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17.11.1997 00:00

Rechtsradikalismus: (k)ein Thema für Angestellte

Kai Uwe Bohn Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITAET BREMEN - Nr. 168/1997

    Rechtsradikalismus: (k)ein Thema fuer Angestellte?

    - Auslaender werden als Geschaeftspartner akzeptiert, als Nachbarn abgelehnt

    - Bremer Studie untersucht Neigung zu rechtsradikalem Denken in der gesellschaftlichen Mitte

    - Die Ergebnisse sind nicht eindeutig und schwanken zwischen Feindseligkeit und Toleranz

    Gibt es rechtsradikale Potentiale in der Mitte der Gesellschaft? Oder sind rechtsextreme Orientierungen ein Phaenomen unterprivilegierter Schichten und Randgruppen der Gesellschaft? Im Auftrag der Angestelltenkammer Bremen untersuchte eine Forschungsgruppe im Institut fuer Psychologie und Sozialforschung (IPS) der Universitaet Bremen (Professor Birgit Volmerg, Beate Bensch und Dietmar Kirchhoff) die Frage, in welcher Weise Angestellte zu rechtsextremistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft, die sich besonders gegenueber Auslaendern zeigen, Stellung nehmen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind nicht eindeutig: Auslaenderfeindlichkeit oder -akzeptanz haengen von den jeweiligen Alltagssituationen ab.

    In der Pilotstudie haben die Bremer Psychologen mit Angestellten aus fuenf verschiedenen Berufsfeldern (Einzelhandel; Import/Export; Schiffbau; Sozialarbeit; Bank) ueber folgendes Thema diskutiert: Auslaender als Kollegen, Kunden oder Nachbarn. - Welche Erfahrungen haben ich gemacht und was ist mir dabei wichtig? In den Diskussionen mit den Angestellten schaelten sich fuenf uebergreifende Dimensionen heraus: Die fremde Kultur und Nationalitaet; das geschaeftliche Verhaeltnis zwischen Deutschen und Auslaendern, auslaendische Arbeitskraefte als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt; auslaendische Gruppen und der deutsche Sozialstaat; die Vergangenheit der Deutschen, die nicht vergehen will. Diese Dimensionen beinhalten unterschiedliche Erfahrungskontexte im Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit Auslaendern. Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist, dass diese Kontexte spezifische, fuer alle untersuchten Gruppen typische Argumentationsmuster, Haltungen und Umgangsweisen mit der Auslaenderthematik hervorbringen. Die Haltungen und Argumentationen veraendern sich, je nachdem, in welchem Kontext gesprochen wird. Innerhalb der Kontexte sind sie jedoch stabil.

    Die fremde Kultur und Nationalitaet

    Wenn es um das Zusammenleben mit auslaendischen Gruppen geht, steht besonders die tuerkische Familie und Kultur mit ihrer patriarchalen Praegung des Geschlechterverhaeltnisses im Mittelpunkt. Bedrohungs- und UEberfremdungsgefuehle, Entwertung der Wohn- und Lebensqualitaet ganzer Stadtviertel, "Vertreibung aus der eigenen Heimat" - all dies wird im lebensweltlichen Kontext als Gefahr gesehen. In Verbindung mit der Rolle der Frau wird die fremde Kultur als rueckschrittlich und unterentwickelt erlebt, ein zusaetzliches Motiv fuer die weiblichen Angestellten, sich von ihr abzugrenzen.

    Das geschaeftliche Verhaeltnis zwischen Deutschen und Auslaendern

    Im geschaeftlichen Kontext spielt die Identitaet eine untergeordnete Rolle, sie wird sogar als ein zu ueberwindendes Hemmnis aufgefasst. Die Universalitaet der Tauschgesetze veraendert die Haltung zu auslaendischen Kunden und Geschaeftspartnern grundlegend. Unter dem Vorzeichen von Verkauf und Gewinn sind die Kenntnis und Anpassung an die Regeln fremder Kultur wuenschenswert. Anpassungsprobleme werden daher als eigene Probleme wahrgenommen. Fuer das berufliche Weiterkommen ist Offenheit und Verstaendigungsfaehigkeit mit auslaendischen Partnern und Kunden nur positiv.

    Auslaendische Arbeitskraefte als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt

    In dieser Dimension dominieren Status- und Wertprobleme in der Zusammenarbeit mit auslaendischen Kolleginnen und Kollegen. Aus eigenen Arbeitserfahrungen wissen die Beteiligten, dass die Zuordnung auslaendischer Arbeitskraefte zum unteren Ende der Arbeitsplatzhierarchie nicht mehr ohne weiteres angenommen werden kann. Dies verschaerft zugleich die Wahrnehmung von Konkurrenzdruck und Verdraengungsgefuehlen. Dennoch spielen hier Haltungen mit einer auslaenderfeindliche Tendenz kaum eine Rolle.

    Auslaendische Gruppen und der deutsche Sozialstaat

    Mit diesem Thema beschaeftigen sich alle Diskussionsgruppen sehr stark. Politische Verfolgung als Anerkennungsgrund fuer Asylsuchende tritt fast vollstaendig hinter der Vermutung missbraeuchlicher Ausnutzung des deutschen Sozialstaats und damit des deutschen Steuerzahlers zurueck. Das Potential an Wut und Hass, das dadurch entsteht, wird von allen Gruppen ausfuehrlich beschrieben und reflektiert. Ob man selbst auch solche Gefuehle hegt, bleibt unausgesprochen. Zumindest wird Verstaendnis fuer die entstehende Empoerung geaeussert.

    Die unvergessene Vergangenheit der Deutschen

    In der vergleichenden Analyse konnte die Forschungsgruppe bei allen Diskussionsgruppen eine charakteristische Form des Umgangs finden. Es entwickelte sich ein "doppelter Diskurs", der gepraegt ist von den Tabusperren und Reflexionsbarrieren aufgrund deutscher Vergangenheit. Das Gebot der Toleranz und des Schutzes Verfolgter im Sinne einer Wiedergutmachung fuehrt zur Kontrolle eigener Gefuehle und zur kritischen Selbstpruefung im Umgang mit dem Thema. Trotzdem wiederholen sich Redewendungen aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch als unbewusster Teil unserer Alltagssprache. Da, wo die Naehe erkannt wird, entstehen Erschrecken und Peinlichkeitsgefuehle. Dieses Erschrecken verhindert auch, dass bestimmte Segmente, die fuer rechtsextremistisches Denken typisch sind, zusammengebracht werden: Gewaltakzeptanz und Ideologie der Ungleichheit.

    Schlussfolgerung

    Die Bremer Wissenschaftler bezweifeln, ob Gebote wie "Sei nicht auslaenderfeindlich!" auf Dauer die feindseligen Impulse kontrollieren koennen, wenn auf einer zweiten Diskursebene - indirekt - zugleich Verstaendnis fuer eben diese Impulse bei anderen geaeussert wird. Statt dessen befuerworten sie das Aufgreifen, Zurueckverfolgen und Verarbeiten solcher feindseliger Impulse, besonders in der politischen Bildungsarbeit.

    Birgit Volmerg, Beate Bensch, Dietmar Kirchhhoff

    Rechtsextremismus, kein Thema fuer Angestellte? Hamburg 1997: VSA Verlag 263 Seiten, DM 39,80; fuer Kammermitglieder DM 15,- (Schutzgebuehr).

    Auszuege aus diesem Buch gibt die Angestelltenkammer unter dem gleichnamigen Titel als Broschuere heraus.

    Weitere Auskuenfte erteilt: Prof. Dr. Birgit Volmerg Universitaet Bremen Institut fuer Psychologie und Sozialforschung Grazer Str. 6 28334 Bremen Sekretariat Tel. (0421) 218 - 2149 Fax. (0421) 218 - 4976 Email: tips@uni-bremen.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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