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30.06.2006 14:36

Emigrant, Bürgerrechtler und Historiographie-Historiker

Jörg Feuck Science Communication Centre - Abteilung Kommunikation
Technische Universität Darmstadt

    TUD verleiht Georg G. Iggers die Ehrendoktorwürde

    Am Montag, den 3. Juli, verleiht die TU Darmstadt Prof. Georg G. Iggers Ph.D. die Würde einen Ehrendoktors. Die Verleihung des Titels "Doctor philosophiae honoris causa" (Dr.phil. h.c.) an Iggers wurde vom Senat der TU Darmstadt "in Anerkennung seiner außerordentlichen, weltweit beachteten Darstellungen zur Geschichte der Geschichtsschreibung" auf Antrag des Fachbereichs Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften beschlossen.

    Die Ehrung findet am 3.7.2006 ab 16.15 Uhr im Georg-Christoph-Lichtenberg-Haus, Dieburger Str. 241, statt. Die Laudatio "Kritik und Vermittlung Georg G. Iggers als Historiker" hält der Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Kocka MA. Anschließend spricht Prof. Iggers zum Thema "Ein anderes Deutschland? Wandel und Kontinuitäten".

    Georg G. Iggers, 1926 als Kind jüdischer Eltern in Hamburg geboren, musste mit seiner Familie 1938 Deutschland verlassen und in die Vereinigten Staaten emigrieren. Iggers studierte zunächst Romanistik, Germanistik, Soziologie und Philologie und wandte sich erst dann der Geschichtswissenschaft zu. Seine Doktorarbeit schrieb er 1951 an der Universität Chicago.

    Von 1950 bis 1963 unterrichtete Iggers an afroamerikanischen Colleges in Little Rock (Arkansas) und New Orleans (Louisiana) im Süden der USA, für ihn ein ganz bewusster Sprung: Als Angehöriger der politisierten Minderheit der jungen Generation amerikanischer Juden, die damals noch selber Diskriminierungen ausgesetzt war, suchte er den Kontakt zur ebenfalls und ungleich stärker diskriminierten Minderheit der Afroamerikaner. Iggers verband akademischen Unterricht mit politischer Elementarbildung und aktiver politischer Einmischung, er war ebenso sehr Hochschullehrer wie Bürgerrechtler.

    Nach den entscheidenden Urteilen des Supreme Court und den Gesetzen gegen die Rassensegregation nahm Iggers 1965 einen Ruf an die Universität Buffalo (New York) an und vertauschte die politische mit der "reinen" Wissenschaft. Kaum dort angekommen, sicherte er sich mit einem Buch, einer kritischen Geschichte des deutschen Historismus, die Aufmerksamkeit der Fachleute in Amerika und Europa.
    Zu den wissenschaftlichen Leistungen, die seine weltweite Beachtung begründen, zählt der von Iggers mitverursachte Bruch mit der Tradition des Historismus: Vergangene Ereignisse sollten nicht nur aus sich selbst heraus erklärt und verstanden werden, sondern auch im Hinblick auf die näheren oder ferneren Folgen. Dabei kommen unvermeidlich überzeitliche Maßstäbe ins Spiel, die bislang in der historischen Urteilsbildung keine Rolle spielten sollten. Iggers kritisierte damit die mittlerweile überwundene Orientierung an der buchstäblich herrschenden deutschen Leitvorstellung von Geschichtswissenschaft seit Leopold von Ranke, die im Glauben, unpolitisch-objektiv zu sein, in Wahrheit die Wertordnung des deutschen Machtstaates vertrat.

    Eine weitere bahnbrechende Interpretationsleistung Iggers' sind seine Beiträge zum Verständnis dessen, was in der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts methodisch vor sich gegangen ist. Iggers' Leistung besteht darin, dass er die miteinander nur allzu oft in scharfem Streit liegenden Forschungsansätze als zeitbedingt und damit als Antworten auf die von außen an die Geschichtswissenschaft gerichteten Fragestellungen erklären kann. Damit hat er eine wesentliche Erklärung des das 20. Jahrhundert kennzeichnenden Methodenpluralismus ebenso geliefert, ohne freilich alle als gleichermaßen berechtigt zu erklären.

    Seine bemerkenswerten Einsichten dürften auch darauf zurückzuführen sein, dass Iggers zumindest in den Augen vieler Kollegen gar kein "richtiger" Historiker ist: Iggers hat nie Rekonstruktion von Vergangenheit betrieben, sondern sich ausschließlich für die Art und Weise interessiert, wie andere dies tun. - Nach eigener Aussage hat er kaum jemals in Archiven gearbeitet.

    Iggers' Beziehung zur TU Darmstadt begann 1975, als auf Anregung des damaligen TH-Präsidenten Helmut Böhme, den er persönlich schon einige Zeit kannte, ein lockerer Austausch von Geschichts-Doktoranden zwischen den Universitäten Buffalo und Darmstadt begann. 1980 wurde ein formeller Vertrag geschlossen, der 1982 auf alle Disziplinen ausgeweitet wurde. Rasch waren Ingenieure, Naturwissenschaftler und Architekten in der Überzahl. Für diese Verdienste um die Zusammenarbeit der beiden Universitäten erhielt Iggers 1988 die Erasmus-Kittler-Medaille der TH Darmstadt. Auch die mittlerweile an vielen US-amerikanischen Universitäten bekannte Summer School der TUD geht auf den Austausch mit Buffalo zurück. 1991 war Iggers ein Semester lang Gastprofessor an der TU Darmstadt. Die Verbundenheit Iggers' mit der TU Darmstadt zeigt sich auch in der Mitherausgeberschaft der Festschrift für Helmut Böhme "Hochschule - Geschichte - Stadt" 2004.

    Iggers, der 1997 emeritiert wurde, ist Autor von 15 Büchern, Mitherausgeber dreier Zeitschriften und Ehrendoktor der University of Richmond sowie des Philander Smith College, Little Rock. Im Klappentext der Doppel-Autobiographie "Zwei Seiten der Geschichte - Lebensbericht aus unruhigen Zeiten", die er und seine Frau über ihr gemeinsamen Leben verfassten, heißt es:

    "Georg Iggers, ein jüdischer Kaufmannssohn aus Hamburg, und Wilma Abeles, die Tochter eines jüdischen Gutsbesitzers aus dem Sudentenland, fliehen mit ihren Eltern 1938 vor nationalsozialistischer Verfolgung. In Chicago lernen sie sich als Studenten kennen. Seitdem leben sie gemeinsam als international anerkannte Wissenschaftler und Bürgerrechtler. Als Lehrer an einem schwarzen College in Arkansas, ignorieren sie in den frühen Fünfzigern die Grenzen des Rassismus und setzen sich für die Gleichberechtigung der Schwarzen ein. In den Sechzigern sind sie in der Bürgerrechtsbewegung aktiv und engagieren sich gegen den Vietnam-Krieg. 1961 wird aus einer Fahrt durch Deutschland eine Rückkehr und Göttingen neben Buffalo zur zweiten Heimat. Verbindungen zu DDR-Historikern und Besuche in China zeugen von ihrem unermüdlichen Streben nach einer gerechteren Welt."

    Einladung:

    Zur Verleihung der Ehrendoktorwürde am Montag, 3.7.2006, ab 16.15 Uhr laden wir Pressevertreter herzlich ins Georg-Christoph-Lichtenberg-Haus, Dieburger Str. 241, ein. Über Ihre Teilnahme und Berichterstattung würden wir uns sehr freuen.

    he, 30 Juni 2006, PM-Nr. 128/2006


    Weitere Informationen:

    http://www.perlentaucher.de/autoren/11055.html
    http://www.buffalo.edu/reporter/vol37/vol37n19/articles/Iggers.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Organisatorisches, Personalia
    Deutsch


     

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