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10.11.1999 09:26

Fruchtbringer waren nur spirituelle Gemeinschaft

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena. (10.11.99) Die älteste deutsche Sprachgesellschaft, die 1617 in Weimar gegründete Fruchtbringende Gesellschaft, existierte eigentlich nur auf dem Papier. Zu diesem Ergebnis kommt der Jenaer Germanistik-Professor Klaus Manger nach umfangreichen Literaturrecherchen.

    "Zusammentreffen, öffentliche Zeremonielle gar Tagungen im heutigen Sinne, sind für die Fruchtbringer nicht nachweisbar", so Manger. "Dennoch gibt es viele bemerkenswerte Briefe und als wichtigstes Zeugnis das Gesellschaftsbuch." Über 800 Namen verzeichnen diese Gesellschaftsbücher, in denen die meisten Wappen prachtvoll illuminiert und jeweils um deutschsprachige Motti, das zugehörige Pflanzenbild und Gedichte ergänzt wurden. Dass die Fruchtbringer, die Vorbild für viele andere deutsche Sprachgesellschaften wie die Pegnitzschäfer in Nürnberg, den Elbschwanorden in Lübeck oder die Straßburger Aufrichtige Tannengesellschaft wurden, überhaupt nicht existiert hätten, wie einige seiner Fachkollegen behaupten, hält Manger hingegen für einen Trugschluss. "Allerdings ist die Konstruktion der Fruchtbringer-Gesellschaft für das Barockzeitalter völlig unerwartet."

    Ziel der Fruchtbringer war es, normative Sprachregelungen in einem Deutschland der Dialekte und der zunehmend an Höfen französisierten und in der Wissenschaft ohnehin latinisierten Muttersprache zu etablieren. Das Gründungsdatum 100 Jahre nach der Reformation und Martin Luthers spracheinigender Bibelübersetzung sei kein Zufall, schildert Manger. Zudem bildete sich im Zuge des Humanismus so etwas wie das Bewusstsein einer gemeinsamen kulturellen Identität heraus: "Man begriff sich als ,Teutschhertzige' Vereinigung; das verbindet programmatisch die Sprachpflege mit Tugendhaftigkeit, Offenherzigkeit und Redlichkeit, meint also auch eine Abgrenzung und Orientierungsstiftung, nicht zuletzt angesichts der Wirren des ein Jahr später ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieges."

    Im Jahre 1600 war Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen in Florenz der Accademia della crusca, der "Kleiegesellschaft", beigetreten, die in der italienischen Sprache buchstäblich das Mehl von der Kleie zu trennen beabsichtigte und Wörterbücher und Grammatiken zusammenstellte und herausgab. So lag die Idee nahe, zu Hause etwas ähnliches ins Leben zu rufen. "Das Gründungstreffen in Weimar war möglicherweise nachträglich fingiert", meint Klaus Manger, "auch dafür gibt es vorläufig keinen Nachweis", wie der Jenaer Frühneuzeithistoriker Prof. Dr. Georg Schmidt bestätigt.

    Dieser Nachweis fehlt vielleicht aber auch deshalb, weil die Fruchtbringer ursprünglich eine ohnehin durch zahlreiche Familienbande verstrickte Adelsgesellschaft waren; erst nach und nach kamen Bürgerliche hinzu und viel später auch Literaten: Martin Opitz zum Beispiel wurde erst 1629 Mitglied, fünf Jahre nach Publikation seines "Buchs von der Deutschen Poeterey", Georg Philipp Harsdörffer erst 1642 und Andreas Gryphius 1662.

    Etwas gewöhnungsbedürftig für die heutigen Leser ist die barocke Metaphorik. So führte die Fruchtbringende Gesellschaft die Palme im Wappen als Symbol für geraden Wuchs und wegen der Nützlichkeit all ihrer Pflanzenbestandteile für den Menschen. Alle Mitglieder trugen Beinamen, Fürst Ludwig etwa hieß "der Nährende", Opitz "der Gekrönte" und Gryphius "der Unsterbliche". "Darin liegt eigentlich eine bemerkenswerte Modernität dieser Gesellschaften, denn Standesunterschiede zwischen den Mitgliedern wurden somit verwischt", erläutert Prof. Manger. - Allerdings nur auf dem Papier, weil es Zusammentreffen mit der Gefahr unbotmäßiger Anreden ja offensichtlich nicht gab. Dass die Fruchtbringer es dennoch zu einer konsensualen Sprachhistorie, Grammatik und Wörterbuch brachten, erklärt Manger mit mehreren Korrekturdurchläufen auf dem Korrespondenzwege.

    "Es war eher eine spirituelle Gemeinschaft, von der die Zeitgenossen nur wenig bemerkt haben werden", so der Jenaer Germanist. In den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts zerfiel die Fruchtbringende Gesellschaft, ohne dass es einen nachweislichen Auflösungsbeschluss gegeben hätte. Dennoch besitzen die barocken Sprachgesellschaften unschätzbaren Wert für die Entwicklung der deutschen Sprache und Dichtung. Wir heutigen etwa bemerken das zum Beispiel an der in den europäischen Sprachen ungewöhnlichen Groß- und Kleinschreibung. Diese Regeln gehen auf die barocken Sprachgesellschaften zurück.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Klaus Manger
    Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena
    Tel.: 03641/944200, Fax: 944202
    e-mail: x6boer@rz.uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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