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01.12.1999 19:42

Erheblicher Qualifizierungsbedarf in der Thüringer Wirtschaft

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Arbeitsmarktstudie Jenaer Soziologen

    Jena. Welche Berufsgruppen werden sich in 5, 10, 20 Jahren mit Nachwuchssorgen plagen, und wo gibt es Ausbildung über den Bedarf hinaus? - Mit diesen Schlüsselfragen der regionalen Arbeitsmarktpolitik befassen sich derzeit Soziologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam mit der Berliner Forschergruppe Söstra. In einem durch das ADAPT-Programm der Europäischen Union mit rund 850.000 Mark geför-derten Projekt ermitteln Prof. Dr. Christoph Köhler und sein Team im Auftrag des Landessozialministeriums eine Analyse und Prognose des Personal- und Qualifizierungsbedarfs in den einzelnen Thüringer Regionen des Freistaats.

    Dabei stützen sich die Wissenschaftler auf die globalen Studien des Prognos-Instituts über die wirtschaftliche Entwicklung und die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit - beides muss allerdings auf die regional recht unterschiedlichen Verhältnisse umgerechnet werden - sowie auf Interviews mit Kammern, Arbeitsämtern, Betrieben, Bildungsträgern und Einrichtungen der Wirtschaftsförderung. "Trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Thüringen gibt es einen sehr hohen Qualifizierungsbedarf, aber viele der Unternehmen haben nur sehr unzureichende Vorstellungen oder gar Planungen für ihre mittelfristige Personalpolitik", verrät Prof. Köhler zwei erste Ergebnisse der Studie. "Manche Betriebe können nicht einmal voraussehen, welchen Facharbeiterstamm sie in drei oder fünf Monaten benötigen", ergänzt Köhlers Mitarbeiter Matthias Hinze, "das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Auftragslage in einigen Branchen recht ungewiss ist." Auch wirtschaftliche Struktur- und Entwicklungsdefizite in Regionen wie z. B. Altenburg und Nordhausen erschweren die Prognose.

    Konkret wollen die Forscher für den gesamten Freistaat, vor allem aber für einzelne Arbeitsamtsbezirke Bedarfstendenzen in insgesamt 81 Berufsgruppen und zehn Wirtschaftszweigen sichtbar machen, die von den Arbeitsmarktakteuren behutsam mit indirekten Steuerungsinstrumenten dann umgesetzt werden können. "Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir öffentlich verlautbaren, dass in einer Berufsgruppe, z. B. Seelsorgern, dringender Nachwuchsbedarf absehbar ist", erläutert Matthias Hinze das paradoxe Dilemma der Soziologen. Denn damit würde sofort ein Run auf diese Ausbildungsplätze entstehen - und möglicherweise in der Folge eine Überkapazität. "Genau diese sogenannten ,Schweinezyklen' sind aber pures Gift für eine kontinuierliche Arbeitsmarktstrukturentwicklung", meint Marek Krause, der ebenfalls in dem Projekt mitarbeitet.

    Ein Beispiel, das Köhlers Mitarbeiter Dr. Michael Behr in einer anderen Studie analysiert hat: Nachdem in der Südthüringer Region die Monostrukturen mit Kombinaten im Waffen-, Werkzeug- und Maschinenbau zusammengebrochen sind und viele Beschäftigte ihre Arbeitsplätze verloren haben, sank das Interesse an einer Ausbildung in diesen Bereichen rapide. Inzwischen haben die betroffenen Branchen aber in einer sehr flexiblen kleinbetrieblichen Struktur wieder Tritt gefasst - und suchen händeringend nach jungen Facharbeitern. "Die können nur aus der Region kommen, weil das noch relativ geringe Lohnniveau für westdeutsche Bewerber nicht attraktiv genug ist", so Köhler. Inzwischen kämpft das Arbeitsamt Suhl gemeinsam mit der IHK Südthüringen und den Betrieben energisch gegen das ungerechtfertigt schlechte Image der Branche bei ausbildungswilligen Jugendlichen.

    Viele Unternehmen sind sich auch nicht darüber im klaren, dass sie mit ih-rer Personalpolitik in eine "demografische Falle" laufen. Hat man nach der Wende unter Einsparungsdruck vor allem junge Mitarbeiter entlassen und ältere frühberentet, so steht in 5-10 Jahren, wenn die verbliebene Altersgeneration in den Ruhestand tritt, angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge gar nicht genug Qualifizierungsnachwuchs zur Verfügung. Absehbar ist dieses Problem auch schon bei Führungskräften in Klein- und Mittelbetrieben. Köhler: "Wer nicht bereits jetzt ausbildet, macht einen ent-scheidenden Fehler. Auch in augenblicklich stagnierenden Branchen gibt es immer einen Ersatzbedarf."
    Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Christoph Köhler
    Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Tel.: 03641/945550 oder 945560, Fax: 945552
    E-Mail: chkoehler@soziologie.uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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