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09.07.2006 13:00

Hoffnung auf neue und rascher wirkende Medikamente gegen Depressionen

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Neue, hormonbasierte Medikamente zur Behandlung von Psychosen und Depressionen scheinen vielversprechend, da die Substanzen offenbar rascher als herkömmliche Anti-Depressiva wirken. Das berichtete Dr. Paul Lucassen von der Universität Amsterdam, Niederlande, auf dem Forum der European Neuroscience Societies (FENS) am 9. Juli 2006 in Wien.

    Dr. Lucassen erforscht die Substanz RU486, die offenbar die strukturellen und funktionellen Veränderungen, die im Gehirn unter Stress und Depressionen auftreten, wieder normalisieren kann.

    Stress kann bei Menschen, die die Veranlagung dazu haben, Depressionen auslösen. Vor allem der Hippocampus, die Region des Gehirns, die für das Gedächtnis und das Lernen so wichtig sind, scheint für Stress anfällig zu sein, wie frühere Forschungen gezeigt haben. Bei Dauerstress schrumpfen die Nervenzellen (Neuronen) im Hippocampus und können absterben, was Gedächtnisverlust zur Folge hat. Auf der anderen Seite bildet der Hippocampus bei ausgewachsenen Tieren und auch beim erwachsenen Menschen neue Nervenzellen, ein Vorgang, den die Forscher als adulte Neurogenese (Nervenneubildung) bezeichnen. Das heißt im Hippocampus kommt es gleichzeitig zum Absterben und zur Neubildung von Nervenzellen.

    Forschungen von Dr. Lucassen und anderen Hirnforschern haben gezeigt, dass Stress die Nervenneubildung verringert. Doch 24 Stunden nach einer plözlichen Stressattacke ist die Nervenneubildung rasch wieder auf ein Normalmaß angestiegen. Nach unvorhergesehenem, jedoch langanhaltenem Stress, benötigt das Gehirn unter Umständen hingegen Wochen, bis es wieder in normalen Bahnen agiert. Unklar ist, weshalb sich die Nervenneubildung unter Stress und bei Depressionen verändert. Es könnte sein, dass sich das Gehirn an die neue Situation anpassen muss und dass Nervenzellen sterben müssen, um neuen Nervenzellen Platz zu machen, damit das Gehirn eine stressgeladene Situation bewältigen kann.

    "Anfänglich erwarteten wir, dass chronischer Stress die Verschaltungen im Gehirn zerstört, aber das war nicht der Fall", sagte Dr. Lucassen. Es scheint eher so zu sein, dass sich der "Umsatz" an neuen und alten Zellen im Hippocampus ändert. Die Tatsache, dass Stress keine dauerhaften Schäden im Gehirn anrichtet, und stressbedingte Veränderungen im Gehirn sich wieder normalisieren, ist nach Ansicht von Dr. Lucassen für die Entwicklung neuer Ansätze zur Behandlung von Stress und Depressionen sehr aussichtsreich.

    Wie Dr. Lucassen in Wien weiter berichtete, blockiert die Substanz RU486 die Auswirkungen von Stress auf das Gehirn. In einigen klinischen Studien mit einer großen Zahl von Patienten mit schweren psychotischen Depressionen zeigte sich, dass RU486 Psychosen und Depressionen innerhalb weniger Tage mildern kann. "Die Substanz scheint gut und schnell zu wirken. Es macht uns Mut zu sehen, dass die Patienten weniger depressiv sind", kommentierte er die Ergebnisse der Kliniker.

    Um die Auswirkungen von Stress auf die Neurogenese zu verstehen und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass viele andere anti-depressive Substanzen die Nervenneubildung im Tierversuch beeinflussen, untersuchten Dr. Lucassen und seine Mitarbeiter, ob eine kurze Behandlungsdauer mit RU486, ähnlich der in den klinischen Studien, ebenfalls Auswirkungen auf die Neurogenese gestresster oder mit Kortikosteroden (Nebennierenrindenhormonen) behandelten Ratten hat. Die Forscher stellten fest, dass die Behandlung mit RU486 für vier Tage sowohl das Überleben der Zellen, als auch die Nervenneubildung normalisierte, allerdings nur bei sehr hohem Stress. "Die sehr schnelle Wirkung von RU486 steht in starken Kontrast zu anderen Anti-Depressiva, die gewöhnlich erst nach mehreren Wochen oder Monaten wirken", sagte er .

    Die neuen Ergebnisse stützen außerdem die bisherige Vorstellung, wonach Anti-Depressiva erst dann wirken, wenn das Gehirn neue Nervenzellen bildet, dass also die Neurogenese die Voraussetzung für die Wirkung von Anti-Depressiva ist. In einem nächsten Schritt will Dr. Lucassen deshalb die damit verbundenden molekularen Mechanismen genauer untersuchen.

    ABSTRACT SO6.2

    Notes to Editors: Das Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) wird veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften und der Deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. An der Tagung nehmen über 5000 Neurowissenschaftler teil. Die FENS wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, Forschung und Ausbildung in den Neurowissenschaften zu fördern sowie die Neurowissenschaften gegenüber der Europäischen Kommission und anderen Drittmittelgebern zu vertreten. FENS ist der Europäische Partner der Amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (American Society for Neuroscience). Die FENS vertritt eine große Zahl europäischer neurowissenschaftlicher Gesellschaften und hat rund 16 000 Mitglieder.

    Pressestelle während der Tagung:
    Austria Center Wien
    Raum U 557
    Tel.: ++43-(0)1-26069-2025
    8. - 12. Juli 2006

    Nach der Tagung:
    Österreich, Schweiz, Deutschland
    Barbara Ritzert
    ProScience Communications
    Andechser Weg 17, D-82343 Pöcking
    Tel.: ++49-(0)8157-9397-0
    Fax: ++49-(0)8157-9397-97
    ritzert@proscience-com.de


    Weitere Informationen:

    http://fens2006.neurosciences.asso.fr


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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