Anlässlich einer Einladung von Verbänden am 10. Juli 2006 ins Bundesumweltministerium nach Berlin konnte der vdbiol als Mitglied des "Naturschutzforums Deutschland" (NaFor) die gemeinsam mit der Gesellschaft für biologische Systematik (GfBS) erarbeitete Stellungnahme zur Stärkung der taxonomischen Ausbildung dem Minister überreichen und erläutern.
Anlässlich einer Einladung von Verbänden am 10. Juli 2006 ins Bundesumweltministerium nach Berlin konnte der vdbiol als Mitglied des "Naturschutzforums Deutschland" (NaFor) die gemeinsam mit der Gesellschaft für biologische Systematik (GfBS) erarbeitete Stellungnahme zur Stärkung der taxonomischen Ausbildung dem Minister überreichen und erläutern.
Bundesminister Gabriel nahm diese Informationen sehr interessiert auf, der vdbiol/der NaFor ist aufgefordert im Nachgang Ansätze für Abhilfemaßnahmen mit den zuständigen Stellen in diesem und anderen Ministerien zu erarbeiten.
Die Stellungnahme und die Ansprechpartner hierzu finden Sie im Folgenden:
Initiative für die Taxonomie in Deutschland
Gesellschaftlicher Rahmen
Effiziente Umweltpolitik wie professionelles Umweltmanagement benötigen die genaue Erfassung und Überwachung aller in den Landschaften vorkommenden Arten. Ältere Konzepte, welche die lokale Erhaltung ausgewählter Arten zum Ziel hatten, sind heute weitgehend von Projekten eines umfassenderen Lebensraumschutzes für Biozönosen abgelöst worden.
Deutschland hat sich unter anderem in der Convention on Biological Diversity (CBD) verpflichtet, die drei Ziele der CBD, den Schutz der Biodiversität, deren nachhaltige Nutzung und den gerechten Vorteilsausgleich, zu verfolgen.
In der CBD wird festgestellt, dass die wissenschaftliche Erfassung der Organismen nach qualitativen und quantitativen Kriterien die Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele ist (Arbeitsprogramm der GTI, Decision CBD/VI/8). Effizienter Natur-/Umweltschutz, aber beispielsweise auch die biologische Schädlingsbekämpfung, sind somit ohne die Mitarbeit qualifizierter Taxonomen nicht denkbar, insbesondere nicht in globalem Maßstab. Die im Jahr 2008 in Deutschland auszurichtende 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD bietet für das BMU eine exzellente Gelegenheit, die Position Deutschlands in diesem Bereich einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
1. Personelle Situation
Bereits heute fehlen wissenschaftlich ausgebildete Taxonomen, um Organismen so sicher wie effizient zu bestimmen. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands im sensiblen Bereich des Natur-/Umweltschutzes ist durch die Streichung und Umwidmung entsprechender Lehrstühle und Personal- und Mittelkürzungen an den Hochschulen und Museen stark bedroht. An vielen Hochschulstandorten ist bereits die in diesem Bereich so wichtige Vermittlung von Fachwissen an die nachfolgenden Studentengenerationen unterbrochen. Universitäten bevorzugen heute vielfach jene Fachrichtungen, die hohe Investitionen und Drittmittel erfordern, und die sich an einer optimalen wirtschaftlichen Verwertbarkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse orientieren. Die grundlagenwissenschaftlich orientierte Taxonomie ist darunter nicht zu finden. Der Kapazitätsabbau gerade in den klassischen Fächern der Lebenswissenschaften geht ungehindert weiter. Mittelfristig ist nicht einmal mehr die Lehrerausbildung in diesem Bereich gesichert, obwohl sich die Vertragsstaaten - und somit auch Deutschland - in der Konvention zur biologischen Vielfalt dazu verpflichtet hatten, das Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt zu fördern und zu begünstigen.
2. Interdisziplinäre Vernetzung
Die konsequente Integration aller wissenschaftlichen Methoden inklusive neuer digitaler, molekularbiologischer und automatisierter Techniken zur schnelleren Identifikation der Organismen steckt noch in den Kinderschuhen. Sie ist nur zu leisten und in die praktische Arbeit der Naturschutzbehörden einzubinden, wenn sichergestellt ist, dass dies auch wissenschaftlich fundiert und koordiniert geschieht. Der Nachholbedarf in Deutschland an Fachkräften, die diese Integrationsleistung für die Praxis erbringen können, ist enorm, erfordert aber eine kontinuierliche finanzielle Förderung über viele Jahre. Diese Mittel wären nachhaltig investiert, weil taxonomische Informationen lokal wie global genutzt werden könnten, z.B. auch in Einrichtungen die nur über Internet, aber nicht über einen direkten Zugang zu Sammlungen und Bibliotheken verfügen.
3. Informationsmanagement
Datenbanken über Biodiversität (Aussehen, Vorkommen, Lebensweisen von Arten inklusive Komplexität, Vernetztheit und Dynamik ökologischer Prozesse) werden in Deutschland zur Zeit noch weitgehend unkoordiniert, halbherzig und an vielen Stellen parallel entwickelt. Vor allem Nicht-Spezialisten, z.B. fachfremden Vertretern in Naturschutzbehörden, wird dadurch die praktische Arbeit erschwert. Es fehlt eine konsequente digitale Erfassung (Bündelung) der bereits vorhandenen Informationen, die in unzähligen Fachzeitschriften und Büchern verstreut sind und die selbst erfahrene Taxonomen nur für spezielle Organismengruppen vollständig überblicken. Durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurden zeitlich begrenzt Mittel für die Global Biodiversity Information Facility (GBIF) bereitgestellt, mit dem Ziel, einen Teil der in Sammlungen vorliegenden Informationen zur Biodiversität digitalisiert verfügbar zu machen. Ohne längerfristige Finanzierung kann dieses Ziel aber nicht erreicht werden. So bemüht sich z.B. derzeit "AnimalBase" um weitere Förderung für ein Digitalisierungsprojekt der Göttinger Universitätsbibliothek für seltene und oft entscheidend wichtige zoologische Literatur bis 1800. Eine Einstellung dieses Projektes wäre ein äußerst herber Rückschlag für die wissenschaftliche Erschließung wichtiger historischer Grundlagen der Biodiversitätsforschung.
Dringend zu treffende Maßnahmen
Die Taxonomie-Initiative des NaFor erhofft sich die politische, inhaltliche und finanzielle Unterstützung durch das BMU und seiner nachgelagerten Einrichtungen. Insbesondere sind folgende Bereiche kurzfristig anzugehen:
1. Verbesserung der personellen Situation
Forschungs- und Förderprogramme, die das Fachwissen von Taxonomen auf lange Sicht für die Hochschulen sichern und auch für die Weitergabe an Nachwuchswissenschaftler sorgen, sind mit höchster Priorität einzurichten. Die kontinuierliche Vermittlung und Anwendung der Ergebnisse der Biodiversitätsforschung ist als eine zentrale Aufgabe der Hochschulen und Museen zu fixieren. Dabei ist zu beachten, dass fundiertes taxonomisches Wissen nur in langjähriger Praxis erworben werden kann.
Mit der Umstellung der Ausbildung auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge können wissenschaftlich orientierte Studiengänge durch Profilbildung organismische Biologie, Systematik und Ökologie attraktiver gestaltet werden. Aber auch für das Lehramtsstudium Biologie ist sicherzustellen, dass in den Schulen das Interesse an Natur und Umwelt geweckt wird und erste Kenntnisse über die Biodiversität und ökologische Zusammenhänge zu vermitteln sind. Die Anstellung fachfremd ausgebildeter Lehrer droht auch hier die Weitergabe von fachlichem Wissen abreißen zu lassen. Dazu bedarf es einer klaren politischen Unterstützung in Bund und Ländern.
2. Verbesserte Integration und Vernetzung relevanter Wissenschaften
Forschung und Lehre der organismischen, systematischen und ökosystemaren Biologie in den naturschutzrelevanten Bereichen muss im Verbund mit den molekularen Biowissenschaften weiterentwickelt werden. Insbesondere fächerübergreifende Projekte müssen gefördert werden.
Nur so können langfristig die Voraussetzungen für folgende Punkte gelegt werden:
- fachlich qualifizierte Umsetzungen und Neuerungen im Natur- und Umweltschutz,
- nachhaltige Biodiversitätsnutzung mit z.B. biopharmazeutischen umweltbiotechnologischen oder pflanzenschützerischen Zielsetzungen,
- molekulare Funktionsanalysen in Entwicklung, Struktur und Leistungen von Organismen, beispielsweise bei invasiven (Neophyten oder Neozoen) oder genetisch modifizierten Organismen, mit dem Ziel eines systembiologischen Forschungsansatzes.
3. Verbessertes Informationsmanagement
Forschungs- und Förderprogramme sind dringend einzurichten, die den konsistenten Ausbau der Biodiversitätsdatenbanken ermöglichen, damit über die Grenzen der Bundesländer hinweg und im internationalen Rahmen die Arbeit und Ergebnisse von Forschungsmuseen und Umweltinstituten gebündelt werden können. Erst durch die breit angelegte Vernetzung der taxonomischen Informationen bekommen naturschutzrelevante, ökologische, molekularbiologische und phylogenetische Untersuchungen das Fundament, das sie für aussagekräftige und belastbare Ergebnisse brauchen. Die taxonomische Kompetenz, auch im Hinblick auf eine Zusammenarbeit in Europa und mit Entwicklungsländern, wird dadurch gestärkt.
Es wird empfohlen, mit Hilfe einschlägiger, im wissenschaftlich orientierten Naturschutz aktiven Institutionen eine Task-Force zu bilden, die beratend an der Bewältigung der aktuellen Probleme mitwirkt. NaFor bietet hier seine Unterstützung an.
Für weitergehende Fragen stehen wir gerne zu Verfügung.
Ansprechpartner
NaturschutzForum
Prof. Dr. Remmer Akkermann, Präsident
c/o Bundesgeschäftsstelle Hannover
Alleestraße 1, 30167 Hannover
Postfach 4360, 30043 Hannover
Tel.: 0511-7010883, Fax: 0511-704533
www.nafor.de
Ausbildungssituation
Dr. Carsten Roller, Geschäftsführer
Verband Deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften - vdbiol
Corneliusstr. 12, 80469 München
Tel.: 089-26024573, Fax: 089-26019729
www.vdbiol.de
CBD und Globale Taxonomie Initiative
Dr. Fabian Haas, FRES
Nationale Kontaktstelle der Globalen Taxonomie Initiative (GTI)
Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Rosenstein 1, 70191 Stuttgart
www.gti-kontaktstelle.de/index.html
vdbiol, GTI, GfBS, NAFOR
http://www.nafor.de Naturschutzforum Deutschland, Vereinigung für den wissenschaftlich gestützten Natur- und Umweltschutz
http://www.vdbiol.de Verband deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften e.V.
http://www.gfbs-home.de Gesellschaft für biologische Systematik
http://www.gti-kontaktstelle.de Nationale Kontaktstelle der Globalen Taxonomie Initiative (GTI)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Informationstechnik, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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