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06.09.2006 13:17

Industriewald oder Stadtpark? Wie türkische Migranten die Stadtnatur sehen

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Im unmittelbaren Umfeld der ehemaligen Industriebrachen leben viele türkische Migranten, die aber die Industriewälder nur in geringem Umfang nutzen. Warum das so ist, interessierte das NRW-Umweltministerium (MUNLV NRW), das eine Studie am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Ruhr-Universität und dem Institut für Geographie und ihre Didaktik der Universität Dortmund in Auftrag gab. Die Forscher betrieben also Ursachenforschung: Sie befragten 230 türkischstämmige Anwohner dreier Industriewälder in Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund und stellten fest: Gefragter sind eher gepflegte, hergerichtete Grünflächen mit Wegenetzen, Sitzgelegenheiten und Brunnen als verwilderte, naturbelassene Wälder. Eine stärkere Einbindung der Migranten in die Planung von städtischen Grünflächen könnte aber hier für mehr Akzeptanz sorgen.

    Bochum, 06.09.2006
    Nr. 291

    Industriewald oder Stadtpark?
    Wie türkische Migranten die Stadtnatur sehen
    RUB-Studie: Befragung und Workshops

    Im unmittelbaren Umfeld der ehemaligen Industriebrachen leben viele türkische Migranten, die aber die Industriewälder nur in geringem Umfang nutzen. Warum das so ist, interessierte das NRW-Umweltministerium (MUNLV NRW), das eine Studie am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Ruhr-Universität und dem Institut für Geographie und ihre Didaktik der Universität Dortmund in Auftrag gab. Die Forscher betrieben also Ursachenforschung: Sie befragten 230 türkischstämmige Anwohner dreier Industriewälder in Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund und stellten fest: Gefragter sind eher gepflegte, hergerichtete Grünflächen mit Wegenetzen, Sitzgelegenheiten und Brunnen als verwilderte, naturbelassene Wälder. Eine stärkere Einbindung der Migranten in die Planung von städtischen Grünflächen könnte aber hier für mehr Akzeptanz sorgen.

    Befragungen und Workshops

    Die Forscher untersuchten die Industriewaldflächen Rheinelbe, Graf Bismarck und Hansa in den Stadtteilen Gelsenkirchen-Ückendorf/Bochum-Leithe und Bismarck/Schalke-Nord sowie Dortmund-Huckarde. Sie befragten insgesamt 230 Bewohner mit türkischem Migrationshintergrund und führten 17 Experteninterviews mit lokalen Akteuren in den Projektgebieten durch. Workshops mit den Bewohnern der Viertel ergänzten die Befragung.

    Der Garten ist der Favorit

    Befragte mit eigenem Garten nutzen die öffentliche Stadtnatur selten "Wenn ein Garten da ist, habe ich nicht das Bedürfnis, woanders hinzugehen", sagte ein Interviewter. In allen Untersuchungsräumen gaben rund 50% der Befragten an, den Garten fast täglich zu nutzen. Allerdings gibt es Generationenunterschiede: Während die erste Migrantengeneration die private Stadtnatur, den eigenen Garten, insbesondere als Nutzgarten und Kommunikationsort bevorzugt, nutzen die zweite und dritte Generation intensiver die öffentliche Stadtnatur zur Erholung, Entspannung und für sportliche Aktivitäten. Der Lieblingsort für Spaziergänge, häufigste Aktivität in der Stadtnatur, ist der Park. Hingegen ist die Akzeptanz von verwilderter Natur bei türkischen Migranten gering. "Die Natur muss man ordnen und herrichten", gab ein Befragter im Interview zu Protokoll.

    Wer wann wie lange im Wald ist

    Entsprechend werden die Industriewaldflächen, mit Ausnahme von Rheinelbe (über 80% der Befragten gaben an, dass sie diese Fläche besuchen) wenig angenommen: Graf Bismarck besuchen nur rund 40% der Befragten und Hansa nur knapp über 20%. Aufgesucht werden die Flächen v. a. am Wochenende und mit der Familie, am häufigsten zwischen 14 und 18 Uhr für ein bis zwei Stunden. Als Gründe für die Nichtnutzung oder die geringe Nutzung des Industriewaldes führten die Befragten an, dass ihnen Gestaltungselemente und Ausstattungsmerkmale (z. B. Wasserspender, Spielplätze etc.) fehlen. Natur in der Stadt wird oft mit gestalteter Natur in Form von Parkanlagen gleichgesetzt (19,5%). Verwilderte und unordentliche Flächen sind weniger beliebt. "Die Bedeutung einer gestalteten Fläche erkennt man insbesondere an den Aussagen der Befragten im Projektgebiet Graf Bismarck. Dort befindet sich mit dem Consol-Park eine Stadtnaturfläche, die nach dem Empfinden der türkischen Migranten ästhetisch ansprechend ist. "In diesem Zusammenhang wünschten sich viele Befragte eine vergleichbare Entwicklung für die Industriewaldfläche", erklärt Orhan Güles vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie. Frauen und Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund nutzen die Stadtnaturflächen selten alleine. Dies betrifft insbesondere die Industriewälder.

    Wasserspender, Brunnen, Spielplätze sind gewünscht

    Ein großer Teil der Befragten offenbarte den Wunsch nach Umgestaltung der Industriewaldflächen im Sinne von Parkanlagen mit Wegenetzen, Sitzgelegenheiten und Brunnen. Hier spielen soziokulturelle Gründe eine Rolle: Die Wahrnehmung und Bewertung der Stadtnatur durch türkische Migranten der ersten Generation wird durch die ihnen bekannte Gestaltung der Stadtnatur in der Türkei geprägt. Dort wird in der Stadtplanung der Gestaltung und Pflege der öffentlichen Stadtnatur eine große Bedeutung eingeräumt. In der öffentlichen Stadtnatur in der Türkei finden sich viele Gestaltungselemente, die diesen Stadtnatur-Ansprüchen der Stadtbewohner entsprechen (z. B. Wasserspender).

    Handlungsempfehlungen

    Für die künftige Gestaltung und intensivere Nutzung der Industriewaldflächen durch die in den angrenzenden Quartieren lebenden Bewohner ist ihre Einbindung in eine transparente, partizipative Planung von entscheidender Bedeutung. Konkret leiteten die Forscher sieben Handlungsempfehlungen aus den Ergebnissen der Untersuchung ab: 1. Mehr Information und Kommunikation, mehr transparente Planung. 2. Mehr Sicherheit im Wald. 3. Mehr gendersensitive Planung, z.B. durch Schutzbereiche für Frauen mit Kindern. 4. Mehr kultureller Gestaltungsmix. "Hierbei ist anzumerken, dass diese Maßnahmen nicht den Zielen des Industriewald-Konzeptes zuwiderlaufen dürfen. Beispielsweise könnten markierte umgefallene Baumstämme als Sitzgelegenheiten in kreativer Art und Weise in das Konzept integriert werden", erklärt Orhan Güles. 5. Stärkere Aktivierung von Kindergärten und Schulen. 6. Stärkere Einbindung der türkischen Migranten-Community, z.B. über die Migrantenselbstorganisationen (Moscheevereine, Jugendhilfe- und Sportvereine sowie Kulturvereine etc.). 7. Angewandte Forschungsprojekte für eine stärkere Anwohnerpartizipation.

    Placemaking im Industriewald

    Zur Umsetzung und Erprobung dieser Empfehlungen plant die Projektgruppe ein Folgeprojekt "Placemaking im Industriewald" mit dem Ziel, bewohnergetragene Aneignungsprozesse in Industriewäldern zu unterstützen und zu evaluieren. Es sollten Freiräume für die Aneignung aller in den Quartieren lebenden Bevölkerungsgruppen geschaffen werden, die ein Experimentieren mit Modellprojekten ermöglichen. Potenzielle Modellprojekte sind der "Wald der Kulturen", der "Wald der Generationen" und der "Wald der Nachbarschaften". Diese Projekte sollen den aktuellen Trends und Problemen der Quartiersentwicklung in hoch verdichteten Stadträumen begegnen und zum Aufbau nachhaltiger bewohnergetragener Strukturen beitragen. Hier können Lösungsansätze entwickelt werden, die in modifizierter Form bundes- und europaweiten Transfercharakter aufweisen können.

    Weitere Informationen

    Dipl.-Geogr. Gisela Prey, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstr. 150, 44801 Bochum, NA 7/166, E-Mail: gisela.prey@rub.de, Tel.: 0234/32-23440, http://www.geographie.rub.de/ag/wsg/projekte/forschungsprojekte.html


    Weitere Informationen:

    http://www.geographie.rub.de/ag/wsg/projekte/forschungsprojekte.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Gesellschaft, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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