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03.02.2000 10:52

Psychische Belastungen bei Skispringern

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena (03.02.00) Fast 100 Stundenkilometer schnell sausen sie auf ihren Skiern die steile Schanze hinab, um dann im entscheidenden Augenblick, sich kraftvoll abzustemmen und Sekunden später bis zu 200 Meter weiter und 130 Meter tiefer möglichst elegant im Telemark-Stil zu landen. Kaum eine andere olympische Sportart fordert den Athleten jedes Mal aufs Neue so viel Courage ab wie das Skispringen. Was mögen sie denken, so lange sie - den Schanzentisch und die Auslaufzone vor Augen - auf dem schmalen Balken sitzen und warten, bis die Ampel grünes Licht gibt für den Sprung in die schneeweiße Stadionschlucht? Welche Ängste und Sorgen sie vor, während und nach dem Wettkampf plagen, hat Dr. Reinhild Kemper, Sportwissenschaftlerin an der Universität Jena, 29 Kader-Athleten im Alter zwischen elf und 26 Jahren gefragt.

    Der größte Alptraum des Springers ist es offenbar, während der Flugphase einen Ski zu verlieren. In der Umfrage erzielte diese Antwort den Mittelwert 6,51 auf einer Skala von 1 bis 7. Dass diese Angst keineswegs aus der Luft gegriffen ist, bestätigte Springer-As Jens Weißflog, der mit seinem Fachwissen bei der Konzeption der Fragebögen half, der Jenaer Wissenschaftlerin. Der Oberwiesenthaler durchlebte in seiner aktiven Zeit diese überkritische Situation, überstand sie jedoch glimpflich. Glück und profihaftes Können, attestiert ihm Dr. Kemper: "Dass er diesen dramatischen Augenblick mit nicht allzu schweren Verletzungen überstand, verdankt er einerseits einem guten Luftkissen, das ihm in der Luft die notwendige Stabilität gab, andererseits seiner großen Erfahrung und Geistesgegenwärtigkeit, sich bei der Landung richtig zu verhalten."

    An die zweite Stelle unter den psychischen Belastungsbedingungen im Wettkampf setzten die befragten Athleten ein unerwartetes frühes Ausscheiden (5,17), das alle Aussicht auf eine gute Platzierung oder gar Siegeshoffnungen zunichte macht, an die dritte das Verfehlen der eigenen Leistungen aufgrund widriger Wetterbedingungen (4,65). Aber auch ein schlechtes Wegkommen vom Schanzentisch (4,62) sowie Windboen während der Flugphase (4,51) werden von den Athleten als ziemlich belastend empfunden.

    Überhaupt liegt beim Wetter ein viel größerer Unsicherheitsfaktor, als man glauben mag. Ungünstige Windverhältnisse (3,96) und starker Schneefall (3,89) belasten die Athleten stärker als etwa großes Medieninteresse (2,58) oder große Zuschauermengen (2,41).
    Nach dem Wettkampf nagt der Ärger, wenn aufgrund einer unge-recht-fer-tig-ten Haltungsnote ein guter Platz oder gar der Sieg verfehlt wird (5,13). "Aber auch ein selbstverschuldeter verschenkter Sieg, zum Beispiel aufgrund eines vergessenen Telemarks bei der Landung, wird von den befragten Skispringern mit einem Mittelwert von 5,03 als ziemlich belastend bewertet", so Dr. Kemper. Eine verpatzte Technik (4,75) wie eine unerwartet schlechte Mannschaftsleistung (4,58) sind weitere Faktoren, die den Sportler nach dem Wettkampf Stress bereiten. Kommt eine ungerechtfertigte Medienkritik (4,03) noch hinzu, so ist die 'Misere' komplett.

    "Eine rechtzeitige mentale Vorbereitung, wie sie unterschiedliche Formen des Psychologischen Trainings ermöglichen, kann helfen, psychische Belastungen zu reduzieren oder erst gar nicht entstehen zu lassen," erläutert Dr. Kemper. Insbesondere in der Stressverarbeitung, der Technikoptimierung, aber auch im Umgang mit Verbands- und Medienvertretern sollen Skispringer spezifische Strategien erwerben. "Die psychisch-mentale Vorbereitung sollte als selbstverständlicher Bestandteil mit in das allgemeine Training einfließen."

    Daneben nennt die Wissenschaftlerin einige Verbesserungsvorschläge der Sportler selbst für das praktische Umfeld; zum Beispiel wünschen sich die Skispringer hinreichend große, warme Ruhezonen zur psychischen und physischen Wettkampfvorbereitung. Für einen guten Sprung sind die organisatorischen Rahmenbedingungen nicht minder wichtig als eine vorzügliche Schanzenpräparation. Sobald die Studie abgeschlossen ist, erhält der Deutsche Ski-Verband die Ergebnisse. "Das habe ich Cheftrainer Rudi Tusch als Dank für seine Unterstützung versprochen," berichtet die Jenaer Sportwissenschaftlerin.

    Besonders herzlich bedankt sie sich aber bei den 29 Aktiven, die die umfangreichen Fragebögen ausfüllten - darunter übrigens auch vier Athletinnen. "Die meisten skisprungbegeisterten Zuschauer wissen gar nicht, dass auch Mädchen und junge Frauen diese Sportart betreiben" und sie verrät, "Wenn bei einem Wettkampf ein Vorspringer mutig die Sprungbedingungen austestet, so ist da auch schon mal unerkannterweise ein talentiertes Mädel dabei."

    Ansprechpartnerin:
    Dr. Reinhild Kemper
    Institut für Sportwissenschaft der Universität Jena, Abtlg. Sportpsychologie
    Tel.: 03641/945695, 02925/3799, Fax: 03641/945691
    E-Mail: s9kere@rz.uni-jena.de oder Kemrei@t-online.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Psychologie, Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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