idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
22.11.2006 08:17

Fingerfertigkeit - eine Additionsaufgabe für das Gehirn

Gunnar Bartsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Eine schier unendliche Zahl von Finger- und Handbewegungen lässt sich beim Menschen auf eine relativ kleine Zahl von Grundmustern zurückführen. Das Gehirn kann so das gesamte Bewegungsrepertoire ökonomisch organisieren. Das haben Wissenschaftler der Neurologischen Klinik der Universität Würzburg jetzt nachgewiesen. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen sie heute in der Fachzeitschrift Neuron.

    Eine Beethoven-Sonate auf dem Klavier spielen; einen scharf geschossenen Ball fangen; einen Faden durch ein Nadelöhr lenken: Fingerbewegungen gehören zu den flexibelsten Bewegungen des Menschen und zu den virtuosesten des gesamten Tierreichs. Ihrer Bedeutung sind sich die Meisten nicht bewusst; erst mit einer Behinderung, wie sie zum Beispiel nach einem Schlaganfall häufig auftritt, wird den Betroffenen klar, was sie verloren haben.

    Die Frage, wie es das Gehirn schafft, diese Fingerfertigkeiten zu organisieren, beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Seit über 130 Jahren wenden Forscher unterschiedlichste Methoden der Nervenstimulation an, um Informationen über die Prinzipien zu gewinnen, wie das Gehirn Fingerbewegungen kontrolliert. "Schon seit einiger Zeit wurde vermutet, dass das Nervensystem die unterschiedlichen Bewegungen aus einer kleinen Zahl von Mustern, so genannten Modulen, konstruiert", sagt Joseph Claßen, Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Universität Würzburg. Eine Bestätigung dieser Theorie gelang dem Neurologen jetzt gemeinsam mit dem Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik Reinhard Gentner mit Hilfe einer besonderen Technik.

    "Unsere Arbeit verwendet die transkranielle Magnetstimulation, eine schmerzlose Technik, mit der sich Nervenzellen der menschlichen Hirnrinde durch die Schädeldecke hindurch erregen lassen", erklärt Claßen. Dabei wandert eine Kupferdrahtspule über den Kopf der Versuchsperson. Ein kurzer Stromfluss durch die Spule erzeugt ein Magnetfeld, das schmerzlos durch den Knochen hindurch die darunter liegenden Nervenzellen in der Gehirnrinde erregt. Je nachdem, welches Gebiet stimuliert wird, zucken die Finger des Probanden auf unterschiedliche Weise. Über einen Datenhandschuh wird die Bewegung aufgezeichnet und mathematisch analysiert.

    "Uns hat vor allem interessiert, ob es in der Verschiedenheit nicht ein paar grundlegende Gesetzmäßigkeiten gibt", erklärt Claßen. Und tatsächlich habe die mathematische Analyse gezeigt, "dass die durch transkranielle Magnetstimulation hervorrufbaren Fingerbewegungen modular aufgebaut sind." Die Vielzahl von Fingerbewegungen lässt sich nach Claßens Worten auf die Kombination von nur wenigen Bewegungsmustern zurückführen. Um eine bestimmte Bewegung auszuführen, addiert das Gehirn sozusagen die dafür notwendigen Grundmodule.

    Darüber hinaus konnten Gentner und Claßen zeigen, dass die durch Magnetstimulation aufgefundenen Module denjenigen stark ähnelten, die sich aus der Analyse von Endpositionen natürlicher Greifbewegungen ergaben. Dieser Befund legt nahe, dass die Kontrolle von Bewegungsendpositionen ein wichtiges Arbeitsprinzip des zentralen Nervensystems darstellt.

    Gut möglich, dass die Ergebnisse der beiden Wissenschaftler demnächst Eingang in die Therapie finden. So sind zum Beispiel viele Patienten nach einem Schlaganfall nur noch in der Lage, grobe Greifbewegungen auszuführen. "Die Freiheitsgrade sind bei ihnen erheblich reduziert", sagt Claßen. Das Wissen darüber, wie das Gehirn einzelne Finger steuert, könnte demnach in eine gezielte Therapie fließen. Außerdem dürften die Erkenntnisse hilfreich bei der Konstruktion und Steuerung von Neuroprothesen sein.

    Trotz der neuen Erkenntnisse gibt es noch immer genug offene Fragen, was die Bewegung von Hand und Fingern betrifft. Deshalb wollen Gentner und Claßen in einer Fortführung ihrer Studie untersuchen, ob sich die Anzahl dieser Module bei bestimmten Krankheiten verändert, und ob Menschen, die ihre Hände intensiv nutzen, wie zum Beispiel Berufsmusiker, eine veränderte Organisation von Bewegungen aufweisen.

    Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Joseph Claßen, Tel.: (0931) 201 23 50 4;
    E-Mail: Classen_J@klinik.uni-wuerzburg.de

    Dipl.-Ing. Reinhard Gentner, Tel.: (0931) 201 23 54 5
    E-Mail: gentner_r@klinik.uni-wuerzburg.de


    Bilder

    Joseph Claßen (l.) und Reinhard Gentner.
    Joseph Claßen (l.) und Reinhard Gentner.
    Universität Würzburg
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Joseph Claßen (l.) und Reinhard Gentner.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).