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14.02.2000 16:00

NABU-Naturschutzfachtagung - Was macht der Halsbandsittich in der Thujahecke? II

Ulrike Rolf Presse und Kommunikation
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig

    Am 12. und 13. Februar 2000 hat der Naturschutzbund NABU in Zusammenarbeit mit dem Zoologischen Institut der Technischen Universität Braunschweig eine Fachtagung zur Problematik von Neophyten und Neozoen und ihrer Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt veranstaltet. Veranstaltungsort war das Institut für Pharmazeutische Biologie der TU Braunschweig, Mendelssohnstr. 1, 38092 Braunschweig.

    Neodingsdae?
    Neophyten und Neozoen sind Pflanzen- und Tierarten, die erst seit dem späten Mittelalter unter Mitwirkung des Menschen in Mitteleuropa heimisch geworden sind. Als Stichtag gilt das Jahr 1500, nach dem in Folge der Entdeckung der Seewege nach Amerika und Asien und des rasch zunehmenden Handelsverkehrs eine ebenso rasch zunehmende Zahl fremder Tier- und Pflanzenarten ihren Weg nach Europa fanden - als Ungeziefer, als blinde Passagiere oder gar als Handelsgut.
    Ob Pharaoameise oder Rotwangen-Schmuckschildkröte, ob Riesen-Bärenklau oder Drüsiges Springkraut: Die Diskussion über diese "Einwanderer" nimmt in den letzten Jahren zu. Auch international kommt dieser Frage im Rahmen der Arbeiten zur Umsetzung der Konvention über biologische Vielfalt eine immer größere Bedeutung zu. Die Wertungen divergieren dabei zwischen Extrempositionen: Auf der einen Seite wird zum Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenwelt für die radikale Ausrottung dieser "alien species" plädiert, auf der anderen Seite solche Positionen als "Rassismus" abqualifiziert.
    Ziel der NABU-Fachtagung war es, die oftmals hitzige Diskussion auf eine sachliche Basis zurückzuführen. Ausgehend von Bestandsaufnahmen für bestimmte Fachbereiche der biologischen Vielfalt, etwa Fließgewässer, Agrarökosystem, terrestrische Naturschutzgebiete oder bestimmte Artengruppen wie Vögel, Amphibien, Käfer und Tagfalter, versuchten die Referenten Empfehlungen für den Schutz der biologischen Vielfalt sowie für den Umgang mit Neophyten und Neozoen im praktischen Naturschutz zu erarbeiten.
    Zu den mehr als 150 Teilnehmern der Tagung zählten Aktive aus den Bundesfachausschüssen und -arbeitsgruppen des NABU, Multiplikatoren des ehrenamtlichen Naturschutzes, Wissenschaftler und Studenten, Mitarbeiter von Naturschutzbehörden sowie des Handels mit Tieren und Pflanzen. Als Referenten und Podiumsteilnehmer konnten namhafte Fachleute gewonnen werden, darunter Prof. Dr. Ragnar Kinzelbach von der Uni Rostock, Prof. Dr. Dietmar Brandes von der TU Braunschweig, Prof. Dr. Gerd Müller-Motzfeld von der Uni Greifswald und der NABU-Waldexperte Wilhelm Bode.

    Fallbeispiele
    - Insekten-Fachleute des NABU konnten anhand der nacheiszeitlichen Ausbreitungsgeschichte von Käfern oder der Ausbreitung des Schmetterlings Colias erate von Südosteuropa nach Mitteleuropa zeigen, dass immer nur sehr wenige der invasiven Arten sich in einem neuen Lebensraum dauerhaft etablieren oder gar zur "Problemart" entwickeln.
    - Auch botanische Untersuchungen aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zeigten, dass gerade in großen anthropogen wenig gestörten Landschaften nur wenige Neophyten zum Problem werden. Örtliche Probleme mit Arten wie dem Riesen-Bärenklau, Indischem Springkraut oder Japanischem Knöterich sind zumeist Anzeichen einer anthropogen stark gestörten oder vorbelasteten Landschaft, in der sich diese Arten gegenüber autochthonen Arten durchsetzen und etablieren können. Werden sie dann in Einzelfällen Probleme für den Naturschutz, etwa indem sie in Schutzgebieten gefährdete Arten bedrohen, ist allerdings stellenweise die energische Bekämpfung dieser Arten erforderlich.
    - Auch bei Amphibien, Reptilien oder Vögeln ergibt die wissenschaftliche Analyse, dass Probleme in erster Linie durch den Menschen erzeugt werden. Etwa beim Besatz innerstädtischer Teiche mit Ochsenfrosch und Rotwangenschmuckschildkröte, die dort von Aquarianern illegal "entsorgt" werden und eine erhebliche Gefahr für einheimische Wasserbewohner darstellen.
    - Dies gilt auch für aus Zuchtanlagen entflohene oder vorsätzlich ausgesetzte Wasservogelarten, etwa Enten, die andere Arten verdrängen oder durch Bastardisierung gefährden, etwa im Falle der Schwarzkopf-Ruderente.
    - Ein Problem stellt in diesem Zusammenhang auch die Zucht und Haltung hybrider Großfalken dar, die aus überwiegend kommerziellen Gründen als Jagdfalken für den arabischen Markt gezüchtet werden und zunehmend den Bestand des einheimischen Wanderfalken gefährden - nachdem er hierzulande gerade erst durch die Anstrengungen von Naturschützern vor dem Aussterben bewahrt werden konnte.

    Ein internationales Problem
    Weltweit, besonders in Neuseeland, Australien und in den USA finden Neozoen starke Beachtung, weil ihre Wirksamkeit schon seit langem katastrophale Einschnitte in die regionale Biodiversität verursachten. Andererseits ist diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten. Die globale Fauna ist schon jetzt völlig vom Menschen geprägt und dies gilt erst recht in der Zukunft.
    Auch in Deutschland kann das Neozoen-Problem nicht weiterhin nur am Rande behandelt werden. Eine Befassung und Vorsorge ist besonders angesichts der weiteren Öffnung von Märkten und Warenverkehr im Zeichen der Globalisierung unausweichlich. Mit der Ratifizierung der Biodiversitätskonvention (Rio 1992) und nachfolgenden Abkommen ist die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung eingegangen, diesen Problemen entgegenzuwirken. Maßnahmen werden erschwert durch die Aufhebung bzw. faktische Unkontrollierbarkeit vier Quarantänebestimmungen an den Außen- und besonders den Binnengrenzen der Europäischen Gemeinschaft.

    Forderungen
    Zum Abschluss der Tagung forderte der NABU daher von der Bundesregierung ein bundesweites Monitoring der Einflüsse von Neophyten und Neozoen auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt. Hierzu wurde die Einrichtung einer "Zentralen Informations- und Koordinationsstelle Neozoen" (analoge Einrichtungen für andere biologische Taxa) vorgeschlagen, die auf vorhandene Kompetenz zurückgreift, z.B. von Universitätsinstituten, Zoologischen Sammlungen, Bundesamt für Naturschutz und Umweltbundesamt sowie von Naturschutzverbänden. Sie wäre für eine Beobachtung der Entwicklung und für die Früherkennung von potenziellen Schäden von Bedeutung, um im Bedarfsfalle rechtzeitig reagieren und regulieren zu können.
    Weiterhin wurden eine deutliche Verstärkung der gesetzlichen Regelungen gegen die Aussetzung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten im Rahmen der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG), gesetzliche Regelungen zur Eindämmung gebietsfremder Arten in den Forst-, Fischerei- und Jagdgesetzen sowie ein gesetzliches Verbot der Haltung und Zucht hybrider Großfalken gefordert. Die Bundesländer wurden zu verstärkten Maßnahmen gegen das Einwandern von Neophyten in Schutzgebiete sowie zur stärkeren Überwachung und schärferen Ahndung von Verstößen gegen die artenschutzrechtlichen Bestimmungen aufgefordert.

    Für Rückfragen und weitere Informationen:
    Claus Mayr, NABU-Fachreferent Biologische Vielfalt, Tel. 0228/40 36-166.
    Dr. Frank Suhling und Dr. Andreas Martens, Zoologisches Institut der TU Braunschweig, Tel. 0531/391-3185.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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