S p e r r f r i s t: Donnerstag, 7. Dezember 2006, 19.35 Uhr
Das Immunsystem erkennt und bekämpft Bakterien und Viren, aber es bewahrt den Körper auch vor Schädigungen durch eigene Fehlentwicklungen, wie zum Beispiel Krebs. Forschungen der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, dass Tumore wie das Glioblastom, ein besonders aggressiver Hirntumor, die Immunzellen dazu bringen können, ihr Wachstum zu fördern, statt sie zu zerstören. Prof. Dr. Karl-Heinz Plate, Leiter des Neurologischen Instituts der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und seine Mitarbeiter konnten im Tierversuch zeigen, dass die Tumore sehr viel weniger wachsen, wenn die Aktivität der Fresszellen gehemmt wird, berichtete er auf der Tagung Brain Tumor 2006, die das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und das Helios-Klinikum Berlin-Buch veranstalten, und die am Donnerstag begann.
Glioblastome entstehen durch unkontrolliertes Wachstum von Gliazellen im Gehirn und sind die häufigste und aggressivste Form eines Gehirntumors. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass Glioblastome nicht nur entgleiste Gehirnzellen sind, sondern bis zu 50 Prozent aus Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems bestehen können.
Das Immunsystem verteidigt den Körper gegen schädigende Einflüsse von außen, wie Bakterien oder Viren. Aber es erkennt auch körpereigene Veränderungen, die den Körper langfristig schädigen würden, zum Beispiel die Entstehung von Krebszellen. Das zentrale Nervensystem jedoch ist vom direkten Zugriff des Immunsystems weitgehend ausgenommen. Es kann sich nur eingeschränkt regenerieren und schützt sich deswegen vor den eindringenden Killer- und Fresszellen des Immunsystems durch eine physiologische Barriere, die Blut-Hirn-Schranke. Diese erlaubt den Zellen des Immunsystems nur begrenzten Zugang zum Gehirn.
Lange Zeit nahmen Forscher deshalb an, dass das Nervensystem völlig vom Immunsystem getrennt sei. In den vergangenen Jahren konnten sie aber vermehrt Immunzellen und Immunreaktionen im Gehirn nachweisen. Allerdings zeigten Prof. Plate und seine Mitarbeiter, dass der Nachweis von Immunzellen im Gehirn kein Indiz dafür ist, dass die Abwehrzellen den Tumor auch attackieren.
Ganz im Gegenteil: Makrophagen im Gehirn scheinen von Signalen, die der Tumor aussendet, "umgedreht" zu werden. Statt ihn zu zerstören, schütten die Fresszellen den Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) aus. Dieser bekommt so eine doppelte Funktion: einerseits regt er die Bildung neuer Blutgefässe (Angiogenese) an, über die sich der Tumor mit Nährstoffen versorgt und wachsen kann, andererseits werden die Immunzellen von den Tumorzellen angestiftet, selbst auch VEGF auszuschütten. Dadurch werden die Immunzellen zu "Komplizen" des Tumors. Die Tatsache, dass fast die Hälfte eines Glioblastoms aus Makrophagen bestehen kann und diese Zellen ebenso wie die Tumorzellen den Faktor VEGF ausschütten, ist möglicherweise eine Erklärung dafür, dass Glioblastome so extrem rasch wachsen.
Der VEGF-Rezeptor spielt eine zentrale Rolle für die Wanderung der Makrophagen durch den Körper hin zu einem Entzündungsherd oder Tumor. Prof. Plate und seine Mitarbeiter zeigten an Hand von Mäusen, bei denen das Gen für den VEGF-Rezeptor ausgeschaltet wurde, dass Glioblastome in ihrem Wachstum erheblich reduziert waren.
Prof. Plate hofft, diesen Mechanismus für einen neuen Ansatz zur Behandlung von Gehirntumoren nutzen zu können. Dabei ginge es nicht nur, wie bei herkömmlichen Therapien darum, allein die Tumorzellen zu bekämpfen, sondern auch die Makrophagen. "Für die Patienten wäre es eventuell besser, wenn die Makrophagen gar nicht erst zum Tumor gelangten", sagte Prof. Plate auf der Berliner Tagung.
Barbara Bachtler
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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