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20.12.1999 10:38

Zweierlei Moderne in Ost und West ?

Dipl.-Journ. Reiner Bensch Universitätskommunikation
Bauhaus-Universität Weimar

    Im Rahmen der »Vortragsreihe Philosophie« findet am 20. Januar 2000 um 19.00 Uhr im Hauptgebäude der Bauhaus-Universität eine Podiumsdiskussion zum Thema »Zweierlei Moderne in Ost und West?« statt. Es diskutieren Prof. Karin Wilhelm (Graz), Prof. Michael Müller (Bremen), Dr. Simone Hain (Berlin) und N.N. Moderiert wird die Veranstaltung von Gerhard Schweppenhäuser und Jörg H. Gleiter.

    Die in der Reihe der jährlichen Podiumsdiskussionen stattfindende Veranstaltung soll in der Reihe »Philosophische Diskurse« als Band 5 im Verlag der Bauhaus-Universität im Sommer 2000 erscheinen.

    Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist vom Triumph der libertären, westlichen Postmoderne über eine staatssozialistisch institutionalisierte Moderne im Osten kaum mehr etwas zu spüren. Glaubt man den Medienberichten, so scheint das durch die Postmoderne proklamierte Ende der Geschichte heute dem Bewusstsein des Scheiterns
    der Geschichte gewichen zu sein. Ist die Rede von der missratenen Wiedervereinigung, so mag dies auch etwas mit dem veränderten Bewusstsein gegenüber der Idee der Postmoderne zu tun haben, in besonderem Maße aber auch der Idee der Moderne selbst. Wenig Diskussion dürfte es darüber geben, dass der
    Wiedervereinigungsprozess anfänglich stark vom Eindruck einer verspäteten technologischen Modernisierung der DDR Gesellschaft geprägt war. Dieser ging von der Vorstellung einer »nachholenden« Moderne im Osten aus. Der auf fordistische Methoden vertrauende Städtebau der DDR schien dies mehr als deutlich zu beweisen. Von der Alimentierung der postmoderne Endzeiten feiernden westlichen Kulturszene gerade durch Künstler aus dem Osten wie Nina Hagen, A.R. Penck, Wolf Biermann, Götz Friedrich und Christa Wolf war dagegen nicht mehr die Rede. Vielleicht geht es zu weit, dem grauen Alltag des »Blaupausenmarxismus« (Lash) im Osten den in der abstrakten Gegenstandslosigkeit zu ersticken drohenden westlichen Kunstbetrieb direkt entgegenzustellen. »Gegen die Kaltekriegs-Konfrontationsformel Abstraktion contra Realismus« (Beaucamp) bleibt jedoch eines festzustellen: Die Entwicklung der beiden deutschen Staaten im Schema von Aufstieg und Fall der Moderne binär
    polarisieren zu wollen, die eine mit der anderen zu disqualifizieren, wirkte selbst ein Jahr vor der Jahrhundertwende schon reichlich antiquiert.
    Winfried Nerdinger hatte dagegen schon in den 80er Jahren den Begriff der »sich kreuzenden« Moderne geprägt. Obwohl die »zwei« Modernen noch dialektisch aufeinander bezogen blieben, so wurde doch eine von den jeweiligen regionalen kulturellen und politischen Verhältnissen beeinflusste gegenläufige Entwicklung erkannt. »So deutlich Gropius Popularitätskurve in den 70er Jahren im Westen fiel, so steil stieg sie umgekehrt im Osten.« (Nerdinger) In der Tat schien von da ab Gropius im Westen nur noch mit dem gestalterischen, dem netten, farbigen, lustbesetzten Teil der Bauhaus-Moderne assoziiert, während im Osten Gropius durch die Studien zu den montagefähigen Reihenhäusern, dem vorgefertigten, wachsenden Haus zum geistigen, legitimatorischen Vorbild des Wohnungsbaues der DDR aufstieg. Der Kulturkampf um die authentischere Moderne schien gerade erst kürzlich in den Feiern zum Geburtstag »unseres Sandmännchens« zu eskalieren. Wir begnügen uns damit festzustellen, dass die DDR mit dem ersten Sandmännchen dem Sauseschritt der kapitalistischen Kulturindustrie um viele Monate voraus war. Aber vielleicht wird beim genaueren Hinsehen durch die verhärteten Fronten hindurch auch eine neue Qualität erkennbar: das Bewusstsein der Moderne für ihre eigene Geschichtlichkeit. Nach dem Mauerfall, aber auch nach der Postmoderne scheint die Moderne in ein neues Verhältnis zu sich selbst und gleichfalls aus dem Schatten ihrer Historisierung im Bruch mit der Geschichte herauszutreten. Sie ist heute kaum mehr als geschichtlos zu bezeichnen. Müssten es ihrer aber nicht mindestens zwei sein? Wenn Zygmunt Baumann das »Ende der Eindeutigkeit« fordert, so ist die Möglichkeit einer Multiplizität der Moderne angedeutet. Scott Lash spricht von der »reflexiven Modernisierung im Sinne ihrer ?Doppelungen?«. Er fordert, der sozialen und politischen Reflexion eine ästhetische beizustellen. Wurde im Projekt der frühen Moderne »gesellschaftliche Entwicklung wesentlich als Emanzipation von der Natur verstanden«, wie Gernot Böhme feststellte, so muss sie heute als Befreiung aus ihrem selbstverordneten Mythos eines widerspruchslosen Ganzen begriffen werden. Im Zusammenhang mit der Globalisierung schien weitgehende Übereinstimmung zu herrschen, dass dies nur durch einen Blick von außen »vermöge der ethnologischen Verfremdung« (Paetzold) möglich sei. Demnach könnte Kultur kritisch sich selbst gegenüber nur in der Reflexion durch die »andere« Kultur hindurch sein. Wir fragen uns jedoch, ob an den Grenzen der Integrationsfähigkeit der doppelten Modernität im wiedervereinigten Deutschland nicht die Möglichkeit immanenter Kritik sichtbar wird. Müsste nicht die widerspenstige Vereinigung eher als »Laboratorium der Moderne« (Jameson) zu verstehen sein? Möglicherweise läge hier gegen die zwanghafte Homogenisierung eine einzigartige Chance. Wäre es im Gegensatz zu Christa Wolfs Metapher vom »geteilten Himmel« nicht eher sinnvoll, von der »zweierlei Moderne« zu sprechen? Dieser Übergang wäre mehr als nur symbolisch im Sinne der Entideologisierung, er hätte vor allem konzeptionellen Charakter. Zweierlei Moderne in Ost und West? Welches wären die Möglichkeitspotentiale einer multiplen Modernität, die immer zugleich unsere eigentlichen Wirklichkeitspotentiale sind?

    »Zweierlei Moderne in Ost und West« knüpft an die im akademischen Jahr97/98 an der Bauhaus-Universität veranstaltete Vortragsreihe »Paradoxien der Globalisierung« an und setzt die Diskussionen des 8. Internationalen Bauhaus-Kolloquium mit dem Thema »Global village ? Perspektiven der Architektur« vom vergangenen Herbst fort. Wurde dort die Frage nach der Differentialität der Moderne im globalen kulturellen und ethnographischen Rahmen gestellt, so soll nun gegen den verächtlichen Wegwerfgestus der Geschichte gegenüber die Problematik »Zweierlei Moderne in Ost und West?« im lokalen europäischen Rahmen und im Kontext der schwierigen Vereinigung der zwei deutschen Modernitäten thematisiert werden.

    Jörg H. Gleiter, Gerhard Schweppenhäuser


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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