diesen Fall: "Die systemische Tendenz staatlicher Bürokratien zu Geheimniskrämerei und Geheimhaltung uninformierten Bürgern gegenüber, denen man die Konfrontation mit außerordentlichen und nicht sehr erfreulichen Informationen und Ratschlägen ersparen will, ist im Falle des Unterlassens lebenswichtiger Information für Situationen eines möglichen totalen oder teilweisen Zusammenbruchs öffentlicher Leistungen und Ordnungen ordnungspolitisch unakzeptabel und unverantwortlich". Er fordert die vorsorgliche Bereitstellung von Medikamenten und Vorräten, vor allem aber die frühzeitige umfassende Information und Beratung der Bevölkerung. Andererseits ist übertriebene Panikmache ebenso fehl am Platze: Die USA rufen ihre Bürger seit September 2001 fortwährend zur Wachsamkeit auf - eine unmögliche Forderung. Staatliche Stellen wandeln hier auf schmalem Grat.

    Ethische Herausforderung: Patient Terrorist

    Auch mit Szenarien angesichts der Bedrohung durch Terrorakte setzt sich Prof. Sass auseinander. Was z.B. soll ein Arzt tun, der mit dem Wunsch einer Obrigkeit konfrontiert ist, einen dringend terrorverdächtigen Nierenkranken zu dialysieren, der im Besitz wichtiger Informationen über anstehende Terroranschläge ist, die Dialyse jedoch ablehnt, weil er lieber sterben als Informationen über den Anschlag an die Gegner geben will? Zwingt der Arzt den Patienten gegen dessen Willen zur Dialyse, so handelt er gegen seine ethischen Prinzipien für den Normalfall, rettet aber so womöglich tausenden anderen das Leben. Wo verläuft die Trennlinie zwischen Normalfall und Notstand? Auf solche Fälle sind Medizinstudierende nicht oder zu schlecht vorbereitet, bemängelt Sass. Ihre Ausbildung umfasse nur den normalen Alltag.

    Das Gewissen ist oberste Instanz

    Doch selbst die beste theoretische Vorbereitung, die ausführlichste Diskussion im Hörsaal und die Verinnerlichung ethischer Regeln können allein nicht Grundlage einer verantwortungsvollen Entscheidung im Ernstfall sein: Letztlich entscheidet jeder in der Notsituation entsprechend seinem Gewissen, braucht Mut und Entschlossenheit. Einzelfallentscheidungen werden häufig intuitiv getroffen, und das müsse nicht falsch sein, so Sass. Wichtig sei allein, dass die Begründung für ein bestimmtes Vorgehen tragfähig ist, auch wenn formale Regeln, die für den Normalfall entworfen wurden, im Notfall verletzt werden.

    Titelaufnahme

    Hans-Martin Sass: Medizinethik bei Notstand, Krieg und Terror. Verantwortungskulturen bei Trage, Endemie und Terror (= Medizinethische Materialien, Bd. 165), Bochum 2006, 21 Seiten, 6 Euro, ISBN 3-931993-46-9

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Hans-Martin Sass, Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-22749 oder -22750, E-Mail: Med.Ethics@ruhr-uni-bochum.de, Internet: http://www.rub.de/zme


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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