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15.06.2006 10:33

Poetische Anerkennung der Sinnlichkeit

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Internationale Tagung zu Sophie Mereau-Brentano vom 22.-24. Juni an der Universität Jena

    Jena (15.06.06) 2006: Mozart-Jahr, Heine-Jahr, Mereau-Jahr! Wer aber war Sophie Mereau? Eine "reizende Kanaille" nannte sie ein Zeitgenosse (Friedrich Schlegel), eine "niedliche Miniatür-Grazie" ein anderer (Jean Paul), und ein dritter rühmte ihre "Gelehrsamkeit, in der sie gerade stark war" (Heinrich Karl Abraham Eichstädt, Redakteur der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung). Geist, Sinnlichkeit und Schönheit zeichnen Sophie Mereau (1770-1806) aus, jene erfolgreiche Schriftstellerin der Klassik und Romantik, deren früher Tod im Kindbett sich 2006 zum 200. Mal jährt.

    Dem Leben und Wirken dieser ungewöhnlichen Frau ist die internationale und interdisziplinäre Tagung "Sophie Mereau verDICHTET: Werk - Zeit - Raum" vom 22. bis 24. Juni an der Friedrich-Schiller-Universität Jena gewidmet. Organisiert wird sie in transatlantischer Kooperation zwischen dem Sonderforschungsbereich (SFB) 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der US-amerikanischen Universität von Connecticut. Erwartet werden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Germanistik, Geschichte, Philosophie und Musikgeschichte aus Deutschland, den USA, England, Australien und Kenia.

    Mit Zeitgenossinnen wie ihrer Schwägerin Bettine Brentano/von Arnim, Karoline von Günderrode und Rahel Levin/Varnhagen gehört Sophie Mereau zur Gruppe jener jungen Frauen, die inspiriert durch die Französische Revolution von 1789 das Motto von "Freiheit und Gleichheit" auch für ihr Geschlecht in Anspruch nahmen. 200 Jahre bevor in Deutschland eine Frau Bundeskanzlerin werden konnte, traten sie bereits aus der Verschwiegenheit des häuslichen Lebens in das Scheinwerferlicht der kulturellen Öffentlichkeit. Das verdarb sie freilich für ein Aufgehen in der geistig und räumlich begrenzten Rolle der treusorgenden oder gar unterwürfigen Ehegattin und Mutter im häuslichen Kreise, deren Bild Schiller im "Lied von der Glocke" (1800) verewigt hat.

    In der freigeistigen "Gelehrtenrepublik" Jena, die zusammen mit dem Klassischen Weimar um 1800 die Geisteselite Deutschlands anzog, fanden die schriftstellerischen Leistungen der Professorengattin Mereau Anklang in der tonangebenden Gesellschaft: Schiller bot sich ihr als Mentor an, mit Goethe tauschte sie Epigramme aus, der noch unbekannte Student Hölderlin speiste an ihrem professoralen Mittagstisch. Sie besuchte als einzige Dame ein Privatseminar des kontroversen Philosophen Fichte und las Kant. Mit einem der Brüder Schlegel ging sie ein Techtelmechtel ein, ließ sich unter Vorsitz des Superintendenten Herder als allererste Frau im Herzogtum Sachsen-Weimar scheiden und heiratete in zweiter Ehe den noch studentischen Dichter Clemens Brentano. Ihr eigenes, bereits anerkanntes dichterisches Talent machte sie zu einer der ersten deutschen Schriftstellerinnen, die von der Feder leben konnte. Sophie Mereau veröffentlichte Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays, übersetzte aus dem Englischen, Französischen, Spanischen und Italienischen und gab - für eine Frau geradezu anstößig - eine eigene Zeitschrift heraus. Aus dem Rahmen fiel auch ihr Liebesleben, das eheliche Untreue, eine Kutschreise zum Geliebten in Berlin und voreheliche Schwangerschaft einschloss.

    Auch ihre Werke stellten der zeitgenössischen Moral eine alternative Sittlichkeit entgegen. Sie bereichern die deutsche Literatur um gänzlich zeituntypische Frauenfiguren, die - wie bis dahin nur männliche Romanhelden - offen für neue Eindrücke in die Welt ziehen, abwechslungsreiche, unabhängige Abenteuerleben führen, als erfolgreiche Schauspielerinnen für ihren Lebensunterhalt sorgen und unvermählt mit selbst gewählten Liebhabern leben, ehe sie schließlich in den Schoß einer dauerhaften, gefühlsinnigen Beziehung einkehren. "Liebe und allenthalben Liebe, ich begreife nicht wie ohne sie nur etwas intreßant sein kann", heißt es in einer von Mereaus persönlichen Notizen. Der Wunschtraum gleichberechtigter Liebe ist eingebettet in den Wunschtraum vom Staat gleichberechtigter Bürger, für den das revolutionäre Frankreich und die junge Republik der Vereinigten Staaten von Amerika Modell stehen. Doch der Traum, in Deutschland "mitten in dem wirklichen prosaischen Leben eine freie poetische fantastische Lebensart" zu erschaffen, erwies sich in Mereaus realem Leben nicht zuletzt aufgrund der eingefahrenen Rollenmuster zwischen Mann und Frau als unerreichbar. Sensibel für die praktischen Unzulänglichkeiten des romantischen Liebesideals prophezeite sie dem ebenso kreativen und leidenschaftlichen wie besitzergreifenden Brentano vor der Hochzeit: "Ich werde mit Dir glücklich sein, das weiß ich; ob ich es bleiben werde, das weiß ich nicht, aber was geht mich die Zukunft an? - Kann ich nicht sterben, eh' ich unglücklich werde?" (1803).

    "Vergötterung und Allberechtigung der Liebe, Mißachtung der Ehe, poetische Anerkennung der Sinnlichkeit, Ringen nach Freiheit, Hinblick auf Frankreich", so fasste ein Zeitgenosse (August Varnhagen v. Ense) das unkonventionelle Leben und Werk Sophie Mereaus, einer der schillerndsten Schriftstellerinnen Deutschlands und freidenkerischen Vorreiterinnen weiblicher Emanzipation, zusammen. Die Faszination, die noch heute von ihren Schriften (drei Bände bei dtv) ausgeht, rührt nicht zuletzt daher, dass die Widersprüchlichkeit des darin durchscheinenden Emanzipationsprozesses, das Auf und Ab der Erfolge und Rückschläge auf dem dornigen Weg der Selbstverwirklichung und der Balanceakt zwischen Berufs- und Privatleben über die historische Entfernung hinweg nichts an Aktualität eingebüßt haben.

    Diese ganze Breite von Leben und Dichtung Sophie Mereaus will die Tagung "Sophie Mereau verDICHTET: Werk - Zeit - Raum" ausloten. Dabei sollen sowohl literaturgeschichtliche wie historische Perspektiven beleuchtet werden. Ihr Leben und ihre Dichtung zu Themen wie politischer und persönlicher Freiheit, Natur, Liebe, Sinnlichkeit, Freundschaft, Selbsterfüllung und Glück wird in ihrer Vernetztheit mit der enormen Dichte an Geisteskraft auf den Gebieten der Literatur, Philosophie und Naturwissenschaft in Jena und Weimar um 1800 diskutiert. Das vollständige Programm ist zu finden unter: http://www2.uni-jena.de/ereignis/geschlechter/aktuell.html.

    Weitere Veranstaltungen:
    Am 21.6., 19.30 Uhr, Jenaer Schillerhaus: "In den Weibern liegt etwas Prophetisches." Sophie Mereau-Brentano in Lyrik und Prosa;
    Am 22.6., 18.30 Uhr: Öffentlicher Abendvortrag von Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino (Ohio State University): "Welch eine Wollust...!" Sophie Mereaus Poetisierung weiblicher Sexualität, in den Rosensälen der Universität Jena;
    Am 23.6., 19 Uhr, Rathausdiele Jena, Sophie Mereau vertont - literarisch-musikalischer Abend mit Gesang (Kathrin Glass) und Klavier (Tanja Schubert), darunter Kompositionen unter anderem des gleichaltrigen Ludwig van Beethoven - der freilich, wie es damals üblich war, vom Copyright einer Sophie Mereau noch nichts gehört hatte.

    Veranstalterinnen und Organisatorinnen der Tagung:
    Dr. Nicole Grochowina (Universität Jena), Prof. Dr. Katharina von Hammerstein (University of Connecticut), Katrin Horn (Universität Jena)

    Kontakt:
    Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Sonderforschungsbereich 482: Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800
    Humboldtstraße 34
    07743 Jena
    Tel.: 036 41 / 94 40 50
    Fax: 036 41 / 94 40 52
    E-Mail: katrin-horn@web.de


    Weitere Informationen:

    http://www2.uni-jena.de/ereignis/geschlechter/aktuell.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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