Eva Schultze-Berndt vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz bemüht sich, Sprachen der Aborigines in Australien zu dokumentieren, bevor sie unwiederbringlich verloren sind. Ton-Aufnahmen und verschriftlichte Texte sollen es den nachfolgenden Generationen ermöglichen, Sprache und Lebensweise ihrer Vorfahren zu verstehen. Gleichzeitig dienen die gesammelten Materialien WissenschafterInnen verschiedenster Sparten für ihre Forschungen.
WissenschafterInnen schätzen, dass in Australien vor der englischen Besiedelung etwa 250 verschiedene Sprachen gesprochen wurden. "Von Kindern gelernt werden heute noch maximal zehn", schildert Univ.-Prof. Dr. Eva Schultze-Berndt das Szenario. Sie und ihr Team haben sich zweier Gruppen angenommen: dem Jaminjung und den Eastern-Ngumpin-Sprachen, die am unteren Flusslauf des Victoria River beheimatet sind. Kinder lernen heute diese Sprachen nicht mehr. Geplant sind im Rahmen ihres Projekts die Verschriftlichung mündlich überlieferter Texte mit Übersetzung und Anmerkungen, Wörterbücher, editierte Videos mit zweisprachigen Untertiteln sowie Lehrmaterialien.
Fünf vor zwölf
Das dringendste Anliegen ist der Projektleiterin, möglichst viel O-Ton aufzunehmen, solange dies noch möglich ist. "Es kann gut sein, dass die Sprachen in zwanzig Jahren verschwunden sind", weiß Schultze-Berndt. Dokumentieren möchte die Linguistin bislang nicht festgehaltene Geschichten, die Mythologie und die Oral History der Aborigines-Stämme. Ebenso sollen die Textaufnahmen Alltagssituationen sowie die lokale Flora und Fauna aufzeichnen. "Diese Dokumente sind dann auch wichtige Zeugnisse für AnthropologInnen, BiologInnen, ÖkologInnen sowie HistorikerInnen", hofft die Forscherin.
Diese Arbeit, mit der Schultze-Berndt bereits 1993 begonnen hat, gestaltet sich äußerst mühsam. "Es ist sehr schwierig, Kontakte zu den Menschen zu knüpfen und ihr Vertrauen zu gewinnen", erzählt sie. "Naturgemäß ist es nicht leicht, Angehörigen einer rein mündlichen Kultur zu vermitteln, worin die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihrer Sprache bestehen mag."
Soziale Situation
Die gesellschaftliche Lage der indigenen australischen Bevölkerung ist keine einfache. Ab 1880 legten weiße Siedler im Norden des Landes große Rinderfarmen an und beraubten die ansässigen Menschen blutig ihrer Lebensgrundlage. Dennoch versuchen die Aborigines heute nach der Tradition zu leben. "Das funktioniert aber nicht mehr, da auf dem Land, auf dem sie jagten und sammelten, das Vieh der Großbauern weidet", schildert Schultze-Berndt. In der äußerst dünn besiedelten Gegend findet die Jugend keine Arbeit. "Die Kinder haben kaum Schulbildung und triste Zukunftsaussichten. Alkoholismus ist weit verbreitet", berichtet die Sprachwissenschafterin.
Mühsame Kleinarbeit
Viel Geduld ist bei dem Dokumentationsprojekt jedenfalls gefragt. "Mitunter muss man mit den Leuten angeln gehen und sechs Stunden warten, bis sie überhaupt ein Wort sagen", plaudert Schultze-Berndt aus dem Nähkästchen. "Aber so gewinnt man Vertrauen, außerdem versteht man erst dann die wirkliche Bedeutung vieler Ausdrücke." Ein Problem ist das überaus spezifische Vokabular. So gibt es zahlreiche Phrasen für "ein Tier ausnehmen". "Wenn man nicht sieht, worum es genau geht, versteht man Unterschiede nicht", weiß die Linguistin.
Alles andere als einfach ist auch die Grammatik des Jaminjung. Pro Verb gibt es mehrere hundert Formen, die Zeitwörter sind darüber hinaus sehr unregelmäßig. "Einige der jüngeren SprecherInnen beherrschen die selteneren Formen selbst nicht mehr", beschreibt Schultze-Berndt so manche Stolpersteine.
Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Eva Schultze-Berndt
Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz
E-Mail: eva.schultzeberndt@uni-graz.at
Die Linguistin beim Angeln mit den Aborigines
Foto: Schultze-Berndt
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Meer / Klima, Sprache / Literatur, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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