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14.07.2006 13:42

Lehrerdasein: Nach Umfang und Art eine Spitzenbelastung

Rudolf-Werner Dreier Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    Freiburger Forscher fordern Konsequenzen aus neuen Studienergebnissen

    Zur Situation an den allgemein bildenden Schulen hat eine Freiburger Forschergruppe neue Daten vorgelegt. Die Arbeitsgruppe an der Freiburger Universitätsklinik unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Bauer, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, untersucht seit Anfang 2005 im Rahmen eines von der Berliner "Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin" unterstützten Forschungsprojektes "Lange Lehren" die berufliche und gesundheitliche Belastung schulischer Lehrkräfte. Besonders besorgniserregend sei das in der Untersuchung deutlich gewordene Ausmaß an Bedrohung und Gewalt, dem Lehrer ausgesetzt seien, so Bauer. "Die Daten zeigen erneut, dass schulische Lehrkräfte nach Umfang und Art einer andauernden Spitzenbelastung ausgesetzt sind".

    Gegenstand der Freiburger Untersuchung war eine detaillierte, von neutraler Seite vorgenommene Analyse der quantitativen und qualitativen Arbeitsbelastung von Lehrern auf der Basis einer repräsentativen Untersuchung. In die Untersuchung einbezogen waren 950 Lehrkräfte an Hauptschulen und Gymnasien innerhalb dreier Schulbezirke in und um Freiburg. Lehrer mit vollem Deputat, so eines der Ergebnisse, leisten eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 51 Zeitstunden. Ferienzeiten sind dabei allerdings nicht berücksichtigt. Bei der Einschätzung von beruflichen Belastungen, so die Freiburger Wissenschaftler, seien jedoch nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen.

    Die Freiburger Studie analysierte, welchen Widrigkeiten Lehrerinnen und Lehrer in ihrem beruflichen Alltag ausgesetzt sind. Soweit es die Beziehung mit Schülern betrifft, sind innerhalb eines 12-Monatszeitraums 43 Prozent der Lehrkräfte das Ziel von massiven verbalen Angriffen, sieben Prozent haben Beschädigungen persönlichen Eigentums erlebt, mehr als vier Prozent wurden konkret mit körperlicher Gewalt bedroht und 1.4 Prozent der Lehrkräfte waren - jeweils innerhalb eines Zeitraumes von nur einem Jahr - von körperlicher Gewalt betroffen. Die Prozentsätze liegen bei isolierter Betrachtung der Hauptschulen sogar noch deutlich höher: 53 Prozent verbale Attacken, zehn Prozent Beschädigung von persönlichem Eigentum, 7.3 Prozent Androhung körperlicher Gewalt, 2.1 Prozent erlebte körperliche Gewalt.
    Wenig überraschend und eine Bestätigung ähnlicher Untersuchungen durch andere Arbeitsgruppen war, dass in der jetzigen Freiburger Erhebung 29,8 Prozent der Lehrkräfte an medizinisch relevanten Stress- und Belastungssymptomen leiden, insbesondere an Schlafstörungen und depressiven Symptomen. Grund dafür dürfte nach Ansicht der Freiburger Arbeitsgruppe neben der bereits erwähnten quantitativen und qualitativen Arbeitsbelastung ein Übermaß an Verausgabung bei gleichzeitig fehlender Wertschätzung und Anerkennung ihrer Arbeit sein, wie 22 Prozent der Lehrkräfte anhand eines arbeitsmedizinischen Fragebogens berichteten. Arbeitsmediziner bezeichnen ein solches Missverhältnis als "Effort-Reward-Imbalance".

    Studienleiter Bauer zieht aus den Ergebnissen folgenden Schluss:
    o Schulische Lehrkräfte verdienten mehr Wertschätzung und Anerkennung für die von ihnen geleistete Arbeit. Die öffentliche Stimmungsmache gegen Lehrerinnen und Lehrer müsse aufhören. Die erzieherische Verantwortung von Eltern bedürfe einer nachhaltigen Stärkung. Insbesondere Väter hätten sich in den letzten Jahren zunehmend aus der Erziehungsverantwortung zurückgezogen. "Kinder brauchen zum einen mehr Zuwendung, andrerseits aber auch mehr Erziehung zur Einhaltung sozialer Regeln", so Bauer.

    o Dringend erforderlich sei weiterhin eine "Vermenschlichung des schulischen Arbeitens" durch mehr Zeit für Lehren und Lernen und ein Mehr an Kreativität und Sport. Die Abarbeitung riesiger Stoffmengen in der knappen Zeit des Vormittags sei weder für Schüler noch für Lehrer zumutbar. Dies erfordert nach Ansicht Bauers nicht nur eine verstärkte Entwicklung in Richtung Ganztagsschule, sondern auch die Ganztagspräsenz von Lehrkräften an der Schule.

    o Dringend erforderlich sei schließlich, bei der Ausbildung schulischer Lehrkräfte nicht nur auf fachliche Aspekte zu achten, sondern angehende Lehrerinnen und Lehrer mit psychologischer Kompetenz auszustatten. "Der Lehrerberuf ist ein Beziehungsberuf. Viele Lehrkräfte verfügen über kein ausreichendes Wissen darüber, wie man gelingende Beziehungen gestaltet, vor allem dann, wenn man es mit zunehmend schwierigen Partnern zu tun hat."

    Kontakt:
    Prof. Dr. med. Joachim Bauer
    Abteilung Psychosomatische Medizin Hauptstrasse 8
    D- 79104 Freiburg
    Tel 0761 / 270 6539
    joachim.bauer@uniklinik-freiburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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