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11.07.2006 00:01

Flüstern und Düsenjet - Wie das Gehirn Geräusche unterscheidet

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Zwei Freunde gehen auf der Strasse spazieren und unterhalten sich. Ein Motorrad röhrt vorbei, ein Auto hupt, Musik dröhnt aus einem Geschäft, im Hintergrund Fußgängerschritte, Stimmen, Verkehrslärm. Wie kann das Gehirn diese unterschiedlich lauten und leisen Töne erfassen und voneinander unterscheiden? Professor David McAlpine und seine Kollegen vom University College in London, Großbritannien, haben jetzt zum ersten Mal zeigen können, wie das Gehirn sich an unterschiedlich laute Geräusche anpasst. Die Forschungen sind auch ein wichtiger Schritt zur Erkenntnis von Hörschäden.

    Wie Professor McAlpine auf dem Forum der European Neuroscience Societies (FENS) 2006 am Dienstag, den 11. Juli 2006 in Wien berichtete, kann das menschliche Ohr mit einer außerordentlichen Genauigkeit Töne von 0 Dezibel (dB) - dieser Wert gilt als Hörschwelle und entspricht zum Beispiel einem Flüstern - bis zu 120 Dezibel eines Düsenjets hören. Der Neurowissenschaftler untersuchte die Mechanismen im Gehirn, die für diese große Hörspanne verantwortlich sind. "Wie bestimmen wir, wie laut ein Ton ist?", fragte er. "Es ist paradox, dass das Ohr eine große Spannbreite von sehr leisen bis ohrenbetäubenden Geräuschen hören kann, das Gehirn aber lediglich eine Aufnahmekapazität für 40 Dezibel hat", sagte er.

    Bis vor kurzem gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Nervenzellen, obwohl sie verstärkt elektrische Impulse "abfeuern", dennoch nicht die ganze Spannbreite, mit denen der Mensch Veränderungen in der Lautstärke unterscheiden kann, ausschöpfen. Wissenschaftlern war bis jetzt nicht klar, wie das Hörsystem diese offenbar sehr große Einschränkung überwindet.

    Aufzeichnungen haben gezeigt, dass die meisten Hörnerven ihre höchste elektrische Impulsrate sehr schnell bei leisen bis mittellauten Tonstärken erreichen.

    "Es muss also im Gehirn bestimmte Anpassungsmechanismen geben, da sich diese Einschränkung der Hörspannbreite nicht in unserem Verhalten widerspiegelt", sagte Professor McAlpine.

    Er machte Hörversuche mit Meerschweinchen, um herauszufinden, wie die Region im Mittelhirn, die für das Hören verantwortlich ist, sich an unterschiedlich laute Geräusche anpassen kann, wenn gleichzeitig Hintergrundgeräusche zu hören sind. Die Tiere bekamen Kopfhörer auf und dann wurde über Elektroden die Reaktion der Nervenzellen auf Knistergeräusche aufgezeichnet.

    "Wir entdeckten, dass Nervenzellen sich tatächlich sehr schnell an unterschiedlich laute Geräusche anpassen können. Innerhalb weniger hundert Millisekunden können Nervenzellen feststellen, dass die unterschiedlich lauten Geräusche von unterschiedlichen Quellen kommen", sagte er. Weiter stellten die Wissenschaftler fest, dass weniger Nervenzellen benötigt werden, wenn die Geräusche lauter werden.

    Diese Anpassung verbessert die Genauigkeit, mit der das Gehirn Lautstärken kodiert und sie erweitert die Spannbreite der Geräuschintensität. Diese Feineinstellung des Hörens in der näheren Umgebung kann bis zu 90 dB gehen. Das bedeutet, offenbar hat das Gehirn kein Problem, die Spannbreiten der Lautstärke auszuschöpfen.

    Sollte das Hörsystem von Tier und Mensch gleich sein, dann könnten von diesen Untersuchungen Menschen mit Hörproblemen wie Tinnitus (Klingelgeräusche) oder Hyperacusis (übersteigertes Hörempfinden) profitieren.

    "Bei diesen Erkrankungen hängt das Kontrollsystem fest, ähnlich wie eine CD festhängt", sagte Professor McAlpine. Es laufen Untersuchungen, wie dieses Problem verhindert werden kann. Die spezifischen zellulären Mechanismen, die diesem Anpassungsprozess zu Grunde liegen, sollen jetzt erforscht werden.

    ABSTRACT S46.3

    Notes to Editors Das Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) wird veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften und der Deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. An der Tagung nehmen über 5000 Neurowissenschaftler teil. Die FENS wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, Forschung und Ausbildung in den Neurowissenschaften zu fördern sowie die Neurowissenschaften gegenüber der Europäischen Kommission und anderen Drittmittelgebern zu vertreten. FENS ist der Europäische Partner der Amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (American Society for Neuroscience). Die FENS vertritt eine große Zahl europäischer neurowissenschaftlicher Gesellschaften und hat rund 16 000 Mitglieder.

    Pressestelle während der Tagung:
    Austria Center Wien
    Raum U 557
    Tel.: ++43-(0)1-26069-2025
    8. - 12. Juli 2006

    Nach der Tagung:
    Österreich, Schweiz, Deutschland
    Barbara Ritzert
    ProScience Communications
    Andechser Weg 17, D-82343 Pöcking
    Tel.: ++49-(0)8157-9397-0
    Fax: ++49-(0)8157-9397-97
    ritzert@proscience-com.de


    Weitere Informationen:

    http://fens2006.neurosciences.asso.fr


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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