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10.08.2006 14:59

Lehrpläne für ein neues Menschenbild - Wie die Gesetzestexte der Reformation Deutschland veränderten

Dr. Johannes Schnurr Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Heidelberger Akademie der Wissenschaften

    Heidelberger Akademie der Wissenschaften stellt Band 18 der Edition "Evangelische Kirchenordnungen" vor - "Zum ersten Mal wurden Ansätze einer allgemeinen Bildungspolitik in Deutschland sichtbar."

    Im Jahre 1533 traten die Zweibrücker Herzöge zum Protestantismus über. Damit wurde in ihrem gesamten Territorium die reformatorische Lehre auch für ihre Untertanen verbindlich. War das alltägliche Leben der Menschen seit dem Mittelalter neben dem weltlichen Recht vor allem durch katholisches Kirchenrecht, das sogenannte "Corpus Iuris Canonici" geregelt, so wurde die alte Rechtsordnung durch den Wechsel zur neuen Lehre mit einem Schlag hinfällig. Dies bedeutete für die Untertanen eine nicht unerhebliche Unsicherheit, was solch wichtige Fragen wie die Eheschließung, die Regelung der Armenfürsorge oder der Schulbildung anging.

    Am 1. September legt die Forschungsstelle "Evangelische Kirchenordnungen" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Band 18 Rheinland-Pfalz I: Herzogtum Zweibrücken, Grafschaften Veldenz, Lützelstein, Sponheim, Sickingen, Manderscheid u.a. ihrer Edition der Kirchenordnungen des südwestdeutschen Raumes vor. "Wir sehen hier einen großen gesellschaftlichen Umbruch, der eben nicht nur den Glauben allein, sondern auch die ganz grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders betraf", so Dr. Thomas Bergholz von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. "Die damaligen Umbrüche erwiesen sich als weitreichend: Zum ersten Mal wurden Ansätze einer allgemeinen Bildungspolitik in Deutschland sichtbar. Im Herzogtum Zweibrücken etwa wurde faktisch die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Hier zeigt sich ein neues Menschenbild, hier wurden Grundsteine für Veränderungen gelegt, die ihre Fortwirkungen bis auf den heutigen Tag zeigen."

    Auch wenn das Herzogtum Zweibrücken ein eher kleines Gebiet umfasste, entwickelten die hier 1557 unter Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken herausgegebenen Rechtstexte doch weitreichende Wirkung. Sie waren maßgeblich auch für die neue Gesetzgebung in weiten Teilen des heutigen Rheinland-Pfalz, im Hunsrück, der Eifel und dem Westerwald, sowie in Lothringen und dem Elsass. Ausschlaggebend war eine bis dato unerreicht eindeutige Regelung des Rechtslebens, die mit etlichen gesellschaftlichen Neuerungen einherging: So erhielt im Herzogtum Zweibrücken jedes Dorf eine Schule. War kein Lehrmeister vorhanden, so wurde der örtliche Pfarrer verpflichtet, den Unterricht zu halten. Und dies eben nicht nur in religiösen Fragen, sondern vor allem Lesen, Schreiben und Rechnen standen auf dem Lehrplan. "Inhaltlich und formal sehen wir hier eine musterhafte Kirchenordnung vor uns", so Bergholz. "Viele Lebensbereiche wurden neu strukturiert, und zwar bis hinein in die Lehrpläne der Schulen. Die Landeskirche wurde neu aufgebaut, die theologischen und andere Examina standardisiert."

    Die Bevölkerung begrüßte die neuen Regelungen, brachten sie doch Sicherheit in vielen Fragen des täglichen Lebens mit sich. Doch unter der Oberfläche lebten die alten religiösen Bräuche, wie etwa das "Wetterläuten", noch lange fort. "Im Mittelalter wurden bei Unwetter die Glocken geläutet. Die Menschen glaubten, dass die gesegneten Glocken Unheil abwenden würden, eine Schlechtwetterfront vertreiben und Ernteschäden abwenden könnten", stellt Bergholz fest. Die evangelische Kirche jedoch wollte das Läuten der Glocken als schlichte Aufforderung zum Gebet, zur inneren Einkehr verstanden wissen. "So bedeuten die Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts auch die Abwendung von einem uralten naturmagischen Denken. Es wurde durch die Weltanschauung des neuen Humanismus allerdings nur sehr langsam verdrängt."

    Sehling, Emil: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band XVIII: Rheinland-Pfalz I. Herzogtum Zweibrücken, Grafschaften Veldenz, Lützelstein, Sponheim, Sickingen, Manderscheid u.a. Bearbeitet von Thomas Bergholz. Verlag Mohr-Siebeck, 732 Seiten und Karte. Leinen ca. 200 Euro. ISBN 3-16-148761-3

    Rückfragen bitte an:

    Dr. Johannes Schnurr
    Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
    Telefon: 06221 / 54 34 00
    Fax: 06221 / 54 33 55
    E-Mail: johannes.schnurr@urz.uni-heidelberg.de
    Internet: www.haw.baden-wuerttemberg.de

    sowie

    Pfr. Dr. Thomas Bergholz
    Forschungsstelle Evangelische Kirchenordnungn
    Telefon: 06221/ 54 81 69
    Fax: 06221/ 54 43 95
    E-Mail: thomas.bergholz@urz.uni-heidelberg.de


    Bilder

    1557 erschien unter Herzog Wolfgang von der Pfalz-Zweibrücken eine neue Kirchenordnung. Sie zog weitreichende Veränderungen für die Untertanen nach sich wie etwa die Einführung der Schulpflicht.
    1557 erschien unter Herzog Wolfgang von der Pfalz-Zweibrücken eine neue Kirchenordnung. Sie zog weit ...
    (Quelle: Mit freundlicher Erlaubnis des Kurpfälzischen Museums Heidelberg)
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    Titelblatt Bd. 18: Die Evangelische Kirchenordnung aus Zweibrücken war so eindeutig und durchdacht formuliert, dass auch andere Landstriche sie nahezu identisch für die Regelung ihrer Rechtsfragen und damit in weiten Teilen für Belange des Alltagslebens übernahmen.
    Titelblatt Bd. 18: Die Evangelische Kirchenordnung aus Zweibrücken war so eindeutig und durchdacht f ...
    (Quelle: Verlag)
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    1557 erschien unter Herzog Wolfgang von der Pfalz-Zweibrücken eine neue Kirchenordnung. Sie zog weitreichende Veränderungen für die Untertanen nach sich wie etwa die Einführung der Schulpflicht.


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    Titelblatt Bd. 18: Die Evangelische Kirchenordnung aus Zweibrücken war so eindeutig und durchdacht formuliert, dass auch andere Landstriche sie nahezu identisch für die Regelung ihrer Rechtsfragen und damit in weiten Teilen für Belange des Alltagslebens übernahmen.


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