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10.10.2006 15:45

Wie kommt es zur positiven Bewertung von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz?

Dr. Isabelle Otterbach AWMF Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zum Vorbericht des IQWiG zur Nutzenbewertung von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz.

    Am vergangenen Freitag hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seinen Vorbericht zur Nutzenbewertung der Cholinesterasehemmer bei Alzheimer-Demenz veröffentlicht. Nach rund anderthalb Jahren Arbeit ist ein 224 Seiten starker Bericht entstanden, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Cholinesterasehemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin "bei Patienten mit einer Alzheimer-Demenz leichten bis mittleren Schweregrades einen Nutzen bezüglich des Therapieziels Besserung bzw. Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit" haben. "Weiterhin gibt es für alle drei Substanzen Hinweise auf einen Nutzen im Hinblick auf das Therapieziel Besserung bzw. Verhinderung der Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens." (S. 171)

    Da nach den Stellungnahmen des IQWiG zu ausgewählten Statinen und Insulin-Analoga viele davon ausgegangen waren, dass das Institut die Cholinesterasehemmer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit negativ bewerten würde, ist dieses positive Fazit fast eine kleine Sensation. Wie kommt es zustande?

    In die Bewertung des IQWiG wurden 12 placebokontrollierte, randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) zu den Wirkstoffen Donepezil, Galantamin und Rivastigmin einbezogen. Bei 8 dieser 22 Studien wurden "grobe" Mängel festgestellt, bei den restlichen Studien "leichte Mängel" bezüglich ihrer Studien- und Publikationsqualität. "Bei groben Mängeln wäre die Gesamtaussage grundsätzlich in Frage zu stellen, wenn die Mängel behoben würden", so das IQWiG (S. 19).

    In einem zweiten Schritt wurden mit den 22 in die Untersuchung eingeschlossenen Studien verschiedenste Metaanalysen gerechnet, die zu den folgenden Ergebnissen führten:

    · Anteil von Patienten mit Nebenwirkungen: Donepezil: 5-10%, Galantamin: 5-20%, Rivastigmin: 10-40%,
    · Nutzen im Bereich der Kognition und des klinischen Gesamteindrucks,
    · Geringe Effekte bzw. Hinweise auf Effekte hinsichtlich der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL),
    · Für Galantamin: Verbesserung der Psychopathologie der Patienten und des Betreuungsaufwandes der Angehörigen,
    · Keine nachgewiesenen Effekte (z.T. auch, weil keine Daten dazu vorlagen) hinsichtlich krankheitsbezogener Lebensqualität, Zeitpunkt der Institutionalisierung und Mortalität der Patienten sowie Lebensqualität der (betreuenden) Angehörigen.

    In der abschließenden Diskussion kommt das IQWiG zu folgender Aussage: "Wenngleich auch der vorliegende Bericht häufig gravierende Mängel bei der Studien- und Berichtsqualität identifiziert und damit die Validität einzelner Studienergebnisse in Frage gestellt hat, erscheint eine allein daraus resultierende Negativbewertung nicht angemessen (...)."

    Warum bewertet das IQWiG die Wirksamkeit positiv? Drei methodische Entscheidungen scheinen dafür maßgeblich zu sein:
    1. Obwohl das IQWiG gravierende Mängel in immerhin 8 der 22 Studien sieht, zieht es daraus keine Konsequenz im Sinne einer Nicht-Verwertung der in diesen Studien gewonnenen Daten. Es bezieht auch die Studien mit gravierenden Mängeln in die Berechnungen von Metaanalysen ein.
    2. Das IQWiG nimmt an, dass die Verwendung der LOCF-Methode (last observation carried forward) die Ergebnisse nicht wesentlich verfälscht. Diese Auffassung wird damit untermauert, dass ein Zusammenhang zwischen den Abbruchraten und den Therapieeffekten hinsichtlich Kognition in einer eigenen Analyse nicht ersichtlich wird. Diese Analyse ist allerdings nicht gut nachvollziehbar und bezieht nur die Hochdosisgruppen ein.
    3. Drittens nimmt das IQWiG an, dass eine Verletzung des ITT-Prinzips (intention to treat) im Bereich von weniger als 10,5 Prozentpunkten nicht relevant ist. Das bedeutet, dass aus den Endpunktanalysen 10% der Patienten herausfallen können und das Studienergebnis nicht beeinträchtigt wird. Den Beweis dafür, dass diese Annahme stimmt, bleibt das IQWiG schuldig. Es ist auch unklar, wie die Grenze von 10,5% zustande gekommen ist - warum nicht 11,7%?

    Eine Kosten-Nutzen-Erwägung der Cholinesterasehemmer fehlt im Bericht. Man könnte das damit begründen, dass entsprechende Studien fehlen. Dennoch stellt das angesichts der Diskussionen um Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (national und international) ein gewisses Manko dar.

    Zusammenfassend kann die DEGAM der Argumentation des IQWiG nicht folgen: Eine positive Nutzenbewertung von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz ist auf der Basis der vorliegenden Studienlage nicht nachvollziehbar und somit auch nicht gerechtfertigt.
    (4.710 Zeichen) September 2006

    Pressekontakt:
    Dr. Isabelle Otterbach
    Institut für Allgemeinmedizin
    Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität
    Theodor-Stern-Kai 7
    60590 Frankfurt am Main
    Telefon: 069-6301-7173
    Fax: 069-6301-6428
    E-Mail: otterbach@allgemeinmedizin.uni-frankfurt.de
    Homepage: http://www.degam.de

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    DEGAM - Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

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    Jahrestagung: 21.9. - 23.9.2006, Potsdam;
    "DMPs: Chance oder Bedrohung der hausärztlichen Arbeit?"

    Pressekontakt:
    Dr. med. Isabelle Otterbach
    Institut für Allgemeinmedizin
    Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität
    Theodor-Stern-Kai 7
    60590 Frankfurt
    Tel.: 069-6301-7173
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    E-Mail: otterbach@allgemeinmedizin.uni-frankfurt.de
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    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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