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28.02.2000 11:09

Eine Impfung gegen Krebs?

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Immunologie

    Die Forschungen des Biochemikers Dr. Stefan Stevanovic am Immunsystem des Menschen sollten zunächst die normalen Funktionen der Immunabwehr klären. Doch erwies sich der Schritt von den Grundlagen zur Praxis als gar nicht so weit: Mit einer individuellen Impfung könnte es möglich werden, das Immunsystem von Krebspatienten gegen die Tumorzellen zu aktivieren. Klinische Studien dazu laufen auch in der Tübinger Medizinischen Universitätsklinik.

    Eine Impfung gegen Krebs?

    Das Immunsystem soll Tumore selbst vernichten können

    An der Heilung von Krebserkrankungen forschen weltweit zahlreiche Wissenschaftler. Mit einem einzelnen Medikament oder Methode ist der schweren Krankheit wohl nicht beizukommen, doch ergeben sich immer wieder neue Ansätze für Therapien. Viele Forscher versuchen, eine Form der Immuntherapie zu etablieren, bei der spezifische Abwehrzellen des Immunsystems zum Kampf gegen Krebszellen eingesetzt werden. Auf der Basis seiner Grundlagenforschungen am Immunsystem von Maus und Mensch arbeitet auch der Biochemiker Dr. Stefan Stevanovic vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen zusammen mit Medizinern an dieser Form der Immuntherapie gegen Krebs, die nun erprobt wird.

    Krebszellen zeigen gegenüber normalen Körperzellen veränderte Eigenschaften und bilden häufig auch andere Eiweiße. Fragmente der Eiweiße, Peptide, spielen bei der Erkennung von Selbst und Fremd im Immunsystem eine entscheidende Rolle. Sie werden im Körper der "Immunpolizei", den T-Killerzellen, gebunden an MHC-Moleküle an der Außenseite von Zellen präsentiert. Die T-Killerzellen kontrollieren dann, ob die Peptide von normalen Eiweißen stammen. Ist ein Peptid nicht aus einem normalen, körpereigenen Eiweiß herausgeschnitten, leiten die T-Zellen die Vernichtung der Zelle ein, die das veränderte oder fremde Peptid zur Schau stellt. Warum das Immunsystem nicht alle Krebszellen auf diesem Wege entfernt, ist weitgehend unbekannt. Die veränderten Eiweiße der Tumorzellen lassen sich jedoch nutzen, um das Immunsystem von Krebspatienten gegen die entarteten Zellen zu aktivieren.

    Stevanovic hat in Zusammenarbeit mit vielen Kollegen genau erforscht, nach welchen Regeln die in den Zellen zu Peptiden zerschnittenen Eiweiße von den MHC-Molekülen aufgesammelt werden, um sie außen auf der Zelle zu präsentieren. Das ist eine schwierige Angelegenheit, da die Peptide etwa neun Bausteine enthalten und zwanzig verschiedene Bausteintypen im Körper vorkommen. Auch von den MHC-Molekülen gibt es unterschiedliche Varianten. Mit Hilfe der erhaltenen Regeln konnte der Biochemiker zum Beispiel für das Eiweiß Mucin 1, das häufig bei Brustkarzinomen und einigen anderen Krebsarten auftritt, Vorhersagen machen, welche Peptide an MHC-Molekülen präsentiert werden können. Die Mediziner Dr. Peter Brossart, Dr. Wolfram Brugger und Prof. Lothar Kanz von der Abteilung Innere Medizin II der Tübinger Medizinischen Universitätsklinik haben die Vorhersagen im Versuch überprüft.

    Die entscheidenden Peptide aus den Tumoreiweißen wurden auf spezielle T-zellaktivierende Zellen geladen, die die Mediziner aus dem Blut von Patientinnen mit Brust- oder Eierstockkrebs gewonnen hatten. Die Krebspatientinnen wurden mit den peptidbeladenen Zellen geimpft, so dass das Immunsystem sie als "fremd" erkennen konnte. Solche Immunisierungen werden derzeit an mehreren Zentren erprobt. Bei fünf von zehn Patientinnen, denen mit anderen Methoden nicht mehr geholfen werden konnte, bildeten sich wie erhofft spezifische T-Killerzellen gegen die Peptide. Diese T-Zellen können theoretisch die Tumorzellen im Körper aufspüren und ihre Vernichtung einleiten. Tatsächlich stabilisierte sich in einem Fall der Krebs vorübergehend, bei einer Patientin bildete sich der Brustkrebs sogar zurück. Langfristiges Ziel der Forscher ist es, die Impfung gegen Krebs schon frühzeitig bei Tumorpatienten einzusetzen, wenn das Immunsystem noch intakt ist. Sie gehen davon aus, dass die Methode vor allem geeignet ist, Tumorreste, die etwa nach einer Operation noch im Körper sind, zu beseitigen. Stevanovic sucht in einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Projekt auch nach T-zellaktivierenden Peptiden bei Dickdarmkrebs. (3685 Zeichen)

    Kurzer Weg in die Praxis

    Tübinger Forscher setzen Grundlagen der Immunologie in eine Krebstherapie um

    Krebs ist eine häufige Todesursache und die Krankheit hat ihren Schrecken trotz zahlreicher Fortschritte in der Behandlung nicht verloren. Dabei wird leicht übersehen, dass sich hinter dem kurzen Begriff 'Krebs' eigentlich nicht nur eine Krankheit verbirgt, sondern dass es sich um hunderte verschiedener Erkrankungen handelt. So zahlreich wie die Krankheitsbilder sind daher auch die Ansätze, mit denen Wissenschaftler an neuen Therapien forschen. Der Biochemiker Dr. Stefan Stevanovic vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen am Lehrstuhl von Prof. Hans-Georg Rammensee verfolgt einen solchen Ansatz mit den Ergebnissen seiner Grundlagenforschungen am Immunsystem von Maus und Mensch. Wenn eine Zelle entartet und sich als Krebs unkontrolliert vermehrt, ändern sich auch ihre Eigenschaften. "Eigentlich sollten die Zellen dann ähnlich wie eingedrungene Viren oder Bakterien vom Immunsystem als fremd erkannt und vernichtet werden", erklärt Stevanovic. Warum diese Abwehr häufig nicht funktioniert, ist weitgehend unbekannt. Doch versucht der Wissenschaftler, die Unterschiede zwischen gesunden Körperzellen und veränderten Krebszellen für eine Therapie nutzbar zu machen, bei der das eigene Immunsystem der Krebskranken auf die Tumore angesetzt wird.

    Wenn eine solche Reaktion angestoßen wird, kann der Körper den Krebs theoretisch selbst vernichten. Das klingt einfach. Doch ist das Immunsystem eine komplizierte Angelegenheit: Die Forscher müssen genau herausfinden, wie es arbeitet und reagiert. Stevanovic untersucht die Grundlagen der Immunabwehr seit über zehn Jahren. Er geht dabei nicht nur bis auf die Ebene der Zellen, sondern in noch kleinere Dimensionen, die Ebene der Moleküle. Das Immunsystem muss ständig auf der Hut sein, um eindringende Viren und Bakterien sowie veränderte Körperzellen möglichst schnell zu entdecken. Bestimmte Zellen des Immunsystems nehmen dazu ständig Eiweiße von außen auf und zerschneiden sie im Innern in kleinere Fragmente, die Peptide. Diese werden von MHC-Molekülen (Major Histocompatibility Complex, Haupthistokompailitätskomplex) aufgenommen und zur Oberfläche der Zelle transportiert. "Die MHC-Moleküle bilden sozusagen das Schaufenster jeder Zelle. Sie zeigen nach außen, was in der Zelle enthalten ist", zieht Stevanovic einen bildlichen Vergleich. T-Killerzellen, bestimmte Lymphozyten, kontrollieren dann als "Immunpolizei", ob die Peptide von körpereigenen Eiweißen stammen oder von körperfremden. Entdecken die stark spezialisierten T-Killerzellen unbekannte Peptide, wird die Vernichtung der Zellen, die sie präsentieren, eingeleitet.

    Das spezielle Untersuchungsobjekt des Biochemikers sind die Peptide. Die Eiweiße, die in der Zelle zu den Peptiden zerschnitten werden, bestehen aus Aminosäurebausteinen, von denen sie im allgemeinen mehrere Hundert bis Tausende in einer langen Kette enthalten. Im menschlichen Körper kommen zwanzig verschiedene Aminosäuretypen vor, so dass sich zahlreiche Möglichkeiten verschiedener Eiweiße ergeben. Auch für die Peptide, die etwa neun Aminosäuren lang sind, sind die Möglichkeiten der Zusammensetzung vielfältig. "Um die Reaktionen des Immunsystems auf bestimmte Eiweiße vorhersagen zu können, ist entscheidend, welche Peptide von den MHC-Molekülen präsentiert werden", erklärt Stevanovic. Während einige Forscher am Lehrstuhl von Prof. Rammensee untersuchen, wie die Eiweiße in Peptide zerschnitten werden, arbeitet Stevanovic an der Vorhersage, welche Peptide tatsächlich von den MHC-Molekülen aufgesammelt und auf der Zelle nach außen zur Schau gestellt werden.

    MHC-Molekül und Peptid passen dabei räumlich eng ineinander. Nun gibt es jedoch nicht nur zahlreiche mögliche Peptide, sondern auch unterschiedliche MHC-Typen. Jeder Mensch besitzt auf seinen Körperzellen verschiedene Typen, die durch erbliche Anlagen festgelegt sind. Stevanovic hat für einige Tausend Peptide die Regeln herausgefunden, nach denen sie von MHC-Molekülen aufgegriffen werden. Die Ergebnisse hat er in eine Datenbank eingegeben, die über das Internet auch für andere Forscher nutzbar ist. "Mit Hilfe der Datenbank gelingt in rund 80 Prozent der Fälle die richtige Vorhersage, welche Peptide aus einem bestimmten Eiweiß an bestimmten MHC-Molekülen zu finden sind", sagt Stevanovic.

    Für den Ansatz einer Krebstherapie ist es interessant, dass bei manchen Tumoren Eiweiße vorkommen, die in normalen Körperzellen nicht zu finden sind. "Bei Brustkarzinomen und einigen weiteren Tumorarten kommt vielfach das Eiweiß Mucin 1 in einer veränderten Form vor, die in gesunden Zellen nicht auftaucht", sagt Stevanovic. Der Biochemiker konnte aufgrund seiner Forschungen vorhersagen, welche Peptide des Mucins auf den MHC-Molekülen der Krebspatienten präsentiert werden könnten. "Wir haben dies durch Versuche im Reagenzglas überprüft und festgestellt, dass zwei der vorhergesagten Peptide tatsächlich auf MHC-Molekülen zu finden waren", sagt Dr. Peter Brossart von der Abteilung Innere Medizin II der Tübinger Medizinischen Universitätsklinik, der unter der Leitung von Prof. Lothar Kanz und Dr. Wolfram Brugger mit Stevanovic zusammenarbeitet. Daraus haben die Forscher eine Therapie entwickelt, bei der Krebspatienten mit diesen Peptiden geimpft werden, um das Immunsystem zu aktivieren. Solche Immuntherapieansätze mit spezifischen Peptiden werden derzeit in mehreren Zentren erprobt.

    Bei zehn Patientinnen mit Brust- oder Eierstockkrebs, denen mit etablierten Methoden der Krebsbehandlung wie Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie nicht mehr geholfen werden konnte, wurde in der Abteilung für Hämatologie und Onkologie an der Medizinischen Universitätsklinik die neu entwickelte Immuntherapie durchgeführt. Neben Mucin kam bei ihnen ein zweites, nur mit dem Tumor zusammen auftretendes Eiweiß vor. "Den Patienten wurde bei diesem Verfahren Blut entnommen, aus dem die Monocyten isoliert wurden", beschreibt Brossart. Durch Zugabe von Wachstumsfaktoren zu diesen weißen Blutkörperchen bilden sich daraus in etwa einer Woche so genannte dendritische Zellen, die im Immunsystem besonders starke Reaktionen auslösen können. Die dendritischen Zellen werden dann mit den speziellen Peptiden beladen, die auch auf der Oberfläche der Krebszellen vorkommen. "Die Patientinnen wurden mit den peptidbeladenen dendritischen Zellen geimpft. In fünf von zehn Fällen bildeten sich spezifische T-Killerzellen, die die Peptide aus den Tumoreiweißen erkennen", sagt Brossart. Bei einer Patientin mit Brustkrebs hätten sich nach der Impfung mit Peptiden die Metastasen zurückgebildet, bei einer anderen sei der Krebs stabil geblieben, nennt der Mediziner erste Erfolge.

    Nebenwirkungen dieser Behandlung ließen sich Brossart zufolge nicht feststellen. Diese Ergebnisse sieht der Mediziner als ermutigend an, zumal das Immunsystem mancher der Patientinnen durch Chemotherapien geschädigt war. "Die Behandlung ist nicht möglich, wenn die Tumorzellen ihre MHC-Moleküle verlieren, das passiert bei einigen wenigen Krebskranken. Häufig ist aber die Menge reduziert oder ein bestimmter MHC-Typ verschwindet", erklärt Stevanovic, warum die Impfung gegen Krebs nur für manche Patienten in Frage kommt. Ferneres Ziel der Mediziner ist es jedoch, Krebspatienten möglichst schon in einem frühen Stadium der Erkrankung zu impfen, wenn das Immunsystem noch intakt ist. "Wir nehmen an, dass die Methode vor allem geeignet sein könnte, um Tumorreste zu beseitigen, die etwa nach einer Krebsoperation noch im Körper sind oder um der Bildung von Rezidiven, der neuerlichen Bildung von Tumoren nach einer Krebserkrankung, vorzubeugen", sagt Brossart. Seit zwei Jahren arbeitet Stevanovic auch an einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Projekt, bei dem untersucht wird, ob sich die Immuntherapie in ähnlicher Weise bei Dickdarmkrebs einsetzen lässt.
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    Nähere Informationen:

    Dr. Stefan Stevanovic
    Interfakultäres Institut für Zellbiologie
    Auf der Morgenstelle 15
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 98 76 45
    Fax 0 70 71/29 56 53

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen/uni/qvo/pd/pd.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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