Forscher der Universität Jena untersuchten Anpassungsschwierigkeiten junger Einwanderer
Jena (23.11.06) Vom eher harmlosen Schuleschwänzen bis zu Raub oder Körperverletzung reicht das Spektrum abweichenden Verhaltens, für das sich überdurchschnittlich oft jugendliche Aussiedler verantworten müssen. "Doch was verhindert eine positive Integration dieser Jugendlichen? Was führt zu Delinquenz und wie lässt sich eine kriminelle Karriere aufhalten?" fragt Prof.
Dr. Rainer K. Silbereisen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Der Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie ist gemeinsam mit deutschen und israelischen Kollegen der Universität Haifa den Ursachen dieses Phänomens auf den Grund gegangen. Dabei standen die Anpassungsschwierigkeiten jugendlicher Aussiedler und russischer Juden im Mittelpunkt, die mit ihren Familien aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Israel bzw. Deutschland einwanderten. "Uns interessierten die Unterschiede, die es zwischen einem traditionellen Einwanderungsland wie Israel und Deutschland gibt, wo wir auf Zuwanderung weniger eingestellt sind", erläutert Projektleiter Silbereisen. Über 4 000 Jugendliche haben die Psychologen in beiden Ländern zwischen 2001 und 2005 befragt.
Heraus kamen zum Teil überraschende Ergebnisse. "Wir hatten erwartet, dass die Integration in Israel schneller und problemloser erfolgt", so Prof. Silbereisen. "Das lässt sich aber keineswegs so eindeutig sagen." Zwar verlaufe die Anpassung in Israel zunächst deutlich schneller, weil die Umwelt besser auf die Einwanderer vorbereitet sei und die Migranten leichter Kontakt zu Menschen mit ähnlichem Schicksal fänden. Insgesamt scheinen sich jugendliche Einwanderer aber in Deutschland besser zu integrieren, wie die geringere Zahl an Regel- und Rechtsverstößen zeige.
Das zentrale Problem, das jugendliche Einwanderer in beiden Ländern gleichermaßen haben, beschreibt Prof. Silbereisen mit einem Sprichwort: "Gleich und Gleich gesellt sich gern." Sowohl in Israel als auch in Deutschland bleiben die Einwanderer lieber unter sich. "Dadurch fehlen ihnen aber engere Beziehungen zu Einheimischen; sie sind auf sich allein gestellt", macht der Psychologe von der Jenaer Universität deutlich. Die Folge, so fanden die Forscher heraus, sind das Fehlen positiver Bindungen an die neue Umgebung und eine eher unstrukturierte Freizeit. "Wer nur mit seinesgleichen zusammen ist und das in einer oft problematischen Wohngegend ohne Freizeitgelegenheiten, die zu verantwortlichem Verhalten und Freude an der Leistung anregen, ist gefährdet straffällig zu werden", so das Fazit von Prof. Silbereisen. Weitere wichtige Risikofaktoren seien Sprachprobleme und die in der neuen Heimat erlebte Diskriminierung. Während für russisch-jüdische Einwanderer in Deutschland vor allem fehlende Sprachkenntnisse Auslöser für den Rückzug in die eigene Kultur sind, spielt bei den Einwanderern in Israel die nicht nachlassende Diskriminierung die entscheidende Rolle.
Diskriminierung ist nach Ansicht der Psychologen auch die Hauptursache für einen weiteren überraschenden Befund des deutsch-israelischen Forschungsprojekts: die Wahrscheinlichkeit, dass jugendliche Migranten straffällig werden, nimmt mit zunehmender Aufenthaltsdauer in der neuen Heimat eher zu und nicht ab. "Hier muss man aber deutlich zwischen eher typisch jugendlichen ,Verfehlungen' und tatsächlich kriminellem Verhalten unterscheiden", betont Prof. Silbereisen. Vor allem die jugendtypischen Verfehlungen hätten Diskriminierung und längeren Aufenthalt im neuen Land als Vorläufer. "Die Immigration wirkt für diese Jugendlichen wie ein Katalysator für Probleme in diesem Bereich und ist nicht die Ursache im engeren Sinn." Wer aber schon als Jugendlicher einen kriminellen Lebensstil pflege, mache dies mit oder ohne belastende Immigrationserfahrungen, so der Entwicklungspsychologe weiter. "Doch die ansonsten mit dem Ende der Jugend normalerweise wieder abfallende Tendenz zu rechtswidrigem Verhalten kann wegen allzu häufiger Diskriminierung stehen bleiben."
Aus ihren Forschungsergebnissen ziehen die Psychologen der Universitäten Jena und Haifa deutliche Schlüsse, wie sich die Integration jugendlicher Einwanderer in beiden Ländern verbessern lässt. Wichtig seien rasche Sprachkenntnisse und ein von der Herkunft her durchmischtes Netzwerk an Freunden. Außerdem müssten strukturierte Freizeitmöglichkeiten geschaffen und Diskriminierung überwunden werden.
Kontakt:
Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Steiger 3 / Haus 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945200
E-Mail: rainer.silbereisen[at]uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Psychologie, Recht
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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