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13.03.2006 11:37

Der Mohn zieht nach Amerika, II

Dipl.Biol. Sylvia Pieplow Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Pflanzenbiochemie

    Frau Professor Toni M. Kutchan wird Anfang April das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) verlassen. Die Leiterin der Abteilung Naturstoff-Biotechnologie folgt einem Ruf an das Donald Danforth Plant Science Center in Saint Louis. Ihr wichtigstes Forschungsprojekt, die Analyse der Alkaloidbiosynthese in Schlafmohn, nimmt sie mit. Mit ihrem Weggang verliert das Institut nicht nur eine herausragende Wissenschaftlerin und Persönlichkeit, sondern auch einen äußerst interessanten und spannenden Forschungszweig.

    Schlafmohn (Papaver somniferum) ist eine der ältesten Medizinalpflanzen der Menschheit. Im östlichen Mittelmeerraum waren die schmerzlindernden und schlafbringenden Eigenschaften einiger Mohnarten schon im 14. Jahrhundert vor Christus bekannt. Damals wie heute werden die Wirkstoffe aus dem Milchsaft (Latex) gewonnen, der aus den reifenden Samenkapseln austritt, wenn man sie anritzt. Der Latex enthält etwa 80 verschiedene Substanzen, die man der großen Stoffgruppe der Alkaloide zuordnet.

    Alkaloide sind natürliche stickstoffhaltige Substanzen, die von etwa 20 Prozent aller Pflanzenarten produziert werden. Viele von ihnen sind giftig bzw. haben spezifische Wirkungen auf den menschlichen Organismus, die sie für Arzneimittel oder deren Vorstufen prädestinieren. Zu den Alkaloiden zählen Koffein und Nikotin. Morphin und das als Hustenstiller verwendete Codein sind die bekanntesten Vertreter der Schlafmohnalkaloide.

    Die Entdeckung des Morphins hat in diesem Jahr ihr 200-jähriges Jubiläum. Die chemische Struktur des Stoffes wurde erstmals 1806 von dem deutschen Apotheker Friedrich Sertürner beschrieben, der die Substanz nach Morpheus, dem griechischen Gott der Träume, benannte. Morphin ist eines der stärksten bekannten natürlichen Schmerzmittel. Im Gegensatz zu vielen anderen Analgetika weist es nicht den sogenannten Ceiling Effekt auf, d.h. auch nach längerer Applikation kann man eine Wirkungssteigerung durch eine Erhöhung der Dosis erzielen. Deshalb ist Morphin trotz seines hohen Suchtpotentials bei schweren schmerzhaften Erkrankungen das bevorzugte Schmerzmittel.

    Die Produktion des Wirkstoffes auf chemischem Wege ist aufwendig und bringt nur geringe Ausbeuten. Deshalb gewinnt man das Schmerzmittel heute wie vor tausend Jahren direkt aus der Pflanze. Der getrocknete Latex, das sogenannte Rohopium, enthält jedoch weniger als zehn Prozent Morphin. Um den steigenden Bedarf an Morphin zu decken, müssen neue, reichhaltigere und kostengünstigere Wirkstoffquellen erschlossen werden. Schlafmohnpflanzen mit künstlich gesteigerter Morphinproduktion wären zunächst eine gute Alternative. Genau an diesem Punkt setzte die Forschung am IPB an.

    "Die einzelnen Syntheseschritte und die beteiligten Enzyme der pflanzlichen Morphinproduktion sind uns bekannt. Die Biosynthese ist sehr komplex und weist mehrere Verzweigungen auf", weiß Frau Kutchan. Als Konsequenz reichern sich im Latex neben dem gewünschten Opiat auch dessen Vorstufen und die Produkte einiger Nebenwege an. Je nach Sorte variiert der Anteil der einzelnen Wirkstoffe. Pflanzen, deren Samen für den Mohnkuchen verwendet werden enthalten sehr viel weniger Morphin als Sorten, die für pharmazeutische Zwecke gezüchtet werden.

    "Um die Morphinproduktion in der Pflanze zu steigern, haben wir versucht, die Nebenwege zu blockieren, sodass alle Stoffwechselenergie in den Hauptweg hin zum gewünschten Endprodukt Morphin fließt" erläutert Toni Kutchan die Grundidee des Projektes. Dafür haben die Pflanzenforscher des IPB die Gene für die entsprechenden Enzyme in ihrer Aktivität blockiert. So entstanden transgene Mohnpflanzen, in denen die Schlüsselenzyme für die Verzweigungspunkte nur noch in verschwindend geringer Menger vorhanden waren. Diese Pflanzen - so die Erwartung - sollten auf Kosten der Nebenprodukte einen höheren Morphinanteil aufweisen, als die Wildtyppflanzen. "Aber die Ergebnisse entsprachen nicht unseren Erwartungen" konstatiert die Biochemieprofessorin. Die transgenen Mohnpflanzen zeigten zwar eine gesteigerte Produktion der Zwischenprodukte, aber der Anteil von Morphin im Alkaloidgemisch war nicht wesentlich erhöht.

    Die Synthese in ihren Einzelschritten zu kennen, reicht deshalb nicht aus, um sie nachhaltig zu beeinflussen. Man muss auch verstehen, wie sie reguliert wird. So haben die Wissenschaftler im Laufe des Projektes die Erfahrung gemacht, dass der Wirkstoffgehalt, je nach Anzuchtbedingungen auch bei Pflanzen der gleichen Sorte variieren kann. Die Wirkstoffsynthese ist also kein starrer Prozess, der einmal aktiviert wird und dann immer abläuft. Vielmehr können alle seine Komponenten, alle Teilreaktionen und beteiligten Gene je nach Bedarf aktiviert oder stillgelegt werden. So kommt es zu einem fein balancierten Stoffwechselsystem, das sehr sensibel auf sich ändernde Umweltbedingungen reagiert. Eine Störung dieses Gleichgewichts durch die Blockade bestimmter Gene kann daher unvorhersehbare Folgen haben.

    Welche Gene wann, wie und warum angeschaltet werden sind daher ganz zentrale Fragen des Projekts. Nach neuesten Erkenntnissen der Forschung am IPB spielt auch der Ort der Genaktivierung eine Rolle. Demnach kommt es kurz vor Schluss der Synthese zu einer Verlagerung des Reaktionsgeschehens von den Gefäßzellen in die Milchsaftzellen der Pflanze. Die Vorstufen des Morphins müssen also zwischen den Zellen transportiert werden. Die finalen Syntheseenzyme werden hingegen nur in den Latexzellen benötigt und ihre Gene wahrscheinlich auch nur dort aktiviert.

    Für eine funktionierende dynamische Synthese werden also unterschiedliche Gene zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Zellen angeschaltet. Weitere Regulationsmechanismen, die sich aus dem Transport der Stoffe oder der Veränderung der Umweltbedingungen ergeben machen das Geflecht aus Aktion und Reaktion engmaschig und kompliziert. "Diese vernetzten Regulationsebenen sind ein spannendes Gebiet, das wir zurzeit nur ansatzweise verstehen", erklärt Frau Kutchan. "Das wollen wir natürlich in Amerika weiterverfolgen".

    Neben den anwendungsorientierten Aspekten ergeben sich aus der Erforschung der Alkaloidbiosynthese in Schlafmohn weitere interessante Fragestellungen, genereller und grundlegender Natur. Die wichtigste ist: Warum produzieren Schlafmohnpflanzen überhaupt Morphin? Warum setzen sie so viel ihrer Stoffwechselenergie für dieses komplizierte Synthesenetzwerk und die Produktion von so vielen verschiedenen Stoffen ein? Welchen Sinn diese Substanzen für den pflanzlichen Organismus machen, ist für Mohn noch nicht hinreichend geklärt. Der Fakt, dass sie sich in der Kapsel anreichern, die den Samen schützend umgibt, könnte für einen Schutz vor Fraßfeinden sprechen.

    Alkaloide sind Produkte des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels, zu denen eine Vielzahl an Farb-, Geruchs- und Geschmacksstoffen, pharmakologisch wirksamen Substanzen, Antibiotika, Herbiziden und Insektiziden gehören. Sekundärstoffe weisen eine enorme strukturelle Vielfalt auf und sind im Pflanzenreich weit verbreitet. Oftmals bilden bestimmte Pflanzenarten auch ein definiertes Spektrum an speziellen Naturstoffen. Für Wachstum und Entwicklung der Pflanzen sind diese Stoffe entbehrlich, aber für die Fitness der Organismen im evolutionären Konkurrenzkampf spielen sie offenbar eine wichtige Rolle. Bestimmte Substanzen locken beispielsweise Insekten an oder wehren Fraßfeinde und Krankheitserreger ab. Welche Funktion sie im Einzelnen für die jeweilige Pflanze haben ist für die meisten dieser biologisch aktiven Naturstoffe noch gar nicht erforscht.

    Für den Menschen bedeutet die enorme Vielfalt pflanzlicher Naturstoffe eine unermesslich Quelle an potentiellen Kandidaten für die Entwicklung neuer Medikamente, Kosmetika und Pflanzenschutzmittel. Bisher kennt man nur einen Bruchteil davon; etwa 200.000 Sekundärstoffe wurden bereits isoliert und in ihrer chemischen Struktur aufgeklärt. Die Untersuchung des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels gehört zu den zentralen Forschungsthemen am IPB. Nun werden die speziellen Wirksubstanzen des Schlafmohns in Zukunft nicht mehr hier bearbeitet.

    Ansprechpartner: Professor Toni M. Kutchan
    Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie
    Tel. 0345 5582 1200
    kutchan@ipb-halle.de
    tmkutchan@danforthcenter.org

    Sylvia Pieplow
    Tel. 0345 5582 1110
    spieplow@ipb-halle.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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