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18.02.2000 15:49

Jericho: Totenruhe im Wohnhaus und Schädelkult

Dr. Thomas Pleil Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

    In der Zeit um 9.000 vor Christus bildeten sich in Jericho kultisch-religiöse Riten. Diese sind rekonstruierbar durch anthropologische Untersuchungen an Skelett-Teilen, die auf einen besonderen Kopf- und Schädelkult in der Zeit zwischen etwa 9.000 und 7.000 v. Chr. schließen lassen. Archäologische Studien bestätigen die Existenz besonderer Totenriten im damaligen Jericho. Die Entwicklung solcher Riten stehen in Zusammenhang mit dem Sesshaft-Werden der Menschen in dieser Region. Zu diesem Ergebnis kommt der Münchner Anthropologe DDr. Olav Röhrer-Ertl, der heute auf einem Symposion an der Katholischen Universität Eichstätt über die Erforschung von Skelettfunden aus Jericho berichtet.

    "Um die damaligen Riten besser zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass die Menschen in dieser Zeit seßhaft geworden waren und vorwiegend Bodenanbau betrieben. Damit waren die Überlebensgefahren für die Bewohner Jerichos größer als für die zuvor dort lebenden Jäger und Sammler, denn wer Landwirtschaft betreibt, ist von Wetter- und Klimaschwankungen abhängig, die Vorratshaltung von Nahrungsmitteln macht eine Gemeinschaft zudem angreifbar", erläutert Röhrer-Ertl. Das Bewußtsein für diese Gefahren habe nicht nur zum Bau von Schutzmauern um die Siedlung geführt, sondern auch mystische Dimensionen gehabt. Röhrer-Ertl ist überzeugt, dass in den damaligen Gemeinschaften Einzelpersonen und später Teilgruppen von der Nahrungs- und Warenproduktion freigestellt worden waren, "damit sie sich dem religiös-rituellen Feld zum Wohle aller widmeten."
    Zu diesem Schluß kommt Röhrer-Ertl durch archäologische und anthropologische Untersuchungen. Dabei hat sich unter anderem gezeigt, dass in Jericho unter dem Estrich bewohnter Häuser Tote in oval geformten Gruben in hockender Haltung beigesetzt worden waren. "Die Grube wurde dann so verschlossen, dass ein Hohlraum entstand, der eine gewölbte Decke hatte." Röhrer-Ertl geht davon aus, dass es sich hierbei um einen "regulären" Ritus gehandelt habe und "dass eine Kommunikation zwischen Lebenden und Toten angestrebt wurde".
    Besonders auffällig ist zudem, dass die Schädel der in den Wohnhäusern Bestatteten künstlich deformiert worden waren. Dazu wurden die Schädel von Säuglingen etwa vier bis sechs Wochen lang durch ein unterlegtes Kissen und zwei Binden über Stirn und Scheitel künstlich umgeformt, so dass eine gewollte künstliche Kopfumformung entstand. Röhrer-Ertl stieß bei seinen Forschungen auf mehrere Beispiele dieser Deformation, und zwar sowohl bei Mädchen und Frauen wie auch bei Knaben und Männern. Der Kopf- und Schädelkult ist der Wissenschaft bislang nur im Zusammenhang mit Bodenbau und vorwiegend in Gegenden mit Klimawechseln im Jahresrhythmus bekannt. "Dem Kult liegt eine magische beziehungsweise kosmomagische Geisteshaltung zu Grunde", so Röhrer-Ertl. Dabei werde die reale Welt - also die Erde, mit allem was darauf lebt - mit einer geistigen Welt in Beziehung gesetzt. Letztere werde sich im Himmel vorgestellt. Damit sei anzunehmen, dass die Verformung der Schädel mit der kultisch-religiösen Aufgabe der Betroffenen direkt in Beziehung gesetzt werden kann und zwar in dem Sinne, dass durch die Verformung der Schädel die Verbindung zur geistigen Welt erleichtert werden sollte. "Damit werden erstmals für so frühe Zeiten und Kulturen grobe Umrisse einer Gottesvorstellung diskutierbar, welche bis in die Moderne nachwirkt", schließt Röhrer-Ertl.


    Weitere Informationen:

    http://www.ku-eichstaett.de/zuv/presse/pi/kurth.html
    http://www.ku-eichstaett.de/KTF/Neutest/qumran.htm


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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