Nach einer optimistischen Anfangsphase haben Ärzte und Wissenschaftler einsehen müssen, dass schnelle Erfolge bei der Gentherapie nicht möglich sind. In mühsamer Kleinarbeit im Labor suchen die Forscher darum vor allem nach effizienten und sicheren Strategien der Genübertragung. Diese stehen auch im Mittelpunkt des 7. Treffens der Europäischen Gesellschaft für Gentherapie, das vom 26. bis 28. November an der TU München stattfindet. An der Tagung nehmen rund 500 Wissenschaftler aus 24 Ländern teil.
Knapp zehn Jahre nach dem ersten Gentherapie-Experiment in den USA (am 30. September 1990) haben Ärzte weltweit bislang mehr als 4000 Patienten im Rahmen von klinischen Studien mit verschiedenen Formen der Gentherapie behandelt, die meisten davon in den USA. Eingesetzt wird eine solche Behandlung vor allem bei Krebs, einigen Erbleiden, bei Infektionskrankheiten und inzwischen auch bei Herz-Kreislauferkrankungen. Doch auch in Europa laufen mehr als 100 Studien, weiß Dr. Odile Cohen-Haguenauer, Koordinatorin eines europäischen Forscher-Netzwerkes mit Namen Euregenethy, das sich vor allem mit der Regulation der Gentherapie in Europa beschäftigt.
Bei den meisten Studien prüfen die Wissenschaftler in erster Linie, ob die Methode sicher ist. Ob sie auch wirkt, ob sie Leiden lindern oder gar heilen kann, dafür gibt es allenfalls vage Hinweise.
"Die anfängliche Begeisterung vieler Wissenschaftler für diese elegante und scheinbar einfache Behandlungsmethode ist einer realis-tischen Einschätzung gewichen", sagt der Tagungsleiter Professor Bernd Gänsbacher vom Institut für experimentelle Onkologie und Therapieforschung der TU München. Der Versuch, eine Labormethode in ein wirksames Verfahren am Krankenbett umzuwandeln, entpuppt sich als schwieriger, als viele Wissenschaftler in der Anfangsphase angenommen hatten. Dies ist bei neuen Verfahren in der Medizin eher die Regel als die Ausnahme. Gänsbacher: "Welche Methode hat schon quasi über Nacht Menschen geheilt?"
Dies gelingt auch nicht mit der Gentherapie. Und zusätzlich sorgt ein erster Todesfall im Rahmen einer US-Studie, dessen Hintergründe derzeit untersucht werden, für Diskussionen in der internationalen Forschergemeinde und der Öffentlichkeit. Gleichwohl sehen Gänsbacher und seine Kollegen nach wie vor in der Gentherapie ein "großes Potenzial". Allerdings werde es noch viele Jahre dauern, bis die entscheidenden Hürden auf dem steinigen Weg zu einer breit einsetzbaren, weil effektiven und sicheren Behandlungsmethode genommen sind.
Problemfall "Genfähre"
Die Vehikel, Vektoren genannt, mit deren Hilfe Gene in Körperzellen eingeschmuggelt werden, sind auf diesem Weg das entscheidende Problem. "Der Fortschritt scheiterte bislang vor allem an der mangelnden Effektivität dieser Übertragungssysteme", resümmiert Gänsbacher. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um gentechnisch "gezähmte" Viren. Deren Fähigkeit, ihr eigenes Erbgut - und mit diesem auch zusätzlich eingebaute andere Gene - in Zellen deponieren zu können, macht sie prinzipiell zwar zu geeigneten Genfähren, doch haben alle sehr spezifische Vor- und Nachteile. "Den einzigen Ideal-Vektor für alle Formen der Gentherapie wird es sicherlich nie geben", stellt Professor Peter Hans Hofschneider vom Max Planck-Institut für Biochemie in Martinsried fest. Zu unterschiedlich sind inzwischen die Anforderungen an die Fähigkeiten der Genfähren, abhängig von der Krankheit, die behandelt werden soll. Darum tüfteln Forscher an verschiedenen Vektor-Konstruktionen mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften oder erproben beispielsweise auch die Übertragung von "nackter Erbsubstanz", also von Genen ohne Hülle, oder verpacken die Genfracht in Fettkügelchen (Liposomen).
Inzwischen - dies zeigt das Programm der Tagung - greifen die Forscher auch auf Hepatitis- oder Papilloma-Viren zurück, ebenso auf Vaccinia- oder Influenza-Viren. "Generell geht der Trend dahin", erläutert Hofschneider, "dass immer weniger Teile der Hülle und immer weniger viruseigene Gene verwendet werden, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden." Vermutlich, so prognostiziert der Max-Planck-Forscher, "werden in der Zukunft nur noch wenige Virusbausteine und Liposomen zu sogenannten Komplexosomen miteinander kombiniert."
Besonders häufig wurden und werden in der Gentherapie sogenannte Adenoviren eingesetzt, die bei Menschen normalerweise nur Erkältungserkrankungen verursachen. "Diese Viren können zusätzlich eingebaute Erbsubstanz sehr effizient auf verschiedene Zelltypen des Körpers übertragen", erklärt Dr. Stefan Kochanek vom Zentrum für Molekulare Medizin der Kölner Universität. Sie können sowohl ruhende als auch sich teilende Zellen infizieren. Ebenso verankern sie ihr Erbgut nicht in jenem der Zelle, wodurch Schäden am Zellgenom vermieden werden.
Doch der Kölner Forscher kennt auch die Nachteile dieser Viren: Sie können etwa eine Immunreaktion im Körper auslösen, die die Wirkung der Genübertragung auf zwei bis drei Wochen beschränkt. Da diese Genfähren bei der Zellteilung nicht weitergegeben werden, begrenzt auch dies ihre Wirkdauer. Ebenso wissen die Forscher, dass Adenoviren in hohen Dosen toxisch sind. "Dies könnte damit zusammenhängen", vermutet Kochanek, "dass die amputierten Viren immer noch eigene Gene enthalten."
Um diese Nachteile zu überwinden arbeiten die Wissenschaftler beispielsweise daran, die Oberflächen-Eiweiße dieser Viren so zu verändern, dass sie gezielt nur noch bestimmte Zellen im Körper infizieren können. Ebenso wurden leer geräumte Viren entwickelt, die nur noch aus ihrer Hülle bestehen. Diese verursachen, nachdem sie in die Zellen eingedrungen sind, weniger Immunreaktionen. Ebenso können sie eine größere Genfracht transportieren - darunter auch regulatorisch wirkende Sequenzen, die das übertragene Gen gezielt nur noch in bestimmten Geweben aktivieren oder seine Aktivität verstärken.
Generell wird eine breite Palette von Vektoren weiterentwickelt: beispielsweise sogenannte Adeno-assoziierte Viren, die für den Menschen harmlos sind und ihr Erbgut in jenem der Zelle nur an bestimmten Stellen einklinken. Auch Lenti-Viren, eine Virusfamilie zu denen der Aids-Erreger gehört, werden im Labor getestet und weiterentwickelt. Lenti-Viren können ihr Erbgut nicht nur fest verankern, sondern auch etliche Zellarten infizieren, die sich nicht teilen. "Ideal", kommentiert Gänsbacher, "wären sicherlich nicht-virale Vektoren, doch diese funktionieren noch nicht richtig."
Klinische Studien stimmen Forscher optimistisch
Gleichwohl sorgen die Ergebnisse von einigen klinischen Studien auf der Tagung für vorsichtigen Optimismus: Beispielsweise berichtet Christian Kalka von der Tuft's Universität in Boston, dass eine Gentherapie bei Patienten mit Durchblutungsstörungen in den Beinen zur Bildung neuer Kapillaren führt. Bei diesem Ansatz injizierten die Forscher reine Erbsubstanz mit der "Bauanleitung" für einen kurz VEGF genannten Wachstumsfaktor, der Blutgefässe sprießen lässt. In einer ersten Studie wurde dieses Prinzip auch bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit erprobt, "mit nachweisbaren klinischen Effekten", wie Kalka betont. "Die Durchblutung des Herzmuskels wurde verbessert."
Das Team um Dr. David Kirn vom Unternehmen Onyx Pharmaceuticals in Richmond (USA) wird mit seinem Ansatz gegen Krebs demnächst eine klinische Studie der Phase III beginnen, um die Wirksamkeit der Methode an einer größeren Patientenzahl zu überprüfen. Die Wissenschaftler setzen ein Adenovirus ein, das sich in Tumorzellen vermehrt und diese abtötet, wenn in den Zellen ein kurz p53-genanntes Kontrollgen der Zellvermehrung defekt ist. Zunächst injizierten die Wissenschaftler diese Viren direkt beispielsweise in Kopf-Hals-Tumoren. Zusätzlich erhielten die Patienten auch eine herkömmliche Chemotherapie. Resultat: Tumorzellen starben ab, die Geschwülste schrumpften. Inzwischen erproben die Forscher auch die Injektion dieser Viren in die Venen, in die Pfortader der Leber sowie in die Bauchhöhle.
Tumoren ohne Tarnkappe
Mit Hilfe eines eingeschmuggelten Gens versucht eine Forschergruppe um Dr. Thomas Kipps von der Universität von Kalifornien in La Jolla Leukämiezellen für das Immunsystem sichtbar zu machen. Denn bei diesen Blutkrebsarten, etwa der chronisch lymphatischen Leukämie, tragen die bösartigen Zellen auf ihrer Oberfläche zwar Eiweißstoffe, die sie von normalen Zellen unterscheiden. Doch durch andere Veränderungen auf ihrer Oberfläche ziehen sich die Tumorzellen gleichsam eine Tarnkappe über. Dies dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass das Immunsystem sie nicht erkennen und attackieren kann.
Die kalifornischen Wissenschaftler filterten Tumorzellen aus dem Blut von Patienten und übertrugen auf diese im Reagenzglas mit Hilfe von Adenoviren die Bauanleitung für ein bestimmtes Oberflächenmolekül. Diese CD40-Ligand genannte Struktur sorgt dafür, dass die Zellen über eine komplexe Kommunikationskaskade T-Killerzellen aktivieren. Infundiert in die Blutbahn der Krebskranken, lösten die umgebauten Leukämiezellen eine Abwehrreak-tion des Immunsystems aus. Indem sie ihre Tarnkappe verloren, wurden indes nicht nur die veränderten Tumorzellen für die körpereigene Abwehr sichtbar. Vielmehr scheinen sie dafür zu sorgen, dass das Immunsystem auch andere, nicht veränderte Tumorzellen erkennen kann. Die Folge: Nahezu bei allen Patienten der Studie sank die Zahl der bösartigen Blutzellen und vergrößerte Lymphknoten schrumpften.
Nun soll in einer größeren Studie überprüft werden, ob diese Strategie tatsächlich so wirksam ist, wie die ersten Ergebnisse vermuten lassen. Erst wenn diese Untersuchungen abgeschlossen sind, werden die Forscher wissen, ob mit dieser Methode die Tumoren nicht für einige Zeit in Schach gehalten, sondern die Patienten wirklich geheilt werden können.
Impfung gegen Metastasen
Auch bei der Impfung gegen Tumoren, die nach einer operativen Entfernung der Geschwulst die Bildung von Tochterzellen verhindern soll, zeichnet sich ein neuer Trend ab, weiß Professor Dolores Schendel vom Institut für molekulare Immunologie der GSF in München: Bislang versuchten Wissenschaftler, gentechnisch veränderte Krebszellen der jeweiligen Patienten als individuellen Impfstoff einzusetzen. Doch es zeichnet sich ab, dass derartige Impfungen nicht nur einmal, sondern mehrfach erforderlich sind. Aber es ist kaum möglich, die dazu erforderlichen Tumorzellen über lange Zeit hinweg im Labor zu vermehren, um ausreichend Impfmaterial zu erhalten. Darum versuchen inzwischen verschiedene Wissenschaftlergruppen die Gene zur Bildung Tumor-typischer Eiweißstoffe auf bestimmte Immunzellen, sogenannte dendritische Zellen, zu übertragen. Diese können nämlich jederzeit aus dem Blut von Patienten gewonnen werden und haben auch natürlicherweise die Eigenschaft, solche Eiweiße auf ihrer Oberfläche - einem Fahndungsfoto vergleichbar - dem Immunsystem zu präsentieren. Allerdings befinden sich derartige Ansätze noch auf der Ebene von Laboruntersuchungen.
Gentherapie steckt noch in den Kinderschuhen
Es wird noch einige Jahre dauern, bis die Forscher gelernt haben werden, wie sie das komplexe Geschehen im Inneren von Zellen mit großer Präzision beeinflussen können. "Und wenn Gene auf Dauer in Zellen verankert werden", so Peter Hans Hofschneider, "muss man als Arzt stets bedenken, "dass im Gegensatz zu einem üblichen Arzneimittel, dessen Wirkung zeitlich begrenzt ist, ein Therapie-Übertragung kaum rückgängig gemacht werden kann."
Tagungsleiter
Prof. Dr. Bernd Gänsbacher
Technische Universität München
Institut für Experimentelle Onkologie
und Therapieforschung
Ismaninger Str. 22
81675 München
Tel.: 089/4140-4451
Fax: 089/4140-4476
e-mail: Sonja.Handschke@lrz.tum.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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