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06.03.2006 15:28

FiBS-Kommentar zur Föderalismusreform

Birgitt A. Cleuvers Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)

    FiBS: Der Bund muss stärker in die Bildungsfinanzierung eingebunden werden, um zusätzliche Bildungsinvestitionen zu ermöglichen
    Vor über einem Jahr scheiterte die Föderalismusreform in letzter Minute an Unstimmigkeiten über die Zuständigkeiten im Bildungssystem. Jetzt hat sich der Wind offenbar gedreht. Bundesregierung und Bundesländer scheinen sich einig, dass die Föderalismusreform kommen und mit ihr das Bildungswesen in die fast ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen soll. Das FiBS bekräftigt die Bedeutung des Bundes für das Bildungswesen, insbesondere für die Finanzierung. Dr. Dieter Dohmen, der Leiter des Instituts, erläutert seine Position.

    Wer die Diskussion über den Bildungsföderalismus und dessen Reform nüchtern betrachtet, kann sich oft nur verwundert die Augen reiben, welche Argumente vorgetragen werden. Dass die Bundesländer ihre wenigen Kernkompetenzen nicht aufgeben, sondern lieber ausbauen wollen, ist dabei durchaus nachvollziehbar und Stichworte wie Wettbewerbsföderalismus haben unbestritten ihren Reiz. Gerade mit Blick auf den Bildungsbereich muss man sich aber schon - rein sachlich - fragen, ob das wirklich sinnvoll ist oder ob darin nicht vielmehr volkswirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sprengstoff liegt. Ökonomisch wären zusätzliche Bildungsinvestitionen notwendig, was aber durch das Auseinanderfallen von Kosten und Erträgen von Bildung verhindert wird. Die Föderalismusreform läuft Gefahr, dies noch zu verstärken. Die Folge wären weitere Unterinvestitionen in Bildung. Was heißt das?
    Was sich zunächst etwas technisch oder gar technokratisch anhört, lässt sich an zwei Beispielen aus verschiedenen Bildungsbereichen recht einfach verdeutlichen, zunächst im Kita-Bereich.
    Wenn der hiesige Kölner Stadtkämmerer seine Zustimmung zum qualitativen oder quantitativen Ausbau des Kita-Systems geben würde, so würde ich dies zwar einerseits durchaus begrüßen. Andererseits müsste man ihn als ökonomisch gebildeter Bürger fragen, ob er sein Handwerk wirklich versteht. Die Folge wäre nämlich, dass die Kommune Geld für einen Bereich bereitstellen würde, dem auf andere Seite kaum Einnahmen oder Einsparungen, also unmittelbare Vorteile gegenüberstünden. Können (alleinerziehende) Mütter eine Arbeitsstelle annehmen, dann zahlen sie zwar Steuern, die fließen aber allem an Bund und Länder, während die Kommune nur einen geringen Teil davon erhält. Daneben haben auch noch die Sozialversicherungen einen riesigen Vorteil, sind aber an der Kita-Finanzierung nicht beteiligt - indirekt hätte aber auch hier der Bund indirekt einen Vorteil, könnte er doch seine Zuschüsse reduzieren.
    Würde sich der Bund aber am Ausbau des Kita-Systems beteiligen wollen, so scheiterte dies bisher vor allem an den CDU-regierten Bundesländern, wie man etwa am Investitionsprogramm zum Ausbau der Ganztagsschulen sehen konnte. Da dies auch mit dem ungeschickten Verhalten der früheren Bundesbildungsministerin begründet wurde, wäre die Frage, ob die neue Bundesbildungsministerin, die bekanntermaßen aus der CDU kommt, diese Klippe nicht überwinden könnte.
    Betrachtet man darüber hinaus, dass ein gut ausgebautes und qualitativ hochwertiges Kita-System auch langfristige Vorteile bietet, wie bessere Schulleistungen, weniger Schulabbrecher oder Sitzenbleiber und langfristig geringere Sozialleistungsbezieher oder etwa Kriminalität, dann sind auch diese Effekte für die Kommunen allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Die größten Nutznießer sind auch hier Bund, Länder und Sozialversicherungen.
    Ähnliches gilt für das zweite Beispiel, wenn man über den Ausbau des Hochschulsystems nachdenkt. Hier steht zwar ein neuer Studierendenberg bevor, aber schon macht das unschöne Wort von der "Untertunnelung" die Runde. Ganze Generationen haben darunter bereits mit miserablen Studienbedingungen gelitten - aber wer sollte ausbauen wollen?
    Auch hier haben die einzelnen Bundesländer, die für die Kosten aufkommen müssten, nur ein begrenztes Interesse - insbesondere, wenn die öffentlichen Kassen ziemlich leer sind. Kurz nach Karneval singen die Finanzminister in schönster Eintracht "wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?" Dumm nur, dass man ihnen das als Ökonom noch nicht mal richtig vorwerfen kann. Allerdings nicht, weil es genügend Akademiker gäbe oder weil es sich nicht lohnen würde, in Bildung zu investieren.
    Es lohnt sich, aber die Länder, die die Hochschulen finanzieren, haben nicht immer was davon - außerdem kann man sie doch aus den Hochschulen der neuen Länder holen. Auch da wird zwar nicht gerade über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildet - aber der Westen kauft die Besten mit höheren Gehältern weg. Kurzfristig ist dies aus Sicht der westlichen Länder völlig rational, langfristig eine Katastrophe, da die Anreize für die östlichen Länder abnehmen in Hochschulbildung zu investieren.
    In der Tat ist es aus Sicht einzelner Bundesländer völlig rational, wenn sie eine vergleichsweise niedrige Studierendenquote haben und einen Teil der benötigten Akademiker aus anderen Bundesländern abwerben. Die Kosten des Studiums werden dann von diesen getragen und die abwerbenden Länder profitieren durch höhere Steuereinnahmen. Nicht umsonst denkt etwa der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident etwa daran, den Akademikern ihre Studiengebühren zu erlassen, wenn sie zehn Jahre nach Studienende noch im Land sind, dort ihre Brötchen verdienen und Steuern zahlen.
    Der Bund wiederum, der von Steuer- und (indirekt) von Sozialversicherungseinnahmen am meisten profitiert und somit ein erhebliches gesamtstaatliches Interesse hätte, darf sich nicht daran beteiligen - und soll sich in Zukunft noch weiter zurückziehen. Will man einen funktionierenden Bildungsföderalismus im Hochschulsystem wirklich etablieren, dann muss man das Finanzierungssystem komplett überdenken, die Einführung von Studiengebühren ist dann allenfalls ein Element.
    Womit wir aber bei einem weiteren wichtigen Föderalismusthema wären; es geht dabei nicht um das ob, sondern das wie von Studiengebühren. Vier Länder haben in den vergangenen Monaten ihre Gebührenpläne offengelegt, und herausgekommen sind vier unterschiedliche Modelle. Auch wenn die meisten Entwürfe besser sind, als man zwischenzeitlich befürchten musste, so sind sie dennoch allesamt verbesserungsfähig - nicht nur im Hinblick auf Mobilität und Bürokratie. Wer in Baden-Württemberg studiert, hat andere Regelungen, andere Verfahren und eine andere Bank, als jemand in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen. Wer also von einem Bundesland in das andere wechseln will oder gar von der ZVS dorthin verschickt wird, muss sich auch mit den Folgen für Studiengebühren bzw. Darlehensbedingungen auseinander setzen. Wer sich auch nur halbwegs rational verhalten will, schaut dann nicht nur auf die Qualität einer Hochschule bzw. des jeweiligen Studiengangs an dieser Hochschule, sondern auch auf die Gebührenhöhe, die Darlehensbedingungen und die Ausnahmeregelungen etc. Auch auf die Rückzahlung von BAföG-Darlehen sind die Gebührenmodelle nur scheinbar abgestimmt. Auch hier treibt der Föderalismus seltsame Blüten, zu Lasten eines funktionsfähigen und zukunftsweisenden Bildungssystems und zu Lasten künftiger Studierendengenerationen.
    Lediglich das Schulsystem scheint vom Föderalismus weitgehend unberührt. Stimmt! Und stimmt auch wieder nicht, wenn man sich die Diskussionen um PISA oder um Veränderungen im Bildungssystem ansieht. Auch wenn sich hier einiges getan hat, besteht aus gesamtstaatlicher Sicht dringender Veränderungsbedarf: So ist es absurd, dass manche Kommune Schulen solange nicht instandsetzt, bis das Land für die Komplettrenovierung aufkommen muss. Aber aus kommunaler Sicht ist dies absolut rational.
    Was folgt aus dem Gesagten: Zunächst einmal die Forderung nach parteiunabhängiger Versachlichung und Rationalisierung der bildungspolitischen Diskussion. Dann stehen einige grundlegende Reformen an. Wer wirklichen Föderalismus will, müsste auch die Finanzen komplett entflechten. Da dies aber weder sinnvoll noch wirklich zu erwarten ist, sollte ebenso die Finanzierung des Bildungssystems weitgehend neu geordnet werden.
    Wenn Land und insbesondere Bund erhebliche Vorteile von frühkindlichen Investitionen haben, dann sollten sie und insbesondere der Bund auch stärker an deren Finanzierung beteiligt werden.
    Im Hochschulbereich sollte es einen Hochschulfinanzausgleich, in (teilweiser) Ergänzung zum Länderfinanzausgleich geben. Das heißt, dass die Herkunfts- oder die Abnehmerländer stärker an den Studienkosten beteiligt werden müssen. Nur dann kommt es zu einem Interessensausgleich zwischen Bundesländern mit einem stärker oder weniger stark ausgebauten Hochschulsystem und der Ausbau wird nicht durch - wohl begründete - Länderinteressen verhindert. Auch im Schulbereich erscheint eine andere Aufteilung der Finanzierung erforderlich.
    Kurzum: Die große Koalition im Bund bietet hier eine einmalige Chance für die nächsten Jahrzehnte! Nun kann die Politik zeigen, dass es ihr um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands geht. Kompromisse sind dabei nicht zu vermeiden, allerdings sollte man sich vorher die "unerwünschten Nebenwirkungen" genauer anschauen. Wenn die Föderalismusreform unverändert beschlossen wird, dann wird sich bereits in Kürze neuer Handlungsbedarf - oder besser: Nachbesserungsbedarf - zeigen, weil etwa die neuen Länder erhebliche Probleme haben werden, im Wettbewerb mit den alten Ländern zu bestehen nicht nur aus fiskalischen Gründen.
    Auf diesem Weg könnte auch der Streit um eine längere gemeinsame Schulzeit beigelegt werden. Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden alle Flächenländer nämlich in weiten Teilen des Landes das dreigliedrige Schulsystem aus Wirtschaftlichkeitsgründen abschaffen müssen. Es gibt für mehrere Schulformen nebeneinander schlicht nicht mehr genug Schülerinnen und Schüler. Stattdessen werden Letztere deutlich länger als bisher in eine gemeinsame Schule gehen, es sei denn, man will sie lieber über Land "verschicken".
    Der durchaus auch moralische Appell kann eigentlich nur lauten: Lasst uns diese vielleicht einmalige Gelegenheit zum Wohle des gesamten Bildungssystems und zum Wohle unserer Kinder nutzen - länderübergreifend und bundesweit. Die Föderalismusreform sollte dabei nicht wider besseres Wissen nur beschlossen werden, weil ein Kompromiss erreicht wurde. Der Bund muss stärker an der Bildungsfinanzierung beteiligt werden - ob dies unbedingt auch stärkere Zuständigkeiten bedeuten muss, wäre zu diskutieren.

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    Kontakt:
    Birgitt A. Cleuvers (FiBS), Tel. 02 21 / 550 95 16
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Studium und Lehre, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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