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16.10.2006 11:44

"Homeschooling": Bonner Erziehungswissenschaftler legt Buch vor

Frank Luerweg Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Die Debatte um die streng gläubigen Hamburger Eltern, die ihre Kinder unter allen Umständen zu Hause unterrichten wollen, hat das Thema "Homeschooling" auf die Titelseiten der Zeitungen befördert - oft zum Preis einer stark verkürzten Argumentation. Ein neu erschienenes Buch will die Diskussion versachlichen. Professor Dr. Volker Ladenthin, Erziehungswissenschaftler an der Universität Bonn, zeichnet darin mit seinem Mitherausgeber Ralph Fischer Für- und Wider-Argumente seit dem 18. Jahrhundert nach. Sein Vorschlag: Der Staat solle Homeschooling freigeben - aber nur unter strenger Kontrolle.

    Vielfach sind es religiöse Motive, aus denen Eltern ablehnen, ihre Kinder auf eine staatliche Schule zu schicken. Manche fundamentalistische Christen lehnen die Evolutionslehre ab und halten Sexualkundeunterricht für moralisch verwerflich. "Es gibt aber auch Andere, die nicht die Inhalte kritisieren, sondern das Umfeld, in dem diese vermittelt werden", betont Professor Dr. Volker Ladenthin. "Eltern von Mobbingopfern beispielsweise." Die Behörden interessieren die Gründe jedoch wenig: In Deutschland herrscht nicht Bildungspflicht, sondern Schulpflicht. Und die setzt der Staat notfalls sogar mit Gewalt durch - den Hamburger Eltern beispielsweise droht der Entzug des Sorgerechts.

    Die Debatte ist so alt wie das staatliche Schulwesen selbst. In dem Buch "Homeschooling - Tradition und Perspektive" hat Ladenthin zusammen mit seinem Mitherausgeber Ralph Fischer die Pro- und Contra-Argumente seit dem 18. Jahrhundert nachgezeichnet. "In Deutschland ist Schulbildung seit 1791 einzig und allein Sache des Staates", sagt er. "Anders als beispielsweise in den USA oder in Holland, wo Privatunterricht durchaus erlaubt und sogar üblich ist."

    Individualität vs. Qualität

    Seit jeher ist es vor allem das Argument der pädagogischen "Passung", das Befürworter des Privatunterrichts in die Waagschale werfen: Der Lehrer - egal ob Privatlehrer oder Elternteil - könne individueller auf den Schüler eingehen. Ihre Gegner argumentieren dagegen, nur in öffentlichen Schulen seien einheitliche Qualitätsstandards gewährleistet. Das Niveau sei dort zudem in der Regel höher. "Schon Martin Luther erkannte, dass Eltern sich nur in ihrem Bereich auskennen, aber nicht ins Weltwissen einführen können", erklärt Ladenthin. "Der Hufschmied weiß nicht unbedingt auch, wie man Wein keltert." Zudem müssten in einer Demokratie Kinder von jung an lernen, mit unterschiedlichen Ansichten und Werten umzugehen. "Das geschieht authentisch nur in der öffentlichen Schule."

    Dennoch plädiert Ladenthin dafür, das strikte Verbot für den Unterricht zuhause zu lockern: "Man sollte Homeschooling aus meiner Sicht freigeben, aber an starke staatliche Kontrollen binden." Dass das funktionieren kann, zeigen die Ausnahmen, die schon heute möglich sind. So dürfen Diplomaten in bestimmten Fällen im Ausland ihre eigenen Kinder unterrichten - aber nur nach festen Lehrplänen. Die Behörden schreiben sogar vor, welche Schulbücher zu verwenden sind. Der Lernerfolg wird in externen Prüfungen kontrolliert. "Wenn man Homeschooling unter diesen Bedingungen allgemein erlauben würde, würde man der Debatte ohne großes Risiko die Spitze nehmen", ist der Bonner Erziehungswissenschaftler überzeugt.

    Dass sehr viele Eltern von diesem Recht Gebrauch machen würden, sei aus seiner Sicht ohnehin nicht zu erwarten - welche Mutter oder welcher Vater haben schon Zeit, ihre Kinder sechs Stunden am Tag zu unterrichten? De facto sei Eltern die Lehrerrolle allerdings heute schon nicht fremd: "Wie verhalte ich mich im Verkehr? Welches Essen ist gesund, welches ungesund? Das alles sollten Kinder doch heute schon zuhause lernen." Gerade diese Bereiche dokumentieren aus seiner Sicht aber, wie wichtig eine unabhängige Qualitätskontrolle ist. "Vielen Eltern fehlt doch heute schon das Wissen, wie eine gesunde Ernährung aussieht. Ich hatte mal eine Tante, die war Diabetikerin. Die hat immer, wenn sie etwas Süßes genascht hat, nachher noch eine saure Gurke gegessen - zur Neutralisierung."

    Homeschooling - Tradition und Perspektive. Ralph Fischer, Volker Ladenthin (Hrsg.). Ergon Verlag Würzburg.

    Kontakt:
    Professor Dr. Volker Ladenthin
    Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bonn
    Telefon: 0228/73-5977
    E-Mail: v.ladenthin@uni-bonn.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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