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28.02.2000 13:38

Erstmals ein dreidimensionales Bild des Zerfalls von Molekuelen unter Roentgenstrahlung

Debbie Weiss Publications and Media Relations Department
Weizmann Institut

    Ihre Ergebnisse koennten kuenftige Mittel zur Praevention von Strahlenschaeden hervorbringen.

    Betrachtung ist die Kunst, Unsichtbares zu sehen, schrieb Jonathan Swift, der Meister phantastischer Geschichten. Die Reisen seines Helden Gulliver in Reiche unterschiedlicher visueller Groessenordnungen machten auf erzaehlerische Weise deutlich, dass man zu tieferen Einsichten gelangen kann, wenn man die Welt aus immer neuen Perspektiven betrachtet.

    Forscher des Weizmann Instituts haben vor Kurzem demonstriert, dass dieses Prinzip auch fuer die Kunst der wissenschaftlichen Entdeckung gilt. Ihre Entscheidung zur Verschiebung eines experimentellen Blickwinkels fuehrte dazu, dass weltweit erstmals 'Filmaufnahmen' von dem Zerfall von Molekuelen entstanden, waehrend sie Synchrotronstrahlung ausgesetzt waren. Ihre Ergebnisse, die in der Ausgabe vom 18. Januar der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Science USA (PNAS) veroeffentlicht wurden, koennen den Weg zu verbesserten Techniken zum Studium biologischer Molekuele bahnen, sowie zur Entwicklung pharmakologischer Massnahmen zur Praevention von Strahlenschaeden - einer haeufigen Ursache fuer Krebs und Geburtsfehler - beitragen.

    Die Wissenschaftler des Weizmann Instituts, die an dieser Studie beteiligt waren, sind Dr. Gitay Kryger, Dr. Michal Harel und Prof. Joel Sussman von der Abteilung Strukturelle Biologie, zusammen mit Prof. Israel Silman von der Abteilung Neurobiologie. Das Team arbeitete eng mit Martin Weik, Maria Raves, Piet Gros und Jan Kroon vom hollaendischen Bijvoet Zentrum fuer Biomolekulare Forschung in Utrecht zusammen, sowie mit Raimond Ravelli und Sean McSweeney von der Aussenstation des europaeischen Labors fuer Molekulare Biologie im franzoesischen Grenoble.

    Aufbrechen der Bindungen
    'In der Wissenschaft ist es nicht ungewoehnlich, wenn man bei der Suche nach der Antwort auf eine Frage, Antworten auf voellig andere Fragen findet', erlaeutert Dr. Kryger den Hintergrund fuer ihre Entdeckung. 'Waehrend man eine Strassenflucht hinabblickt, wird unsere Aufmerksamkeit in eine Seitenstrasse gelenkt, aus der sich ganz neue Moeglichkeiten und Wege ergeben koennen.'

    Beim Studium von Acetylcholinesterase (AChE), einem der faszinierendsten Enzyme der Natur, das fuer Gehirnfunktionen und das Gedaechtnis eine zentrale Rolle spielt, beschloss die Forschungsgruppe, eine enzymatische Reaktion in 'Echtzeit' zu beobachten - und zwar mit Hilfe der Roentgen-Kristallografie, einer Methode, bei der Kristalle der Enzyme hochdosierten Roentgenstrahlen ausgesetzt werden.

    Da sich die Reaktion des Enzyms innerhalb von Mikrosekunden vollzieht, hofften die Wissenschaftler darauf, den Prozess durch eine Serie blitzschneller 'Roentgen-Schnappschuesse' verfolgen zu koennen. Das Ergebnis wies in der Tat auf eine zeitabhaengige Veraenderung hin. Bei genauerer Betrachtung wurde den Forschern jedoch klar, dass sie bei ihrem Versuch, eine enzymatische Reaktion zu verfolgen, erstmals Zeugen einer dreidimensionalen Aufnahme von einem durch Strahlung verursachten Zerfall spezifischer chemischer Bindungen in dem Protein geworden waren. 'Die Beobachtung war verblueffend. Waehrend die Filmserie wie eine simulierte Animation chemischer Prozesse aussieht, wussten wir, dass wir eine direkte experimentelle Observation vor uns hatten - etwas, das niemand zuvor je gesehen hatte', sagt Prof. Sussman.

    Nachfolgende Untersuchungen zeigten, dass im Gegensatz zur bisherigen Auffassung Strahlenschaeden sehr spezifisch sein koennen. Das Team fand heraus, dass Disulfid-Bindungen (die oft Polypeptidketten von Proteinen ueberbruecken) und Carboxyl-Saeuren (wie jene, die man an der 'aktiven Stelle' findet, wo die enzymatischen Reaktionen ihren Ausgang haben) extrem anfaellig fuer Strahlenschaeden sind. Sie fanden ausserdem Aehnlichkeiten zwischen den einzelnen Arten, was darauf hinweist, dass es sich um ein eher allgemeines Phaenomen handelt. Sehr aehnliche Resultate wurden bei der Arbeit mit AChE-Kristallen aus unterschiedlichen Quellen erreicht: Sie stammten aus Zitterrochen (einer der reichhaltigsten Quellen dieses Enzyms), vom Menschen und der Drosophila- Fruchtfliege. Auch bei einem voellig anderen Enzym, Lysozym aus Huehnereiweiss, wurden aehnliche Ergebnisse ermittelt.

    Weniger kann mehr sein
    Die Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf die Verbesserung der Datengewinnung in der Roentgen-Kristallografie. Diese Technik bringt von Haus aus eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich. Waehrend sie einen dramatischen Einblick in bislang unzugaengliche mikroskopische Welten bietet, fuegt sie gleichzeitig Strahlenschaeden zu, wobei die untersuchte Probe oft zerstoert wird. Die Gemeinde der Kristallografen befand sich schon immer auf einer Gratwanderung, bei der man einerseits mehr Informationen durch erhoehte Strahlenintensitaet gewinnen will, waehrend andererseits Strahlenschaeden durch verschiedene Techniken verhindert werden sollen, vor allem durch die Krypo-Kristallografie (Datensammlung bei extrem niedrigen Temperaturen).

    Laut Dr. Kryger war 'eines der wichtigsten Ergebnisse des Experiments die Einsicht, dass zum besseren Verstaendnis biologischer Molekuele weniger intensive Strahlung vielleicht die genaueren Ergebnisse liefern kann. Der Schluessel liegt in der Vermeidung unerwuenschter Veraenderungen an den Versuchsproben, wie solche, die durch Strahlenschaeden induziert werden.

    Ein diagnostisches Werkzeug
    Strahlenschaeden und ihre Verhinderung sind wiederum ein zentrales Thema fuer sich, das weit ueber Fragen der Forschungsmethoden hinaus geht. Organismen werden bestaendig potenziell schaedlichen Strahlen ausgesetzt - ob durch Sonnenlicht, radioaktive Materialien oder medizinische Roentgenstrahlen. Solche Strahlen sind hochdosiert eine haeufige Ursache fuer Krebs und Geburtsfehler. Nach Prof. Sussman ist die 'Faehigkeit, spezifische, durch Strahlung verursachte Schaeden in einer Versuchsanordnung sichtbar zu machen, ein wichtiges diagnostisches Werkzeug zur Entwicklung pharmakologischer Mittel zum Schutz vor Strahlenschaeden. Diese Massnahmen koennten in herkoemmlichen Situationen wie auch im Notfall - bei einem atomaren Unfall wie Tschernobyl zum Beispiel - zur Anwendung kommen.' Das Team des Weizmann Instituts plant die Zusammenarbeit mit seinen europaeischen Partnern zur Untersuchung des Strahlenschutzpotenzials von verschiedenen Stoffen.

    Farbbilder und eine Filmsequenz, die den durch Strahlung verursachten Zerfall chemischer Bindungen zeigt, sind auf Anfrage erhaeltlich. Die Bilder sind ausserdem hinterlegt unter:
    http://wis-wander.weizmann.ac.il/weizmann/doa_iis.ddl/Serve/level/English/1.200....
    Film: HYPERLINK http://www.weizmann.ac.il/~cskryger/Radiation_Damage/
    http://www.weizmann.ac.il/~cskryger/Radiation_Damage/

    Die Studie wurde gefoerdert vom U.S. Army Medical and Materiel Command, dem 4. Rahmenprogramm der EU fuer Biotechnologie, dem Kimmelman Center for Biomolecular Structure and Assembly (Rehovot, Israel) und der Dana Foundation. Die grosszuegige Unterstuetzung von Frau Tania Friedmann wird dankbar gewuerdigt. RBGR bedankt sich fuer die Unterstuetzung vom TMR Access to Large Scale Facilities fuer die EMBL-Aussenstation Grenoble.

    Prof. Israel Silman gehoert zur neurobiologischen Abteilung des Weizmann Instituts und ist Inhaber des Bernstein-Mason-Lehrstuhls fuer Neurochemie. Prof. Joel Sussman ist Mitglied der Abteilung strukturelle Biologie des Weizmann Instituts und hat einen parallelen Forschungsauftrag am Brookhaven National Laboratory in New York.


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    Aufbrechen der Bindungen
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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