idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
20.07.2006 10:49

Soziale Schutzrechte durchsetzen: Prof. Waas berät China für ein neues Arbeitsrecht

Susanne Bossemeyer Stabsstelle 2 – Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
FernUniversität in Hagen

    Wer an Arbeitsbedingungen in China denkt, dem fallen die Sweatshops ein, in denen ausgebeutete Arbeiterinnen gefälschte Markenprodukte für den Billig-Export herstellen, oder die Bergwerke, deren Sicherheitsstandards so schlecht sind, dass es immer wieder Tote gibt. Er denkt an verarmte Wanderarbeiter, die sich in der Landwirtschaft als Tagelöhner verdingen und die manchmal wie Zwangsarbeiter gehalten werden.

    Und zur gleichen Zeit die neuen Glitzerwelten in Hongkong und Shanghai. Ein unglaubliches Wachstum und ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel, der atemberaubend ist. Zusammen ergibt das ein Bild eklatanter sozialer Ungleichheit, von Reichtum, von Armut, von Privilegien und Vetternwirtschaft, von Rechtlosigkeit und Willkür.

    Natürlich gibt es in China Gesetze. Auf dem Papier hat das Land ein gutes Arbeitsrecht, gültig seit dem Jahr 1994. So gilt beispielsweise das Prinzip, dass jeder, der eine Arbeit verrichtet, auch einen Arbeitsvertrag und folglich bestimmte Rechte bekommen muss. Der Begriff des Arbeitnehmers ist damit breit definiert, erklärt Univ.-Prof. Dr. Bernd Waas, der an der FernUniversität Arbeitsrecht lehrt.

    Und es besteht Hoffnung, dass das chinesische Arbeitsgesetzbuch in Zukunft durchgängiger befolgt wird. Denn derzeit wird es überarbeitet: Man will die Anpassung an die Marktwirtschaft schaffen. Ziel ist es aber, soziale Schutzrechte dabei zu erhalten und sie auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen, erläutert Waas. Das Arbeitsrecht soll die Auswüchse des Kapitalismus sozial abfedern; zugleich macht man Investoren den Weg frei. "Natürlich sind deshalb die Schutzrechte nicht so stark wie in Deutschland", erklärt der Arbeitsrechtler. Doch sie gingen so weit, dass die USA schon fürchteten, China werde investitionsunfreundlich, sagt er.

    Es sprechen mehrere Indizien dafür, dass das Land es mit seinem Arbeitsrecht ernst meint: Der Gesetzentwurf steht im Internet, mit der ausdrücklichen Bitte um Stellungnahme. 190.000 Rückmeldungen aus der Bevölkerung sind bereits eingegangen. Selbst die amerikanische Wirtschaftskammer lieferte eine Einschätzung.

    Außerdem bat das Legislativkomitee des ständigen Ausschusses des Volkskongresses - das den Gesetzentwurf entwickelt - Waas und weitere deutsche Experten ganz offiziell um Beratung. Die GTZ vermittelte, und nach China reisten Univ.-Prof. Dr. Däubler, emeritierter Professor für Arbeitsrecht der Uni Bremen, Wolfgang Linsenmaier, Richter am Bundesarbeitsgericht, Rechtsanwalt Michael Kriegsmann - und Professor Waas, der als einer von wenigen in Deutschland rechtsvergleichend über Arbeitsrecht arbeitet.

    In einer zweitägigen Anhörung mit dem Legislativkomitee besprachen die Experten eine ganze Reihe von Fragen. Dabei ging es keineswegs darum, grundlegenden Arbeitnehmerschutz in einen rückständigen Gesetzentwurf zu zwingen - sondern um gewisse Ungereimtheiten in Regelungen auf hohem sozialen Standard.
    Waas beispielsweise nahm Stellung zur Arbeitnehmerüberlassung, also der Regelung von Zeitarbeit. "Da gibt es noch ein paar Inkonsistenzen", erklärt er. Der Entwurf sieht bisher zum Beispiel vor, dass ein Unternehmer und die Zeitarbeitsfirma die Arbeitgeber-Rechte beim Verleih von Arbeitskräften nach Belieben aufteilen können. Das jedoch könnte unangenehme Folgen für die Arbeitnehmer haben: Sie haben keine Rechtssicherheit. Ein weiterer Diskussionspunkt waren die Regelungen zu Massenentlassungen: Hier sieht der Gesetzentwurf vor, die Gewerkschaften am Verfahren zu beteiligen. Definiert war aber nicht, was geschehen soll, wenn Gewerkschaft und Arbeitgeber nicht einig werden.

    "Wichtig ist, nicht alles einfach am deutschen Recht zu messen", erklärt Waas das Vorgehen der Arbeitsrechtler. Sondern stattdessen mit aufmerksamem Blick und geschultem Juristenauge nach Ungereimtheiten zu suchen. Im GTZ-Büro erarbeitete die deutsche Delegation nach der Anhörung noch eine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf; im Herbst soll das Gesetz beschlossen werden.
    "Ob unsere Empfehlungen sich dann durchsetzen, ist immer auch eine Frage von Zufälligkeiten", relativiert Waas seinen Einfluss. Doch das Interesse war da, das Komitee führte mit den deutschen Experten eine lebhafte und fruchtbare Diskussion, berichtet er. Möglich wurde dies auch durch exzellente Übersetzer, deren Anwesenheit den Stellenwert der Anhörung abermals untermauern. Er selbst ist fasziniert: "Wenn nur ein kleiner Teil meiner Anmerkungen in ein Gesetz für eine Milliarde Menschen einfließt - das wäre schon verrückt."

    Natürlich räumt er ein, dass manches nach wie vor nur auf dem Papier stehen wird. Schon das alte, sozialistische Arbeitsrecht war relativ arbeitnehmerfreundlich. Die unwürdigen Zustände gibt es trotzdem. "Aber der politische Wille ist da, das Recht wirklich prägend werden zu lassen", glaubt Waas. Es sieht aus, als könnte es besser werden für Arbeiter in China.

    Weitere Informationen:
    FernUniversität in Hagen
    Lehrgebiet Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung
    Prof. Dr. Bernd Waas
    Telefon 02331/987-2090
    E-Mail LG.Waas@fernuni-hagen.de

    Redaktion:
    Stabsstelle Kommunikation
    Anemone Schlich - Pressereferentin
    Telefon 02331/987-2421
    E-Mail anemone.schlich@fernuni-hagen.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Personalia
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).